Kärntens neue Identität

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Das Verfassungsgericht hat erkannt, die Bundesregierung hat verhandelt: Das Thema der zweisprachigen Ortstafeln in Kärnten steht vor seiner möglichen Erledigung. Das könnte befreiend wirken. Den Preis dafür bezahlen die Slowenen.

Kärnten steht an der Schwelle zu einer neuen Epoche: Das Land im Süden könnte die mühselige Angelegenheit zweisprachiger Ortstafeln positiv erledigen und dann - hoffentlich wirklich frei und ungeteilt - in eine neue Ära aufbrechen.

Zwei Ereignisse sind es, die darauf hoffen lassen: Der Verfassungsgerichtshof hat die letzten einschlägigen Beschwerden im Februar abgearbeitet. Und die Bundes- hat mit der Kärntner Landesregierung einen Kompromiss erzielt, der eines letzten Feinschliffs bedarf, um Gesetz zu werden. Ehe dieses Gesetz nicht im Bundesgesetzblatt stehe, sei das Ziel nicht erreicht, sagte der Chefverhandler aus Wien, Staatssekretär Josef Ostermayer zutreffend. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Gesetz vor dem Sommer beschlossen und das Erkenntnis fristgerecht bis Herbst umgesetzt wird, ist hoch.

Die Sache ist überfällig, zu viele sind ihrer schon überdrüssig. Der Preis für die jetzt mögliche Lösung ist ohnedies hoch und bitter: Über Jahrzehnte hat Kärnten, angeführt von der Freiheitlichen Partei, eine nationalistische Abwehrschlacht gegen die Erfüllung des Staatsvertrages geliefert. Als Folge davon ist der Anteil der slowenischsprachigen Bevölkerung drastisch zurückgegangen.

Mit Tricks die Rechte vorenthalten

Es ist eine Schande für das Land. Vor fünf Jahren begrüßte, neben anderen, eine nach Kärnten angereiste Delegation des Europäischen Parlaments die von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel forcierte Aufstellung von 158 zweisprachigen Ortstafeln. Der Rückgang des slowenischsprachigen Anteils an der Bevölkerung Kärntens sei "zum Teil alarmierend“, hieß es in deren Stellungnahme: "Es hat den Anschein, dass formalrechtlich mit allen möglichen Tricks die Minimalrechte zum Schutze dieser Minderheit hinausgezögert wurden.“ Wie wahr.

Die unter Wolfgang Schüssel verhandelte Lösung wurde 2006 von der SPÖ inklusive Slowenenvertretern vereitelt, um dem Kanzler nicht in einem Wahljahr einen Erfolg zu verschaffen. Der Fluch der bösen Tat hat fünf Jahre gehalten.

In seinem jüngsten und letzten Erkenntnis schildert der Verfassungsgerichtshof hoch elaboriert die Vorbringungen der Kärntner Landesregierung, was die Parlamentarier bestätigt: Mit Tricks wurden der Minderheit Rechte vorenthalten. Darunter hat sie gelitten, auch quantitativ: Wurden 1961, wenige Jahre nach Abschluss des zweisprachige Ortstafeln vorschreibenden Staatsvertrages, in Kärnten noch 25.000 slowenischsprachige Personen gezählt, waren es bei der Volkszählung 2001 nur mehr 13.000. Die instrumentalisierte, hoch aggressive Ablehnung des Slowenischen durch und in Kärnten hat ihre negative Wirkung nicht verfehlt. Das mühsame Zählen und die vielen Kämpfe haben die Slowenen ermüdet. Die höchst unterschiedlichen Angaben bei den Zählungen des vorigen Jahrhunderts lassen ja weniger auf Migration als vielmehr auf Repression schließen.

Prozentsätze sind politische Konstruktion

Die rechtlichen Richtwerte von zehn Prozent und die politischen von 17,5 Prozent Slowenen sind, wie es Beteiligte ausdrücken, erst durch historische Ableitungen und Interpretationen zustandegekommen. Die Frage, welcher Prozentsatz an Slowenen wo erreicht sein muss, um dem Zweisprachigkeitsgebot des Staatsvertrages folgen zu müssen, "ist wissenschaftlich nicht exakt lösbar“ und "insofern eine politische“ Frage. Das befand 1975 die Kärntner Ortstafelkommission, die der Verfassungsgerichtshof 2011 zitiert.

Es war die Politik, die Lösungen verhinderte. Es liegt an ihr, auch an den Slowenenvertretern, das zu beheben. Selbst wenn Kärnten durch die Lösung der Ortstafelfrage ein identitätsstiftendes Element verliert - der Zugewinn an Freiheit und an Möglichkeiten durch gelebte Gemeinsamkeit in Vielfalt ist hoch zu bewerten. Wer zweisprachige Ortstafeln so betrachtet, wird sie begrüßen, auch als das Ende eines Abwehrkampfes. Diesem fehlte bei einer nicht von der Hitze des Gefechtes befeuerten Betrachtung längst die Geschäftsgrundlage.

* claus.reitan@furche.at

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