Kafkas Sprache mit Slapsticks verblödelt

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Das Theater in der Josefstadt versucht mit "'Kafka'. Ein Projekt von Elmar Goerden" die andere, die komische Seite von Franz Kafka zu zeigen und scheitert daran kläglich. Kafka wird zum albernen Jedermann, auf psychologisches Mittelmaß heruntergebrochen.

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Das Theater in der Josefstadt versucht mit "'Kafka'. Ein Projekt von Elmar Goerden" die andere, die komische Seite von Franz Kafka zu zeigen und scheitert daran kläglich. Kafka wird zum albernen Jedermann, auf psychologisches Mittelmaß heruntergebrochen.

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"Ich kann auch lachen, Felice, zweifle nicht daran", versicherte Franz Kafka Anfang des Jahres 1913 seiner Brief-Geliebten Felice Bauer. Tatsächlich hält sich bis heute hartnäckig das Gerücht, dass er das gerade nie getan hat. Das Bild von Kafka ist geprägt vom Klischee des asketischen, neurotischen, introvertierten Dichters, seine Literatur gilt als weitgehend humorlos, überragt von stereotypen Bildern labyrinthischer Bauten, albtraumhafter bürokratischer Institutionen und ihnen hilflos ausgelieferter Individuen. In dem Zusammenhang fällt dann meist das Wort "kafkaesk".

Akribische Selbstbeobachtung

Über Kafkas Leben wissen wir viel. Wie kaum ein anderer vor und nach ihm hat er die Subjektivierung und Literarisierung der eigenen Identität vorangetrieben. Er führte akribisch Tagebuch, in welchem er die Form der Selbstbeobachtung radikalisierte, dazu trieb Kafka ein anschwellender Mitteilungswille, was sich in unzähligen Briefen niedergeschlagen hat.

Elmar Goerden hat nun aus der Dichte der Überlieferung das Projekt "Kafka" (mit Anführungszeichen) kompiliert. Als Hauptquelle dienen Goerden die über 500 Briefe oder Postkarten, die der Angestellte der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt an Felice Bauer, mit der er sich zweimal verlobt und ebenso oft entlobt hat, zwischen September 1912 und Oktober 1917 geschrieben hat.

Die Korrespondenz zwischen den beiden kann wohl zur ungewöhnlichsten gezählt werden, die jemals öffentlich geworden ist. Kafka schreibt ihr täglich, manchmal mehrmals am gleichen Tag, dann fallen Sätze wie dieser: "Vorläufig schicke ich diesen Brief so weg, ich schreibe heute wohl noch einige Male". Er bittet sie, zwingt sie ihm mindestens zweimal täglich zu schreiben. In diesen Briefen scheinen die Brennpunkte seiner Existenz immer wieder auf: Vaterkonflikt, Angestelltendasein, Schaffensprozess, Einsamkeit, Krankheit. Immer wieder schreibt er auch von Phasen depressiver Leere, die mit immer stärkerer Intensität wiederkehren, von Stumpfheit, Gleichgültigkeit, Langeweile, Sinnlosigkeit, Schwäche, Unmöglichkeit mit Menschen zu reden oder zu leben, von seiner Schlaflosigkeit, gesteigerten Lärmempfindlichkeit, chronischen Kopfschmerzen.

Liebesbrief statt Liebe

Wofür Goerden sich offensichtlich interessiert hat: Wie sich Kafka in seine Liebe zu Felice hineinschreibt und sich die ihre erschreibt. "Wenn es wahr wäre, dass man Mädchen mit der Schrift binden kann?" heißt es in einem Brief vom Juli 1912 an den Freund Max Brod. Es wechseln die Zeilen der Annäherung und Werbung mit solchen voller Selbstzweifel und Abwehr. Klagelaute des Vermissens schlagen jäh um in Gefühlskälte und höfliche Gesten der Distanzierung.

Die Regie fokussiert auf diese Substitution der Liebe durch den Liebesbrief. Tatsächlich treten für Kafka die Briefe an die Stelle des persönlichen Kommens. Sie haben die Funktion, spezifische Nähe gerade zu verhindern. Vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen mag diese Ambivalenz für manch einen komisch wirken. In Goerdens Projekt wirkt das aber nur albern. Denn auf der etwas simplen, schwarz-weiß gehaltenen Bühne, die drei ineinander gestellte aufgeklappte Bücher darstellen soll, erscheint der Protagonist "Kafka" vervierfacht (Alexander Absenger, Peter Kremer, André Pohl, Toni Slama), ohne dass dafür der leiseste Grund ersichtlich würde. Etwas später kommt noch Maria Köstlinger dazu. Abwechselnd rezitieren sie aus den Tagebüchern, aus Erzählungen, wie etwa aus der die Beckett'sche Absurdität vorwegnehmenden Erzählung "Der große Schwimmer" oder aus den Briefen an Felice. Goerdens vier "Kafkas" wirken aber wie biedere Bewohner einer Männer-WG, die alle gleichzeitig in die Midlife-Crisis geraten sind. Dieser "Kafka" ist nicht der leidend Liebende, der an seiner Einsamkeit als Schreibender schier zugrunde geht, sondern ein hypochondrischer Sonderling oder noch schlimmer, ein auf psychologisches Mittelmaß heruntergebrochener alberner Jedermann.

Zwischen den Texten dürfen die vier slapstickartige Szenen mit Kissen, Topfpflanzen, Bilderrahmen, Stühlen und Tischchen zum besten geben. Da wird die Dürftigkeit dieses Projekts am offenkundigsten. Das Gefälle zwischen Kafkas Sprache und diesen szenischen Darbietungen ist nämlich derart steil, dass einem als Zuschauer heiß und kalt wird. Man fühlt sich, wie Kafka sich bei seiner ersten Verlobung mit Felice Bauer in deren Elternhaus gefühlt haben mag, was er in seinem Tagebuch mit den Worten festgehalten hat: "War gebunden wie ein Verbrecher."

"Kafka"

Theater in der Josefstadt, 4., 5., 6. Mai

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