"Junge verstehen nur mehr US-Filme"

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Einst Star-Regisseur in Bayreuth, heute Filme- und Theatermacher, Schauspieler, Produzent: Demnächst kommt Patrice Chéreaus Film "Son frère" auch in die heimischen Kinos. Ein Gespräch übers Filmemachen, die Zukunft des europäischen Kinos sowie Chéreaus Freundschaft zu Michael Haneke und Luc Bondy.

Die Furche: Sie haben jüngst die Fronten gewechselt und in Michael Hanekes "Wolfzeit" als Schauspieler mitgewirkt. Was verbindet sie mit Haneke?

Patrice Chéreau: Er ist ein sehr guter Freund. Sie müssen wissen, man hat in meinem Beruf wenige Freunde. Die zwei, die ich habe, sind in Wien: Haneke und Luc Bondy. Hanekes Filme interessieren mich sehr, aber ich bin als Regisseur von ihm doch ziemlich weit entfernt. Was wir gemeinsam haben, ist wohl eine gegenseitige Bewunderung für den anderen.

Die Furche: In Hanekes und in Ihren Filmen fällt die Kompromisslosigkeit und ein Hang zur Radikalität auf.

Chéreau: Ja, das stimmt. Gut, wenn man das merkt.

Die Furche: Wie ist es, unter einem anderen Regisseur zu spielen, wenn man selbst Regisseur ist?

Chéreau: Einfach, denn ich versuche einfach, keine Probleme zu machen. Im Fall von "Wolfzeit" wollte ich Haneke einfach bei der Arbeit beobachten. Er macht diesen Beruf auf eine vollkommen andere Art als ich. Ich weiß ja nicht, wie meine Kollegen Filme machen. Es gibt kein Rezept dafür.

Die Furche: Sie haben jetzt mit "Son frère" einen anspruchsvollen Film über zwei Brüder und eine tödliche Krankheit gedreht, der in kürzester Zeit entstand.

Chéreau: Ich habe zwei Jahre meines Lebens verbracht, um ein großes amerikanisches Projekt, "Napoleon", vorzubereiten, das Anfang 2002 an der Finanzierung gescheitert ist. Das war lähmend. Danach habe ich eine Wette mit mir abgeschlossen: Nämlich ob ich es schaffe, einen Film ganz schnell zu schreiben und zu produzieren. Ich begann im Februar mit dem Drehbuch, im Juli wurde gedreht, Ende November war alles fertig. Im Februar 2003 war der Film bei der Berlinale und bekam den Regiepreis.

Die Furche: Schnell zu arbeiten bedeutet also nichtzwangsläufig, Fehler zu machen und schlampig zu werden.

Chéreau: Nein, gar nicht. Schnell zu arbeiten ist eine sehr gute Übung. Ich habe alles sehr einfach gehalten. Wir hatten ein Team, das nur aus acht Leuten bestand. Interessanterweise war das eine stressfreie Arbeitsweise. Ich werde das heuer noch einmal ausprobieren.

Die Furche: Ein anspruchsvoller, künstlerischer Film, der zur Abwechslung auch sein Geld macht...

Chéreau: Vollkommen! Ich habe als Produzent sogar Gewinne damit gemacht. Dieses Geld habe ich sofort in ein neues Projekt investiert. Eine perfekte finanzielle Rotation.

Die Furche: Schon in Ihrem Berlinale-Sieger "Intimacy" (2001) bemerkt man, welch große Bedeutung Körperlichkeit in Ihren Filmen hat. Was interessiert Sie so an Körpern und Körpersprache?

Chéreau: Ich interessiere mich vorwiegend für meine Schauspieler. Mein Beruf ist es, mit Schauspielern zu arbeiten, sie zu organisieren, und Geschichten durch den Schauspieler zu erzählen. Ich beobachte Menschen, lebendige Personen. Das hat sehr viel mit Erotik zu tun. Ein Schauspieler hat ein Gesicht, hat eine Persönlichkeit, hat einen Körper. Seine Masse ist entscheidend für das Auftreten der Person. Bei "Intimacy" wollte ich Körper ganz nahe zusammen bringen: Welche Sprache entwickelt sich daraus, wie kommunizieren Körper miteinander?

Die Furche: In "Son frère" zeigen sie, wie schnell Stärke in Schwäche umschlagen, wie leicht das Bild vom starken Mann kippen kann...

Chéreau: Genau darauf wollte ich hinaus. Es geht um einen Bruder, der immer der "kleine Bruder" war. Er vermittelt eine gewisse Schwäche, doch in Wahrheit ist er der Stärkere. Denn sein "großer Bruder", der das Bild eines kräftigen jungen Mannes vermittelt hat, liegt im Sterben. Der Unterschied zwischen jungen und älteren Brüdern ist wie ein Generationskonflikt, obwohl oft nur ein paar Jahre Altersunterschied dazwischen liegen.

Die Furche: Was interessiert Sie am Thema Krankheit und Tod?

Chéreau: In "Son frère" hat die Hauptperson eine seltene Krankheit. Es gibt sehr wenige Fälle, in denen diese Krankheit sich nicht heilen lässt. Man kann dann entweder binnen weniger Tage tot sein, oder auch erst in einem Jahr, aber auch erst in 15 Jahren. Ich stellte mir die Frage, wie es wohl ist, mit so einem Damoklesschwert leben zu müssen. Man muss dazu sehr stark sein. Ein sehr perverser Kampf mit sich selbst.

Die Furche: Leid kann man nur bewältigen, indem man es akzeptiert?

Chéreau: Kann sein. Zumindest kann man kämpfen. Ich gehöre zu jenen Menschen, die glauben, dass man wirklich gegen eine Krankheit ankämpfen und gewinnen kann.

Die Furche: Regisseure brauchen ein großes Selbstvertrauen. Woher nehmen Sie das?

Chéreau (lacht): Das ist schwer! Es handelt sich um ein riesiges Selbstvertrauen, gepaart mit unglaublich großen Zweifeln. Beides kommt gleichzeitig, was ziemlich unangenehm ist. Die Zweifel verschwinden auch dann nicht, wenn man Erfolg hat. Denn dann denke ich: Na gut, da habe ich eben Glück gehabt, dass niemand meine Fehler bemerkt hat! Oft weiß ich nicht, was ich eigentlich will, wenn ich eine Geschichte verfilme. Dann genügt es zu wissen, was ich nicht will. Ein Regisseur, der Nein sagt. Und dabei die Qualität seines Nein immer prüft und hinterfragt. Meistens gibt es eine innere Überzeugung, die man nicht erklären kann.

Die Furche: Es gibt in Frankreich eine Steuer auf Kinokarten, sodass auch der Erfolg amerikanischer Filme den französischen Film mitfinanziert.

Chéreau: Das hat sich seit 40 Jahren bewährt. Es kostet den Staat nichts, ist einfach und sollte in allen europäischen Staaten gemacht werden. Das Geld kommt so direkt an die Filmbranche zurück.

Die Furche: Wie sehen Sie die Lage des europäischen und des französischen Kinos in Zeiten, in denen europäische Filme immer weniger Zuseher haben?

Chéreau: In Frankreich gibt es einen gewissen Komfort, das ist ziemlich gemütlich. Man kann bei uns viel leichter einen Film machen, als etwa in England oder auch in Österreich. Trotzdem sinken auch in Frankreich die Zuschauerzahlen für einheimische Filme - wie überall. Ich habe Freunde, die am Samstag Abend lieber einen schlechten amerikanischen Film bevorzugen, als einen schlechten französischen. Weil dieser nicht so anstrengend ist. Das hat mit der Globalisierung zu tun. Das europäische Kino spricht eine Sprache, die die jungen Menschen heute nicht mehr sprechen. Das ist eine Muttersprache, die nicht mehr gesprochen wird. Die Jungen verstehen nur mehr die Sprache der amerikanischen Filme.

Das Gespräch führte Matthias Greuling.

Opern-, Theater-, Film-Starregisseur

Eigentlich kommt Patrice Chéreau vom Theater her. Der Sohn eines Malers, 1944 geboren, inszenierte bereits 1964 sein erstes Stück: "L'Intervention" von Victor Hugo. 1976 zeichnete er für die legendäre "Ring"-Inszenierung der 100. Bayreuther Wagner-Festspiele verantwortlich.

Doch auch das Kino reizte ihn, sein erster großerFilm war 1974 "Das Fleisch der Orchidee" mit Charlotte Rampling. Parallel dazu leitete Chéreau verschiedene Bühnen, darunter das Théâtre des Amandiers in Nanterre bei Paris. Ab den achtziger Jahren war Chéreau auch als Darsteller aktiv und spielte u.a. in Andrzej Wajdas "Danton" (1982). 2003 spielte er in Michael Hanekes Film "Wolfzeit" mit.

1994 wurde sein aufwändiges Historienepos "La Reine Margot" mit Isabelle Adjani mit Césars (dem französischen Pendant zum Oscar) überhäuft. In "Wer mich liebt, nimmt den Zug" (1998) brilliert ein gealterter Jean-Louis Trintignant in der Hauptrolle. Mit "Intimacy", das 2001 den Goldenen Bären in Berlin erhielt, erhitzte Chéreau aufgrund allzu expliziter Sexszenen die Gemüter. Theater macht er zur Zeit selten, zuletzt inszenierte er Racines "Phaidre" in Paris. Chéreaus letzter Film "Son frère" gewann 2003 den Regiepreis bei der Berlinale und kommt im April in die österreichischen Kinos. MG

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