Kampf um die Stimme der Muslime

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Auch in der muslimischen Community ist der Wahlkampf ausgebrochen. Die FURCHE traf vier der aktivsten muslimischen Politiker zum Gespräch.

Asdin El Habbassis Kandidatur für den Nationalrat auf dem sicheren fünften Platz der Bundesliste löste Diskussionen innerhalb der ÖVP aus. Ursula Stenzel, Wiener Bezirksvorsteherin, warf ihrer Partei sogar vor, dass sie mit Kandidaten wie El Habbassi, dem Chef der Jungen Volkspartei Salzburg mit marokkanischen Wurzeln, viele Wähler verschrecke - was dann Sebastian Kurz als plumpe Fremdenfeindlichkeit kritisierte.

Dass die Kandidatur und der wahrscheinliche Einzug eines unter 250.000 österreichischen Staatsbürgern muslimischen Glaubens, die damit also ca. vier Prozent der österreichischen Bevölkerung ausmachen, für so viel Zündstoff sorgt, mag verwundern. Auf jeden Fall wirft es jedoch die Frage auf, wie Parteien und Politiker die Gruppe der Muslime sehen und wie sich muslimische Kandidaten selber innerhalb der österreichischen Politik positionieren.

Für Asdin El Habbassi gehören alle Österreicher zu seiner Zielgruppe. Seinen Glauben sieht er als Privatsache, denn als Demokrat möchte er Religion und Staat getrennt wissen. Natürlich präge der Glaube seine Werte und damit auch seine Politik, der Islam sei jedoch nicht Gegenstand seiner politischen Arbeit. Muslime speziell ansprechen, das will er nicht. Denn dies dränge sie in eine Minderheitenrolle und wäre damit nur eine etwas subtilere Art, Vorurteile zu hegen und zu pflegen.

Wahlkampf auf Türkisch

Bedeutet diese Meinung, dass El Habbassi sich islampolitischen Themen wie Moscheebauten genauso nähern wird wie Nichtmuslime? Vielleicht etwas sensibler, sagt er, seinen politischen Schwerpunkt und Auftrag sieht er aber in der Bildung und anderen politischen Bereichen, in denen seine Religion keine Rolle spielen soll. Schließlich zähle in seiner Partei was man leisten wolle und nicht der persönliche Hintergrund, den man mitbringe.

Auch wenn die ÖVP es offiziell genauso sieht und keinen Zielgruppenwahlkampf führt, so scheint es, dass Muslime doch auch als eigene Wählerschicht wahrgenommen werden. Hasan Vural, 15. auf der Landesliste der Wiener ÖVP, möchte nämlich im Unterschied zu El Habbassi, ganz klar die Migranten ansprechen, egal aus welchem Land sie kommen. Den Schwerpunkt legt Vural in seinem Wahlkampf jedoch auf die türkischstämmigen Österreicher und auf die muslimische Bevölkerung. Das wird auch in der Anlage seines Wahlkampfs klar ersichtlich. Vural hat eigens ein Bürgerlokal am Wiener Brunnenmarkt errichtet. Jeden Tag finden sich hier Unterstützer und Aktivisten ein, am Samstag kam sogar hoher Besuch aus der Türkei. Ein ehemaliger Minister von der Mitte rechts ausgerichteten Mutterlandspartei unterstützte ihn mit einer flammenden Rede. Auch das Wahlkampfmaterial, Broschüren und Zeitungen sind zum Großteil auf türkisch gehalten und werden von Vurals Wahlkampfteam in ganz Österreich verteilt. Laut Teamleiter Ergün Bülent seien in Österreich 50 Personen für Hasan Vural aktiv. Aufs politische Programm angesprochen meint dieser, die zweite Generation der Türken wolle in der österreichischen Politik mitmischen: "Wir können nichts von den Politikern erwarten, wenn wir nicht jemanden ins Parlament hineinbringen und sagen können: Er ist unsere Stimme, er ist für uns da.“

Vurals Hauptziel ist es daher, den Wähleranteil von Menschen mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Nur so könnten Politiker mit Migrationshintergrund ins Parlament einziehen und Mitbestimmung garantieren. Türkische Broschüren und türkische Politiker - spielen etwa Werte, Ideologien und Zugehörigkeiten aus der Türkei eine Rolle in der österreichischen Politik? Hier antwortet Hasan Vural mit deutlichem Nein. Er betont, rein österreichische Politik zu machen und unabhängig zu agieren: "Wir fokussieren uns auf die österreichische Politik, auf Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der Türkei die hier in Österreich leben, weil sie hier ihren Lebensmittelpunkt haben. Wir machen keine Importpolitik.“

Muslimische Verbände in Politik

Konkurrent Hasan Vurals um die Stimmen aus der türkischstämmigen Community ist Resul Ekrem Gönülta˛s, der für die SPÖ auf Platz 38 der Bundesliste kandidiert und Zielgruppenwahlkampfkoordinator der Partei ist. Als solcher sieht er es als seine Aufgabe, die Wahlbeteiligung bei Menschen mit Migrationshintergrund zu erhöhen. Deshalb spricht er mit seinem Wahlkampf hauptsächlich Migranten an, doch sieht er sich als Politiker, der nicht nur Politik für Migranten, sondern für alle Menschen dieses Landes machen will. Was sagt er zum Vorwurf, der in der Hitze des Wahlkampfes immer wieder von Seiten Vurals und seiner Unterstützer fällt (auch gegenüber der FURCHE), dass er einem Verband angehört, der in der Türkei den erzkonservativen rechten Flügel darstellt, der Milli Görü˛s?

Darin sieht er kein Problem. Er gehöre dieser Bewegung an, doch teile Milli Görü˛s viele Werte mit der Sozialdemokratie. Sie stehe etwa stark für das friedliche Zusammenleben aller Menschen, egal welcher Herkunft und Religion. Doch - wie Vural - ist es Gönülta˛s wichtig zu betonen, dass er in Österreich lebt und daher die Politik in diesem Land an erster Stelle für ihn steht. Türkische Werte, Ideologien und Zugehörigkeiten sollen in Österreich keine Rolle spielen.

Die muslimische Stimme

Für Omar Al-Rawi, Wiener Gemeinderat der SPÖ und auf der Bundesliste auf dem 34. Platz wiederzufinden, nehmen die muslimischen Verbände, wie zum Beispiel die Milli Görü˛s nahestehende Islamische Föderation, eine demokratiepolitisch positive Rolle ein. Österreich sei ja ein Land mit vielen Verbänden und habe auch eine lange Tradition der Sozialpartnerschaft. Diese leisteten sehr vieles, zum Beispiel im Bereich der Sozial- und Jugendarbeit.

Grundsätzlich, so Al-Rawi, sei es also nicht in Frage zu stellen, dass in einem Wahlkampf Multiplikatoren gesucht werden. Natürlich solle man sich aber auf die Politik in Österreich konzentrieren - eben Arbeitsplätze, Bildung, Impulse für den Arbeitsmarkt, die Wohnungssituation, Gesundheit und Bildungsreform. Ähnlich wie VP-Kandidat El Habbassi merkt Al-Rawi an, dass es vor allem auf die Sachkompetenz ankommt, um dann mit einem Seitenhieb auf den jungen Kollegen fortzufahren: "Es nützt etwa nichts, wenn ein praktizierender Muslim im Nationalrat sitzt und ihn die Aussage nicht stört, dass im Asylverfahren vorwiegend Menschen mit christlichem Religionsbekenntnis zu bevorzugen sind.“

Empirische Ergebnisse zum Wahlverhalten von Muslimen stehen noch aus. Dass Muslime als eigene und relevante Gruppe wahrgenommen werden, davon zeugen die Wahlkampfstrategien von SPÖ und ÖVP, die vor allem über Organisationen und Verbände Wählerpotenzial wittern. Jedoch ist zu bezweifeln, dass die muslimische Stimme per se existiert. Denn die wenigsten Muslime sind in Verbänden organisiert. Außerdem herrscht ja auch unter Muslimen große Vielfalt, kulturell wie sozial.

Muslime als eigene Gruppe innerhalb der Mehrheitsgesellschaft zu sehen, bedeutet für Asdin El Habbassi, sie ins Minderheiteneck zu drängen, für Omar Al-Rawi sind "die Muslime“ gar eine rechtspopulistische Erfindung. Was jedoch nicht bedeutet, dass es keine relevanten islampolitischen Themen gebe, und dass die gesellschaftliche Vielfalt in einer gelebten Demokratie auch in der Politik sichtbar sein muss.

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