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In der Öffentlichkeit interessiert sich kaum jemand für das Europäische Parlament. Es ist bedeutsamer und besser als sein Ruf, für den vor allem seine Kritiker sorgen.

Der Schock sitzt Parlamentariern sowie Mitarbeitern der Europäischen Union tief in den Knochen und ist allgegenwärtig. Michael Ebner, seit 15 Jahren Abgeordneter zum Europäischen Parlament und Politiker der Südtiroler Volkspartei, drückt aus, was schockt: "Wenn tatsächlich nur 20 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gehen, dann haben das Parlament und die EU wirklich ein Problem mit ihrer Legitimation." Die Ursache für den Schock ist eine Eurobarometer-Umfrage aus den Monaten Jänner und Februar des heurigen Jahres. Darin sollte erhoben werden, wie viele Wähler denn am 7. Juni zu den Urnen gingen, um die Parteien und Abgeordneten zum Europäischen Parlament zu wählen. Der schockierend niedrige Wert für Österreich lässt eine Wahlbeteiligung von 21 Prozent erwarten; zuletzt war sie doppelt so hoch.

Österreich an vorletzter Stelle

Einen wirklichen Grund, eine echte, zutreffende Erklärung dafür vermögen die in Parlament und Europäischer Kommission tätigen Österreicher nicht anzugeben, wie eine von MEP Richard Seeber (ÖVP) organisierte Informationsreise nach Brüssel zeigte. Zu groß ist die Diskrepanz zwischen ihrer als intensiv empfundenen Arbeit einerseits und der als Geringschätzung eingeordneten öffentlichen Wahrnehmung des Parlaments im heimatlichen Österreich andererseits. Und nirgends außer in Polen ist die Bereitschaft der Wähler, sich an der Europawahl zu beteiligen, niedriger. In Polen wollen nur 13 Prozent zu den Urnen gehen, im EU-Durchschnitt sind es immerhin 34 Prozent, also ein Drittel. Angeführt wird die Liste von Belgien, wo sich - als Sitz der größten EU-Organe und damit der meisten EU-Bediensteten - 70 Prozent als Wahlbereite deklarierten. Aber sogar das Brüssel-ferne Malta schafft ein Wahlbereitschaft von 56 Prozent. Österreich ist tatsächlich schockierend abgeschlagen. Und die Parlamentarier meinen, an ihnen könne das nicht liegen. Wofür einiges spricht.

"Das sehe ich mir an, wie das einer nebenher macht", schnaubt Seeber, angesprochen auf die zeitliche Belastung eines Mitgliedes zum Europäischen Parlament. "Das ist ein Fulltime-Job", so Seeber. Ein Monat füllt sich rasch: zwei Wochen lang tagen Ausschüsse, eine Woche die Fraktionen, eine Woche das Plenum des Parlaments. Die meisten Tagungen und Termine sind in Brüssel angesetzt, das Plenum wird achtmal pro Jahr in Straßburg abgehalten. Die Übersiedlung mitsamt Assistenten und Aktenkisten ist eine anstrengende Prozedur, welche die Parlamentarier den Franzosen gerne abkaufen würden, hätte die Regierung in Paris nur schon einen Preis genannt. Doch der Punkt bleibt: Parlamentarier schaffen es nur selten, vielleicht zu selten, nach Hause in die Bezirke ihrer politischen Herkunft. Denn im dichten Terminkalender sind noch Reisezeiten unterzubringen. Und das Wichtigste: Die Vorbereitungen für Debatten und Beschlüsse, denn das Parlament entscheidet heute weit mehr, als bekannt ist und von nationalen Regierungen sowie Gesetzgebern eingeräumt wird.

Nahezu 90 Prozent der Finanz- und Wirtschaftsgesetz kommen aus der Europäischen Union, sagt etwa Ewald Tassler, Leiter des EU-Büros des österreichischen Sparkassen-Verbandes in Brüssel. Daher seien nahezu drei Viertel aller Beschlüsse des Nationalrates in Wien reine Umsetzungsgesetzgebung, wie es Philipp Schulmeister, Pressesprecher der Fraktion Europäische Volkspartei, ausdrückt. Wobei das Europäische Parlament wiederum bei 75 Prozent aller EU-Wirtschaftsgesetze im Verfahren der Mitentscheidung in die Beschlüsse der EU-Organe - Kommission und Rat - eingebunden ist. Das zeigt auch die Agenda dieser Plenarwoche, in welcher die EU etwa niedrigere Telefongebühren verordnet und weitere Beschlüsse als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise fasst.

Das Europäische Parlament hat diese Woche - unter anderem - die Themen Energie, Industrie, Wirtschaft, Gesundheit, Umwelt, Einwanderung, Steuer, Soziales und Sicherheit auf der Tagesordnung. So sollen alleine im Finanzbereich die Vorschriften für Bankenaufsicht, Ratingagenturen, Eigenkapital und Kreditvergabe deutlich verschärft werden. Mit gutem Grund, wie Parlament und Kommission in ihrer Kritik an Ratingagenturen anmerken.

Die Stellungnahmen dieser Agenturen zu erlusten und zu Finanzierungsinstrumenten spielten eine große Rolle, hätten aber "erheblich" zu den Marktturbulenzen beigetragen. Ein Grund dafür könne sein, dass es zu wenig Wettbewerb und zu wenig Anreiz zu Qualität unter den Ratingagenturen auf deren oligopolistischen Markt gebe, schreibt die Kommission. Wer so klar spricht, riskiert Kritik aus den Reihen der 18.000 in Brüssel tätigen Lobbyisten.

Legenden über die Ableitung von Wasser

Samt und sonders liegen fünf Vorschläge für Richtlinien vor, die dann in jeweiliges nationales Recht umzusetzen wären. Wie so oft handelt es sich um Bestimmungen, diesfalls des Konsumentenschutzes, die von Kritikern leichtfertig als zentralistisch und bürokratisch denunziert werden. Wobei der Umgang mit Kritik leicht fällt, jener mit den "Legenden", die verbreitet werden, hingegen die Gemüter in Brüssel zu erregen droht. Etwa die Behauptungen rund um die Ableitung des Wassers aus Österreich.

Die in den Sommermonaten gelegentlich aufflackernde Debatte in Österreich, die EU drohe, das heimische Wasser in trockenere Länder abzuleiten, kommentiert Helmut Blöch, Referatsleiter in der Generaldirektion Umwelt, besonders engagiert: "Das sind Legenden, pure Legenden. Blöch nennt die Gründe, warum derartige Behauptungen schlicht falsch sind: Ein Transport von Wasser über hunderte Kilometer sei "nicht vernünftig", habe "keine Rechtsgrundlage" und es gebe dafür "keinen politischen Willen". Ganz im Gegenteil: Die Wasserrahmenrichtlinie schreibe vor, Wasserprobleme vor Ort zu lösen, den oftmals auftretenden Wasserverlust zu vermindern und alternative Wasserquellen sowie moderne Techniken, etwa in der Bewässerung, anzuwenden. Die EU-Mitarbeiter seien es jedenfalls gewohnt, vor allem sachlich zu argumentieren. Dafür werden sie ausgebildet und ausgesucht. Der Österreicher Markus Holzer, Leiter des Personalreferates in der Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, spricht von einem "hohen, sehr hohen Niveau der Qualifikation der EU-Mitarbeiter", etwa in der Kommission. Die Tests, zu denen jeweils 20.000 bis 50.000 Bewerber antreten, seien hart, gefolgt von Gesundheitstest und monatelangen Probezeiten.

Dies alles ficht die üblichen Kritiker und Skeptiker nicht an. Außer: Sie waren einmal in Brüssel. Jährlich besuchen 600.000 Gäste das Europäische Parlament, mehr als 10.000 davon betreut von ÖVP-Abgeordneten. Nach den Gesprächen seien die Menschen informierter und gegenüber der EU aufgeschlossener, sagt der Tiroler Seeber, eher er Journalisten verabschiedet, in einen Ausschuss eilt und anderntags Landsleute empfängt.

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