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Das Wien Museum widmet der „Zwischenkriegszeit“ im Künstlerhaus eine große Ausstellung: „Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930“. Diese groß angelegte, viele Bereiche umfassende Schau mit ihren 1800 Objekten zeigt, dass die zeitgenössische Alltagskultur wie die bestehenden politischen Lager in dieser Epoche ihren Ursprung haben.

Die Sozialisten rauben den Kindern den Glauben! Als im „Roten Wien“ Anfang der 1920er Jahre die Kruzifixe aus den Klassenzimmern der öffentlichen Schulen entfernt wurden, gingen die Wellen der Empörung hoch. Was für die Sozialdemokraten einen notwendigen Schritt in Richtung Säkularisierung darstellte, war für das christlichsoziale Lager nichts anderes als „Schulbolschewismus“. Das Wiederaufhängen der Kreuze in den Wiener Schulen war nach dem Bürgerkrieg im Februar 1934 eine der ersten Amtshandlungen des nunmehrigen Ständestaates. Die scheinbar aktuelle Front, die sich jüngst zwischen Befürwortern und Gegnern des Kreuzes im Klassenzimmer aufgetan hat, ist also eine hierzulande schon seit Jahrzehnten bestehende Bruchlinie. Der Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, demnach Kreuze in Klassenzimmern öffentlicher Schulen nicht mit der Menschenrechtskonvention vereinbar sind, hat nur alte Muster freigelegt, welche die politische Landschaft Österreichs seit jener Zeit durchziehen.

Glamour und Arbeitslosigkeit

Die Zwischenkriegszeit, genau gesagt die Zeit vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum Jahr 1938, als Österreich von der Landkarte verschwand, prägt das Land noch immer. Nicht nur die heute bestehenden politischen Lager haben sich in jener Epoche herausgebildet, auch die zeitgenössische Alltagskultur hat dort ihren Ursprung. Das Wien Museum widmet dieser Ära nun im Künstlerhaus eine große Ausstellung: „Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930“. Diese groß angelegte, viele Bereiche umfassende historische Schau mit ihren 1800 Objekten ist ein Muss für jeden zeitgeschichtlich Interessierten. In ihrem Titel klingt schon die Gewalt an, mit der damals nicht nur die politischen Bewegungen, sondern auch die verschiedenen Lebensentwürfe aufeinanderprallten.

In den Zwanzigern wurde Wien zu einer modernen Großstadt. Elektrische Straßenbeleuchtung, Leuchtreklame und pulsierender Autoverkehr veränderten das Stadtbild, die aus den USA kommende Unterhaltungs- und Konsumkultur das Lebensgefühl. Neue Tänze und Jazz, flotte Schlager und Musikrevues mit beinschwingenden Girls waren en vogue. Zu Tausenden strömten die Menschen in Kinopaläste, zu Fußballspielen und zu Boxkämpfen. Vor allem aber betrat ein neuer, heute selbstverständlicher Frauentypus die gesellschaftliche Bühne: selbstbestimmt, selbstbewusst, schlank, mit vergleichsweise kurzem Rock oder in Hosen. Zu den Symbolen dieser neuen Frau avancierten der Bubikopf, ein Kurzhaarschnitt, und die Zigarette, damals noch ein Ausdruck von Freiheit und Mondänität. Eine freiere Sexualmoral wurde ausgelebt, nicht bloß propagiert; der „unleidige Typ aggressiver Frauenrechtlerinnen“ der Vorkriegszeit – so eine Zeitgenossin – war passé.

Doch Glamour und Modernität standen Arbeitslosigkeit und Not gegenüber. Ein Großteil der Bevölkerung lebte von der Hand in den Mund. Rund eine halbe Million Menschen waren in den früher dreißiger Jahren von Arbeitslosigkeit betroffen. Dem setzte das Rote Wien eine international beachtete Sozialpolitik entgegen: den Bau menschenwürdiger Gemeindewohnungen, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und von Freizeitanlagen wie dem kommunalen Strandbad Gänsehäufel.

Das katholische Lager wiederum geißelte sowohl den „Bolschewismus“ (gemeint war die Sozialdemokratie) als auch die „Eheverlotterung“, die „ausgelassene Sinneslust“ und den „unsäglichen Schmutz in Kunst und Literatur“. Als der Revuestar Josephine Baker, bekannt durch ihre erotischen Tänze und ihr berühmtes, nur aus einem Bananenrock bestehendes Kostüm, in Wien gastierte, wurden Sondergottesdienste abgehalten. Programmatische Romane wie Karl-Heinrich Waggerls „Brot“ oder Guido Zernattos „Sinnlose Stadt“ priesen das Bäuerliche als Bollwerk gegen den „Fäulnisherd“ Stadt.

Asphalt gegen Scholle, Großstadtkultur gegen Volkstümlichkeit, Rotes Wien gegen schwarzes Alpenösterreich – so beschreibt die Ausstellung die tiefen Klüfte, welche die österreichische Gesellschaft durchzogen. Die vielfältigen Bruchlinien auf das Gegensatzpaar „modern – rückständig“ zu reduzieren, griffe allerdings zu kurz. Alle politischen Lager bedienten sich moderner Kommunikationsmittel und inszenierten sich und die Massen in ähnlicher Weise. Alle politischen Jugendbewegungen – ob deutschnationale Wandervögel, katholische Neuländer, junge Sozialisten oder junge Zionisten – propagierten eine Abkehr von der modernen Gesellschaft und ein bescheidenes Leben in Gemeinschaft, Alkohol und Rauchen waren bei ihnen verpönt. Der Komponist Ernst Krenek, der sich mit seiner modernen Oper „Jonny spielt auf“ den Hass von Konservativen und Nazis zuzog, war überzeugter Anhänger der Vaterländischen Front. Über das Verbot der von Hugo Bettauer herausgegebenen freizügigen Zeitschrift „Er und Sie“ waren sich der schwarze Bundeskanzler Ignaz Seipel und das rote Wiener Jugendamt einig. Und die Nationalsozialisten propagierten einerseits eine archaische Blut- und Bodenideologie, andererseits kam mit dem „Anschluss“ auch die moderne Zivilehe, die von den österreichischen Christlichsozialen bis 1938 nicht zugelassen worden war.

Nichtsdestotrotz standen sich die drei Lager unversöhnlich gegenüber. Ab 1927, dem Jahr des Schattendorfer Urteils und des dadurch ausgelösten Justizpalastbrandes, beherrschte politische Gewalt die Straßen. So gut wie an jedem Wochenende kam es bei Aufmärschen der rechten Heimwehr bzw. des linken Schutzbundes zu Schlägereien mit Verletzen und sogar Toten. Ab 1930 mischten auch die Nationalsozialisten mit. Sie lieferten sich Straßenkämpfe mit Schutzbündlern und „Hahnenschwanzlern“, wie die Heimwehrangehörigen genannt wurden, und überzogen das Land, insbesondere die Bundeshauptstadt, mit massivem Bombenterror.

Politische Lagerbildung ist geblieben

Der Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich und die Machtübernahme der Nazis im Februar 1938 bereitete dem, was im Ständestaat von der Welt um 1930 übrig geblieben war, das endgültige Aus. Ausgelöscht wurde damit auch jene beeindruckende, stark von jüdischen Persönlichkeiten geprägte Kultur der Zwischenkriegszeit, deren Reichtum und Vielfalt das Wien Museum in der Ausstellung „Kampf um die Stadt“ durch Verengung auf die Malerei leider nicht ganz gerecht wird.

Von jener Zeit um 1930 geblieben sind Phänomene wie die moderne Unterhaltungskultur, das neue Frauenbild und die politische Lagerbildung. Allerdings sind die damals allgegenwärtige Gewalt und der verbale Radikalismus von der politischen Bühne verschwunden. Auch wenn ein Bild von Engelbert Dollfuß im ÖVP-Parlamentsklub hängt, denkt kein Christlichsozialer an eine Neuauflage der Februarkämpfe; wenn ein leicht bekleideter Popstar in der Stadthalle auftritt, ruft niemand zum Gebet auf. Selbst die regelmäßigen, im heutigen Kontext aufs Schärfste zu verurteilenden verbalen Ausrutscher im dritten Lager sind weit von der originalen NS-Rhetorik entfernt. Am größten ist die Erosion wohl bei den Sozialdemokraten: Die von Arbeitersportvereinen bis zum Arbeitermandolinenorchester reichende Parallelkultur, die die Sozialdemokratie im Roten Wien aufbaute, ist bis auf ihre architektonische Hinterlassenschaft heute weitgehend verschwunden.

Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930

Künstlerhaus Wien

bis 28. März 2010, Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr

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