K2 die Magie der Linie

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Starke Schneefälle bremsen Gerlinde Kaltenbrunner am K2 - doch ihre Route über den Nordpfeiler ist die eleganteste im Himalaya, um ihre Achttausender-Serie zu komplettieren.

Der K2 schaut von allen Seiten gleich aus: steil aufragend, scharf kantig, spitz zulaufend - das unterscheidet ihn von den meisten anderen Bergen, macht ihn zur grimmigen Pyramide unter den Gipfeln. Ob Großglockner, Mont Blanc, Mount Everest oder die anderen Höchsten und Schönsten: Sie alle zeigen von verschiedenen Seiten betrachtet andere Gesichter; sogar das Matterhorn, der bekannteste Berg der Welt, präsentiert sich nur aus dem klassischen Zermatter Blickwinkel mit seinem unverkennbaren Profil, während es seine "Hinterseite“ deutlich an Eleganz vermissen lässt. 41 Matterhörner wären nötig, um die Felsmasse zusammenzubekommen, aus welcher der K2 gebaut ist. "Berg der Berge“ und "Oberster aller Monarchen“ und "Vater der Berge“ nannte ihn wegen seiner Mächtigkeit wie Schönheit der italienische Geograf und Völkerkundler Fosco Maraini. "Killer“ schimpfte ihn der britische Himalaja-Doyen Chris Bonington, nachdem er 1978 seinen Freund Nick Estcourt am Westgrat durch eine Lawine verloren hatte.

Diese Erfahrung kennt die österreichische Profibergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner - bei ihrem Besteigungsversuch im Vorjahr ist ihr schwedischer Begleiter während der letzten Etappe auf dem Weg zum Gipfel vor ihren Augen tödlich abgestürzt. Kaltenbrunner schaffte es trotz dieses traumatischen Ereignisses unversehrt zurück ins Basislager. Der unerreichte Gipfel bleibt angesichts dieses gelungenen Rückzugs allein aus der Todeszone eine unerfreuliche Fußnote. Die Weltpresse fokussierte sich jedoch darauf, war Kaltenbrunner doch eine der Favoritinnen im Wettlauf um den Titel der ersten Frau auf allen 14 Achttausendern.

Von der "Maschek-Seite“

Heuer, jetzt versucht sie es wieder. Ihre heurige Routenwahl über den Nordpfeiler des K2 ist aus mehreren Gründen richtig: Erstens versucht sie den Berg, der sie so oft schon hat abblitzen lassen, dieses Mal von der "Maschek-Seite“ (wie die Wiener sagen) - das ist generell ein guter Ansatz, um scheinbar unlösbare Probleme zu lösen. Zweitens vermeidet Kaltenbrunner damit durch den sogenannten "Flaschenhals“ - der steilen, eis- und felsdurchsetzten Schlüsselstelle auf der südseitigen Normalroute - zu klettern, wo sie den Absturz ihres Kollegen aus nächster Nähe miterleben musste. Drittens kann sie auf dieser Route ihren Kritikern - allen voran Bergpapst Reinhold Messner - zeigen, dass sie nicht nur auf den ausgetretenen und mit Fixseilen anderer Expeditionen versicherten Normalrouten erfolgreich ist, sondern den "Qualitätssprung wagt, vom Tourismus zum Alpinismus, von der Piste in die Wildnis“ (Messner).

Und viertens: Der K2-Nordpfeiler gehört zu den elegantesten Touren im ganzen Himalaya, ist - bei aller Vorsicht, die bei solchen Bewertungen geboten ist - die schönste, weil logischste, weil kompromisslos über 3000 Höhenmeter zum Gipfel führende Route auf einen Achttausender.

Und nicht so schwierig, wie die in Frontalansicht aufgenommenen Bilder von der K2-Nordseite glauben machen und erschaudern lassen. Von der Seite betrachtet (Google Earth und einem im Internet abrufbaren und auch von Kaltenbrunner genützten 3D-Modell sei Dank, siehe www.dlr.de) zeigt sich der Nordpfeiler als ein sehr langer, nicht zu steiler (45 Grad) und gut abgestufter Eisgrat.

Gleichgewicht zwischen Idee und Realität

1982 wurde er von einer japanischen Expedition erstmals durchstiegen, nach einer Materialschlacht mit Tausenden Metern Fixseilen abgesichert. Sieben Bergsteiger erreichten (alle solo und ohne Sauerstoff!) den Gipfel, einer stürzte beim Abstieg und kam ums Leben. Im Jahr darauf wiederholte ein italienisches Team die Route. Seither fristet der Nordpfeiler mit wenigen Besteigungsversuchen im wahrsten Sinne des Wortes ein alpinistisches Schattendasein, konzentriert sich das Gros der K2-Aspiranten auf die Südseite, auf den Normalweg über den Abruzzensporn oder die technisch anspruchsvollste Route, die sogenannte "Magic Line“.

Der Name für diese Tour über den Südpfeiler stammt von Reinhold Messner. "Mit dem ihm eigenen Touch für Publicity und André-Heller-Schmonzes hatte er sie ‚Magic Line‘ getauft“, schrieben 1979 die beiden Spiegel-Reporter, die Messners Expedition als Berichterstatter begleiteten. Messner: "Diese Linie wird vom Berg selber suggeriert. Der Pfeiler ist so ideal, dass ich ihn gedanklich schon mehrfach begangen habe. Es wird dort darauf ankommen, das Gleichgewicht zu finden zwischen der Idee und der Wirklichkeit.“

Messner konnte dieses Gleichgewicht nicht finden. Gemeinsam mit einem Begleiter bestieg er daraufhin den K2 über den Normalweg. Eine großartige Leistung. Doch obwohl es bis dahin noch keiner geschafft hat, den Berg in einer so kleinen Mannschaft und so schnell zu besteigen, wurde Messner heftig kritisiert. Er hatte die Erwartungen an ihn selbst so hochgeschraubt, dass man seinen Erfolg "nur“ über den Normalweg als Abweichen vom Messner-Stil geschimpft hat. Für diesen Stil hat Messner selbst den philosophischen Überbau geliefert: "Die Möglichkeit, bei Erstbegehungen an einem großen Berg eine Linie zu ziehen, die vorher niemand anderer gedacht hat, war für mich nicht nur eine bergsteigerisch-technische Frage. Der schöpferische Akt dabei beschäftigte mich. Man kann diese Linie zwar nicht sehen, sie ist aber doch vorhanden: Das Nichts, das doch da ist, weil es gedacht worden ist, der Aufstieg als ein Weg, sich selbst auszudrücken.“

Doch am K2-Südpfeiler sah Messner kein Durchkommen: "Das wäre nicht nur russisches Roulette gewesen“, erklärte er: "Das wäre, wie wenn wir Guillotinen in ein Irrenhaus bringen, uns draufschnallen und warten, bis die Irren den Hebel finden, der das Fallbeil auslöst.“

Jerzy Kukuczka, der mittlerweile abgestürzte zweite Bergsteiger hinter Messner, der alle Achttausender schaffte, hat sich 1986 mit einem Begleiter auf diese "Guillotine“ geschnallt - und Messners "Magic Line“, den Südpfeiler des K2, durchstiegen, durchgekämpft, durchgelitten. Aufgrund der Schwierigkeiten im Fels schaffte Kukuszka am fünften Tag der Tour nur zwanzig Meter. Die Anstrengungen dabei raubten ihm das Bewusstsein, er verlor die Kontrolle über seine Körperfunktionen, urinierte in die Hose … Aber nach sechs Tagen übermenschlicher Kraftanstrengungen ist die "Magic Line“ entzaubert, haben die beiden Polen der kühnsten Route am K2 den Unbesteigbar-Nimbus geraubt. Kukuczka sagte nach seiner Rückkehr, Ostblock-Bergsteiger seien wie Ostblock-Autos: Nicht so schick wie West-Wagen, aber dafür fahren sie immer, auch wenn es sehr holprig wird.

Cinderella Caterpillar

Gerlinde Kaltenbrunner ist auf der gegenüberliegenden Seite der Magic Line mit einem West-Ost-Team unterwegs: Neben ihrem deutschen Mann, sind auch ein Argentinier, ein Pole und zwei Kasachen mit von der Partie. Kasachische Bergsteiger haben ihr auch bei ihrer Besteigung des Nanga Parbat 2003 aufgrund ihrer Wühlarbeit beim Spuren durch den tiefen Schnee den ehrenvollen Spitznamen "Cinderella Caterpillar“ verliehen. Viel Kondition wird sie auch dieses Mal aufbringen müssen - und Können und Glück sowieso. Denn beim K2 funktioniert schon überhaupt nicht, was Messners Tochter Láyla einmal als kleines Kind vorgeschlagen hat: Warum warten die Bergsteiger nicht, bis sich die Berge zum Schlafen niederlegen, um auf ihre Gipfel zu steigen? Wenn die Berge in der Frühe aufstehen, meinte das Bergsteigerkind, dann wäre ihr Papa oben - und die anderen auch. Aber das wäre zu einfach, dann wären die Grate des K2 nur Fels und Eis, so aber sind sie "Magic Lines“.

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