Kämpfen oder kuscheln?

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Irgendwo zwischen Struwwelpeter und antiautoritärer Pädagogik suchen die Eltern von heute ihren Erziehungsstil. Doch wieviel Demokratie braucht das Eltern-Kind-Verhältnis? Darüber - und über PISA - diskutieren der Psychologe Heinz Zangerle, die Montessori-Pädagogin Saskia Haspel und Gerald Faschingeder von der Katholischen Jungschar.

Die Furche: Ist oder war es bei Ihnen zu Hause üblich, dass der Nikolaus vor den Kindern ein Sünden- oder Gute Taten-Register verliest?

Gerald Faschingeder: Ich wurde Gott sei Dank nie zur Konfrontation mit Nikoläusen gezwungen. Ich halte solche Bilanzdarstellungen auch für eine missbräuchliche Verwendung der Nikolaus-Figur. Wenn Erziehung stattfindet, dann zwischen Eltern und Kindern und nicht mit externen, verkleideten Gästen, die am 6. Dezember etwas nachholen sollen, was die Eltern nicht geschafft haben. Wenn ich selbst als Nikolaus gehe, dann gibt es keine Listen, sondern Bibel-Geschichten oder Heiligenlegenden.

Saskia Haspel: Auch ich halte überhaupt nichts davon, dass Nikoläuse und Krampusse eingeladen werden, um Kindern etwas vorzuhalten, womit ihre Eltern nicht einverstanden sind. Die Eltern haben die Aufgabe, mit ihren Kindern darüber zu reden, was gut läuft und was nicht gut läuft.

Heinz Zangerle: Ich bin zwar sehr dafür, dass wir mit Autoritäten arbeiten, aber nicht mit fremden. Ich halte den Nikolaus und Krampus für eine nicht greifbare Autorität - und das ist die Begründung, warum ich mit derlei Formen nichts am Hut habe. Sehr wohl aber mit elterlicher Autorität.

Die Furche: Wie viel Autorität es in der Erziehung braucht, ist umstritten. Überhaupt herrscht in der Erziehung große Unsicherheit. Sie, Herr Zangerle, beklagen in Ihrem Buch "Einfach erziehen", dass viele Eltern gar nicht mehr erziehen würden. Wie kommen Sie zu dieser Aussage?

Zangerle: Ich komme auf Grund meiner dreißigjährigen Erfahrung als Kinderpsychologe in Tirol und als Geschäftsführer der Erziehungsberatungsstelle des Landes zu dieser Meinung. Das ist eine Art Resümee. Man glaubt, mit Laissez-faire wird sich das Kind schon entwickeln. Das ist eine Ideologie, die von Büchern wie jenem von Judith Hareis noch verstärkt wird, wo sie sagt: Erziehung ist eigentlich sinnlos. Eltern haben höchstens die Aufgabe von Fabriksarbeitern mit Wartungsfunktion. Die entscheidenden Faktoren sind die Gene, die Peer-Gruppe und die Medien. Das ist ein Freibrief für die Eltern, sich unschuldig zu fühlen, wenn es einmal nicht klappt - und ihre Verantwortung an Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen zu delegieren.

Haspel: Es gibt sicher eine große Unsicherheit bei Eltern - einerseits, weil sie sich zurückerinnern und bei ihren Kindern einiges anders machen wollen. Andererseits gibt es auch unglaublich viele, einander widersprechende Ratgeber, sodass diese Unsicherheit noch geschürt wird. Ich glaube aber schon, dass Eltern heutzutage sehr viel Unterstützung hinsichtlich Erziehungsfragen brauchen - wobei ich statt von Erziehung eher von Begleitung sprechen möchte, denn wir wollen Kinder nirgendwo hinziehen, sondern sie in ihrer Entwicklung fördern.

Faschingeder: Erziehung ist nichts einfaches, doch das war es auch früher nicht. Man hat sich einfach weniger Gedanken darüber gemacht. Die Eltern, mit denen ich zu tun habe, wissen jedenfalls sehr gut, was sie wollen. Sie entscheiden sich auch sehr bewusst, ihr Kind in die Jungschar zu schicken - oder sie stellen es bewusst infrage, dass ihr Kind mit der Kirche etwas zu tun hat.

Die Furche: Eine wesentliche Frage ist, ob das Eltern-Kinder-Verhältnis durch ein Machtgefälle oder eher freundschaftlich geprägt sein soll. Der Autor Till Bastian vertritt hier eine extreme Auffassung. Seine These lautet: "Kinder brauchen böse Eltern"...

Zangerle: Ich glaube nicht, dass Kinder böse Eltern brauchen, aber Kinder brauchen Eltern mit Ecken und Kanten, Eltern, die zu ihren Überzeugungen stehen. Die Eltern würden schon wissen, wie es geht - wenn man sie nur ließe. Erziehung ist ja keine Wissenschaft und auch nicht so schwierig, wie sie dargestellt wird. Doch es gibt vielerlei Geschäfts- und Lobbyinteressen von Psychologen und Psychotherapeuten hinter dieser Meinung. Man müsste den Eltern wieder sagen: Ich sollt keine GummiwandEltern sein und eure Kinder nach den Prinzipien der Coolness und der Freundschaft erziehen. Ein Vater, der glaubt, er muss der Freund seines pubertierenden Buben sein, macht ihn zum Halbwaisen. Insofern sind "böse Eltern" zu fordern - Eltern, die die Familie auch einmal als Kampfsportverein sehen und nicht bloß als Kuschelwiese.

Haspel: Ich glaube nicht, dass unsere Zeit ein "Laissez-faire" fordert. Das war irgendwann in den 60er Jahren modern. Eltern wissen längst, dass Kinder Regeln und Grenzen brauchen. Die derzeitige Unsicherheit bezieht sich eher darauf, wie man diese Grenzen setzt und gleichzeitig respekt- und liebevoll bleibt.

Faschingeder: Beim Thema Grenzen-Setzen sind wir konsensfähig. Nicht aber dort, wo Sie, Herr Zangerle, die Familie als Kampfsportverein betrachten. Dieses Sprechen von Kuschelpädagogik finde ich polemisch und unzutreffend. Wenn man die Familie als Kampfsportverein sieht und einen autoriativen Stil fordert, dann wird mir ein bisschen anders. Denn in der Erziehung geht es immer um die Frage: Erziehung wohin? Was ist das Menschenbild? Bekenne ich mich zu einer Form des Menschseins, die sagt: Demokratisch miteinander umzugehen ist gut? Oder sage ich: Das führt zu einer Kuschelpädagogik, ich habe lieber einen "Kampfsportverein". So eine Erziehung finde ich problematisch.

Zangerle: Ich glaube sehr wohl, dass Erziehung zur Demokratie erziehen soll, aber der Alltag der Erziehung hat mit Demokratie relativ wenig zu tun. In der Erziehung muss es "Chefs" geben, Mutter und Vater, die bewusst auch mit Macht agieren, wobei Macht natürlich nicht Gewalt ist. Fangen wir mit der Kinderernährung an, gehen wir über zum Hausübung machen, zu den Ausgehzeiten, zum Süßigkeits- und Medienkonsum: Ohne Macht läuft hier nichts. Das ist eine falsche Ideologie, die zum Teil von Ihrer Seite und zum Teil von der Alternativpädagogik verbreitet wurde, dass man geglaubt hat, Erziehung sei eine Demokratieveranstaltung. Ich mag das Wort Erziehung deshalb gern, weil es ausdrückt, dass Erziehung auch mit Aggression und Gegenaggression zu tun hat. Die Eltern müssen gerade bei Pubertierenden in die Position des Gegenspielers gehen, sonst suchen sich die Jugendlichen die Gegenspieler außerhalb des familiären Systems - bei Polizei und Justiz.

Haspel: Montessori-Pädagogik, Waldorf-Pädagogik und viele "alternativpädagogische" Ansätze haben eine sehr klare Vorstellung von Regeln und Grenzen. In der Montessori-Pädagogik geht es darum, klare Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer sich Kinder und Jugendliche frei entwickeln können. Strafen gibt es nicht, Konsequenzen sehr wohl.

Faschingeder: Wenn es um die Frage der Konsequenz geht, dann fehlen mir beim Herrn Zangerle die Worte Einsicht, Argument und Begründung. Es geht ja auch um einen Lernprozess, um das Erkennen - und dazu brauche ich keinen Chef. Gerade das finde ich übrigens sehr beunruhigend in einer Zeit, wo in der Politik eine Entdemokratisierung sondergleichen stattfindet, wo der ORF eingeschwärzt wird und dann die ÖH-Bundesvertretung. Hier spiegelt sich das wider, was sich Herr Zangerle auf pädagogischer Ebene wünscht: Ein Chef reicht, da braucht es keine Demokratie.

Zangerle: Ich habe klipp und klar gesagt, dass Erziehung sehr wohl zu Demokratie hinführen soll, aber dass der pädagogische Alltag nicht immer demokratisch laufen wird. Man kann nicht übers Zähneputzen abstimmen. Es muss einfach einen Satz von Regeln geben, die nicht permanent zur Disposition stehen. Kinder sind nur in wenigen Fragen gleichberechtigt, sie sind aber gleich würdig. Sagen Sie mir, wie Sie demokratisch der Tatsache begegnen wollen, dass immer mehr Kinder übergewichtig sind oder mit Gewaltspielen spielen. Gerade im Medien-Bereich muss man aktiv erziehen und auch einmal den Aus-Knopf drücken.

Faschingeder: Ich habe überhaupt nicht gesagt, dass alles von selber läuft: Die Erziehenden müssen natürlich ihre Rolle wahrnehmen. Aber es geht um die Haltung, mit der man das tut. Sagt man: Wir können nicht über die Regeln des Zähneputzens diskutieren! Oder gibt es Regeln, die man gemeinsam vereinbart? Es geht um die Möglichkeit des Kindes, zu diskutieren und in die Verantwortung hineinzuwachsen. Dann müssen sie auch nicht erst bei der Polizei an Grenzen stoßen. Wenn viele Kinder nicht vom Computer weggehen, dann sind das aus meiner Sicht Symptome dafür, dass die Beziehungspersonen nicht ausreichend präsent sind. Tatsache ist heute, dass viele Eltern kaum anwesend sind, dass der Arbeitsdruck steigt und dass in manchen Familien die Elternrollen nur teilweise besetzt sind. Das führt zu Verhaltensweisen, die problematisch sind.

Haspel: Ich halte es für verkürzt zu sagen: Wenn Positionen in Familien nicht besetzt sind, also bestimmte Elternteile nicht da sind, dann führt das zu Problemen. Wir wissen, dass auch Kinder aus so genannten völlig intakten Familien Probleme haben können und umgekehrt viele allein erziehende Mütter oder Väter wunderbare Entwicklungsräume für ihre Kinder schaffen.

Die Furche: Tatsache ist, dass immer öfter beide Elternteile berufstätig sind. Vielfach wird dann darauf hingewiesen, dass die rare Zeit umso intensiver mit dem Kind verbracht wird. Stichwort: Quality-Time ...

Zangerle: Ich glaube, dass die Firma Familie Auslagerung betreibt, wie es in den letzten tausend Jahren nicht geschehen ist: Zeit, Beziehung, Wärme - all diese Ressourcen werden zunehmend ausgelagert. Was damit entsteht, ist das Motto "Hetzen statt herzen" - oder eben die amerikanische Quality-Time-Philosophie. Jeder weiß aber, dass Beziehungen nicht auf Knopfdruck funktionieren. Beziehung braucht Muße. Die Alternative ist sicher nicht die Frau, die zu Hause ist und bügelt, sondern es sind die Eltern, die einfach Zeit haben. Die Konsequenz dieser Quality-Time ist am Ende jene Förderhysterie, die derzeit schon im frühen Kindesalter blüht.

Faschingeder: In diesem Befund stimme ich Ihnen zu. Diese Vorstellung der Machbarkeit des Produkts Kind halte ich für sehr problematisch, auch aus christlicher Sicht. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes - und er ist nicht herstellbar. Wo ich aber widersprechen möchte, ist die Behauptung, dass die Familie in den letzten tausend Jahren immer Wärme gespendet hat. Die Familie in der Form, wie wir sie kennen oder auch ideologisch überhöhen, ist ein Produkt des bürgerlichen Zeitalters. Vor tausend Jahren haben die Menschen eine ganz andere Vorstellung von Kinder-Erziehung gehabt. Das sieht man bei außereuropäischen Gesellschaften, wo oft ältere Kinder für jüngere Kinder Verantwortung übernehmen. Hier ist es normal, dass sich verschiedenste Gruppen an der Menschwerdung beteiligen.

Haspel: Bei einem ganz kleinen Baby macht es schon einen Unterschied, ob viel Zeit und Mutter- oder Vaterwärme da ist - oder ob es schon als Säugling in eine Kinderkrippe kommt. Wobei wir auch sehen müssen, dass es Lebensrealitäten gibt, wo das eine gute Lösung sein kann. Bei einem Jugendlichen schaut das anders aus. Die Frage ist: In welchem Abschnitt braucht ein Kind genau was? Zwischen drei und sechs Jahren geht es ja auch darum, soziale Kompetenz zu erwerben. Warum nicht im Kindergarten? Hier sollten wir gerade die Frauen nicht noch mehr unter Druck setzen. Ich bin deshalb sehr dafür, dass es Einrichtungen gibt, wo man weiß, dass die Kinder dort gut aufgehoben sind, während man arbeiten muss oder will. Genauso muss es möglich sein, dass eine Mutter oder ein Vater sich entscheidet, zu Hause zu bleiben - ohne dass sie unter gesellschaftlichen Druck geraten.

Die Furche: Inwiefern haben die Eltern aber überhaupt Einfluss auf die Entwicklung der Kinder? Wie viel Macht haben Freunde und Medien?

Faschingeder: Ich sehe es wie gesagt nicht als Problem, dass verschiedenste Personen sich am Erziehungsprozess beteiligen. Ich halte eher die Vorstellung, dass die Eltern das Monopol auf die Erziehung haben, für beunruhigend. Je älter die Kinder werden, desto größer ist das Autonomiebedürfnis und desto klüger ist es auch für sie, Medien zu konsumieren und mit Freunden unterwegs zu sein. Natürlich gibt es auch Einflüsse, die ganz andere Intentionen haben: etwa die Werbung. Die Frage ist: Wieviel Selbstvertrauen hat der Jugendliche, diesen Dingen kritisch gegenüberzustehen? Dafür braucht es wieder eine demokratische Erziehung.

Zangerle: Ich halte es eher für gefährlich, wenn man den Eltern immer wieder sagt, die Gene, die Peergroup und die Medien sind die eigentlichen Erzieher. Manche Eltern dürften sich durchaus Schuldgefühle machen - vor allem angesichts der Vergötzung von Einkommen und Kommerz: Zwei Autos zu haben ist den Leuten manchmal wichtiger, als dass sie ein, zwei Jahre auf ein zweites Einkommen verzichten - wobei ich nicht sage, dass die Frau verzichten soll, sondern die Paare. Derzeit übernehmen wir aber zum Teil die DDR-Krippenmentalität und kollektivieren die Kindheit, ohne uns zu fragen, was einjährige Kinder wollen würden, wenn man sie fragen würde. Da beginnen für mich demokratische Fragen.

Faschingeder: Nach Lektüre Ihres Buches bin ich mir nicht so sicher, wie sehr Sie der Meinung sind, dass die Paare und nicht die Frauen zu Hause bleiben sollen. Aus Jungscharsicht haben wir jedenfalls versucht, Bewusstseinsbildung für die Väterkarenz zu machen. Die Mehrzahl der Väter, die derzeit in Karenz gehen, sind arbeitslos. Hier ist viel zu tun.

Die Furche: Allgemein wird geklagt, dass die Männer im Zuge des Erziehungs- und Bildungsprozesses immer mehr verschwinden ...

Haspel: Das ist ein umfassendes gesellschaftspolitisches Problem: Tagesmütter und Kindergärtnerinnen gibt es fast nur weibliche, Volksschullehrerinnen sind zu einem hohen Prozentsatz weiblich, in den Hauptschulen ist es halbwegs ausgeglichen, in der AHS werden es immer mehr Männer und bei den Universitätsprofessoren sind es fast nur Männer. Solange es in Österreich diese Hierarchie gibt, wird diese Verteilung auch so bleiben. Im PISA-Siegerland Finnland hingegen ist die Bezahlung der Kindergärtnerinnen höher als die der AHS-Professoren. Und zweitens hat mir einmal eine finnische Volksschuldirektorin einen Satz gesagt, der offenbar alle in der finnischen Bildungslandschaft vereint: Kein Kind darf beschämt werden! Das hat mich sehr beeindruckt, weil unser Schulsystem von Beschämung und vom Blick auf den Fehler lebt.

Zangerle: Das ist eine maßlose Übertreibung. Ich würde eher sagen, dass der Trend in die völlig andere Richtung geht, nämlich dass an den Schulen "alles easy", und spielerisch gehen muss. Die Prinzipien des offenen Lernens haben schon ihre Berechtigung, sie sind aber für bestimmte Schüler nicht geeignet - man denke an den guten alten Zappelphilipp, an konzentrationsgestörte Kinder, die im Lärm der Gruppen einfach untergehen.

Haspel: Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, dass offenes Lernen nicht für jedes Kind passen kann. Doch Montessori-Pädagogik hat mit offenem Lernen überhaupt nichts am Hut. Montessoripädagogik heißt, zu fragen: Was braucht dieses Kind jetzt für seine Entwicklung? Bei einem "Zappelphilipp" werden wir uns also fragen: Welche Situationen braucht dieses Kind, um in der Schule seine Arbeit erledigen zu können und womöglich auch das Zappelphilipp-Syndrom loszuwerden? Und zum "Lärm": In einer gut geführten Montessori-Klasse herrscht kein Lärm, ganz im Gegenteil. Die Kinder sind sehr ruhig, weil sie sich mit Dingen beschäftigen, die zu ihrem Entwicklungsstand passen.

Die Furche: Apropos Schule: Für den Absturz bei PISA hat die Bildungsministerin auch die Eltern verantwortlich gemacht, die sich zu wenig um die Kinder kümmern würden. Hat sie Recht?

Faschingeder: Ich sehe das als typische Strategie einer Politikerin, Verantwortung abzuschieben. In diesen Debatten über PISA steckt aber auch viel Hysterie. Hier wird jener Wettkampfsport betrieben, den Sie sich, Herr Zangerle, für die Familien wünschen. Bei PISA geht es nur um Standort-Faktoren und Vergleichszahlen. Aber davon abgesehen müssen wir schon sehen, dass in den letzten Jahren rund 9.000 Lehrerposten weggefallen sind. Man muss den Zappelphilipps auch mit mehr Begleitlehrern begegnen.

Zangerle: Auch ich halte die Panikmache um die PISA-Studie für absolut überhöht, denn ich glaube, dass unser Schulsystem Spitzenleistungen erbringt und wir keinen Grund haben, den Lehrern immer den Teppich unter den Füßen wegzuziehen. Aber ich glaube, dass die Debatte über die Eltern-Verantwortung wichtig ist. Faktum ist, dass viele Kinder nicht schulfähig in die Schule kommen, dass die Zahl der Verhaltensstörungen steigt. Man kann von der Schule nicht erwarten, dass sie die Reparaturwerkstätte der Gesellschaft ist.

Haspel: Ich bin auch dafür, dass die Schule nicht überfrachtet wird. Aber wenn man jetzt sagt, dass der Grund für das schlechte Abschneiden darin liegt, dass sich die Eltern zu wenig mit den Kindern beschäftigen, dann ist das Blödsinn. Das ist ein multifunktionales Problem. Die Frage ist eher: Was muss Schule wirklich leisten? Geht es nur um das Lesenlernen - oder geht es auch um etwas anderes? Wenn Schule gut läuft, dann hängt das nach unseren Erfahrungen meist mit einem großen Engagement der Lehrerinnen und Lehrer zusammen. Dieses Engagement würde ich mir in Zukunft öfter wünschen - nicht nur, damit die Kinder bei irgendwelchen Lesescreenings gut dastehen, sondern damit sie sich als Menschen gut entwickeln.

Das Gespräch moderierte Doris Helmberger.

EINFACH ERZIEHEN

Die Alternative zu Kuschelpädagogik und Psychoboom

Von Heinz Zangerle. Verlag Ueberreuter, Wien 2004. 160 Seiten, geb., e 17,95.

Nähere Infos zur Katholischen Jungschar und zur Montessori-Pädagogik: www.jungschar.at, www.montessori.at

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