Junge Hausärzte sind Mangelware

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Der praktische Arzt ist vom Aussterben bedroht. Eine Reform der Ausbildung soll endlich Abhilfe schaffen, der Beruf selbst wird zunehmend unattraktiver.

Hans-Joachim Fuchs ist ein praktischer Arzt, wie er im Buche steht. Der Wiener Allgemeinmediziner kennt die meisten seiner Patienten seit vielen Jahren, er kennt ihre Krankengeschichte und ihre Wehwehchen, ihre sozialen Verhältnisse und ihr Arbeitsumfeld. Seine Patienten vertrauen ihm. Wenn die Krankenkasse seinen Patienten die Bezahlung eines Heilmittels verweigert, dann greift er zum Telefonhörer und setzt sich persönlich für den Kranken ein. Auch wenn das E-Card-System fälschlicherweise behauptet, einer seiner Patienten sei nicht versichert - was immer wieder passiert - ruft Fuchs bei der entsprechenden Krankenkasse an, um die Korrektur der Fehlers zu erwirken. All das tut Fuchs aus Überzeugung. "Ich möchte meinen Beruf nicht eintauschen gegen den Beruf eines Spitzenmediziners", versichert er.

Keine hohen Erwartungen

Jeder wünscht sich wohl einen solchen engagierten Hausarzt. Doch Ärzte wie Fuchs werden zunehmend Mangelware. Denn die Hälfte der derzeit ordinierenden österreichischen Hausärzte ist älter als 55 Jahre und wird innerhalb der nächsten zehn Jahre in Pension gehen. Der Nachwuchs jedoch droht auszubleiben.

"Fast alle Medizinstudenten wollen Spezialisten werden", weiß Fuchs, dessen Ordination immer wieder von Studenten besucht wird: "Deren Erwartungen von der allgemeinmedizinischen Arbeit liegen auf dem untersten Niveau." Zwar gibt es in Österreich mittlerweile zwei Lehrstühle für Allgemeinmedizin, dennoch liegt die Ausbildung zum Allgemeinmediziner an den Medizinuniversitäten im Argen. Seit Jahren wird an einer Reform der Ausbildung gearbeitet, doch wann der neue "Facharzt für Allgemeinmedizin" kommen wird, ist offen.

Praktizierende Ärzte stöhnen unter der zunehmenden Bürokratisierung ihres Berufes. "Dokumentationswahn", nennt das Christian Euler, Präsident des Österreichischen Hausärzteverbandes und Gemeindearzt in Rust am Neusiedlersee. Dass die Behandlung der Patienten genau dokumentiert wird, ist an sich selbstverständlich - doch die Kassen verlangen ausufernde Dokumentationen. Wenn die Kasse verrechnete Leistungen beanstandet, müssen sich die betreffenden Ärzte in ellenlangen Schreiben dafür rechtfertigen, klagt Fuchs.

Erster Ansprechpartner

Die Gangart mancher Krankenkassen wird immer härter. Wehe, ein Arzt verschreibt nicht das kostengünstigste Medikament! In Wien müssen sich unbotmäßige Ärzte im Rahmen der berüchtigten "amikalen Gespräche", die alles andere als freundschaftlich ablaufen, vor einem regelrechten Tribunal verantworten.

"Statt den niedergelassenen Ärzten Prügel zwischen die Beine zu werfen, sollte man ihre wichtige Funktion anerkennen", fordert Christian Euler. Der Stehsatz, dass die Hausärzte im Gesundheitssystem aufgewertet werden sollen, wurde in jeder Regierungserklärung der letzten Jahre neu aufgewärmt - bislang ohne Folgen.

Die Österreichische Ärztekammer hat nun ein Modell präsentiert, dem zufolge der Vertrauensarzt - es kann sich dabei auch um einen Facharzt handeln - zur zentralen Figur in der Gesundheitsversorgung wird. Demnach soll der Hausarzt seine Patienten wie ein Lotse durch das Gesundheitssystem führen. Als erster Ansprechpartner in Gesundheitsfragen soll er die Patienten an jene Stelle verweisen, an der seine Erkrankung am besten behandelt werden kann. Die Realität jedoch sieht noch anders aus. Experten warnen sogar davor, dass sich in bestimmten Regionen die hausärztliche Grundversorgung möglicherweise gar nicht mehr aufrechterhalten lasse.

"Ärzte haben oft das Gefühl, hilflos den Begehrlichkeiten der Patienten ausgesetzt zu sein", sagt der niederösterreichische Arzt Günther Loewit und spricht damit ein heikles Thema an: wie Patienten ihrem Arzt zunehmend das Leben schwer machen - und letztlich sich selbst schaden. Rund 70 Prozent der in den Hausarztpraxen vorgebrachten Beschwerden seien nur harmlose Befindlichkeitsstörungen, betont Loewit. Der heutige "mündige" Patient aber suche im Internet nach einer passenden Krankheit und werde gleich auch mit dem entsprechenden Therapievorschlag vorstellig. Wenn der Arzt anderer Meinung ist, sucht sich der Patient einen neuen Doktor. "Standen die Menschen früher bei der täglichen Frühmesse vor dem Pfarrer und ließen sich die Hostie auf die Zunge legen, so macht die Religion Medizin es heute möglich, das Sakrament in Tablettenform selbst zu dosieren und einzunehmen", schreibt Loewit in seinem Buch "Der ohnmächtige Arzt" (Haymon Verlag).

Neue Krankheiten

Die Begehrlichkeiten der Patienten werden bewusst geschürt. "Die Pharmafirmen investieren in Lobbying und Awareness-Strategien über die Medien", erklärt Claudia Wild, Direktorin des Ludwig Boltzmann Institutes für Health Technology Assessment. Das funktioniert so: In Studien, die von der Industrie finanziert sind, werden neue Krankheiten entdeckt, medizinische Grenzwerte immer enger gefasst oder neue, angeblich bessere Medikamente angepriesen. Zugleich finanziert die Pharmaindustrie Patientengruppen, die mittels sogenannter Awareness-Kampagnen auf die angeblich unerkannten oder unterschätzten Erkrankungen und die neuen Behandlungsmöglichkeiten aufmerksam machen. Auf diese Weise werden Politik und Krankenkassen so lange unter Druck gesetzt, bis sie den vermeintlichen Patientenwünschen nachgeben. Das kostet viel Geld, das anderswo im Gesundheitssystem eingespart werden muss.

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