Koran - © Fauzan My / Pixabay

Kann der Koran übersetzt werden?

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Im Vorfeld der Beschlussfassung des neuen Islamgesetzes wurde die Forderung laut, islamische Glaubensgemeinschaften müssten der Behörde eine von ihnen anerkannte deutsche Fassung des Korans vorlegen. Derartiges Verlangen wird dem Koran keineswegs gerecht.

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Im Vorfeld der Beschlussfassung des neuen Islamgesetzes wurde die Forderung laut, islamische Glaubensgemeinschaften müssten der Behörde eine von ihnen anerkannte deutsche Fassung des Korans vorlegen. Derartiges Verlangen wird dem Koran keineswegs gerecht.

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In den vergangenen Monaten wurde im Zusammenhang mit dem neuen österreichischen Islamgesetz die Forderung formuliert, die Verbände, Vereine etc., die in Österreich in Anspruch nehmen, für religiöse Praxis und Repräsentation des Islams rechtsgültig zuständig zu sein, hätten den Behörden unter anderem eine von ihnen anerkannte deutsche Fassung des Korans vorzulegen. Eine solche Koran-Übersetzung sollte es wohl ermöglichen, über fragliche, aus dem Zusammenhang gerissene Koran-Zitate, aus denen Handlungsanweisungen für Gläubige herleitbar zu sein scheinen, eindeutige Klarheit zu gewinnen.

Auch seitens vieler nichtmuslimischer Interessierter ist diese Forderung begrüßt worden: Sie wollen genau wissen, was "der Koran in dieser oder jener Angelegenheit denn definitiv sage"; es dürfte darum gehen, sich an der Quelle zu informieren und sich womöglich nicht von Gläubigen subjektiv fehlleiten zu lassen. Im Zusammenhang damit stellt sich die Frage, inwieweit Gottes Wort Koran denn überhaupt übersetzt werden dürfe?

Gemäß den als historisch verlässlichen oder verwertbaren Quellen für die Entstehungsgeschichte des Islams ist die frühzeitig verschriftlichte Fixierung der Offenbarung, die Gott dem Propheten Muhammad im frühen siebenten Jahrhundert eingegeben hatte, nicht nur die Basis für religiöse Überzeugung und Gläubigkeit von Muslimen gewesen; sie war

auch von Anbeginn eine wichtige Voraussetzung für die Verbreitung islamischer Glaubenssätze und -inhalte. Der Umstand, dass die Offenbarung in arabischer Sprache erfolgt war, sollte bald nach dem Tod des Propheten (632 n. Chr.) zu einem fortdauernden Diskurs führen: Wenn die kriegerische Expansion des frühen Islams zur Annahme des neuen Glaubens durch Unterworfene führen sollte, war auch zu klären, wie ihnen seine Inhalte und Werte zu vermitteln waren, wenn diese der arabischen Sprache nicht mächtig waren.

Mittelpersisch und Sogdisch

Dieses Problem sollte sich zunächst in Syrien und in Ägypten - beide unter byzantinischer Herrschaft - stellen, danach auch in den Ländern des großen Reiches Iran, das seit Beginn des 3. Jahrhunderts von der persischen Königsdynastie der Sassaniden geführt worden war, das sich von den Grenzen Ostroms und Mesopotamien im Westen bis tief in das heutige Afghanistan und bis an den Oxus (Amu-Darja) ausdehnte. Die Verwaltung dieses Reiches war sprachlich vom Aramäischen geprägt, die Hofsprache und die Sprache der zoroastrischen religiösen Würdenträger war das sogenannte Mittelpersische, das viele Lokalsprachen des Reiches linguistisch überwölbte.

Jenseits des Oxus, in Transoxanien (u. a. im heutigen Usbekistan), war eine andere iranische Sprache dominant, das Sogdische. Sogdisch diente Jahrhunderte lang von Buchara und Samarkand bis ins Innerste Chinas als verbindende Lingua franca der Völker entlang der Seidenstraße des frühen Mittelalters.

Schon im 8. Jahrhundert war die Standardisierung der islamischen Lehren zwischen Spanien und dem Pamir in vollem Gange. Die intensive Beschäftigung mit religiösen Themen evozierte starkes Interesse am Arabischen, auch außerhalb des arabischen Sprachraums. Was wir heute als die "arabische Welt", die von Nordafrika bis in den Nahen Osten reicht, bezeichnen, ist in diesem Prozess sprachlich arabisiert worden. In diesen Landstrichen stellte sich daher aus der Lebenspraxis heraus die Notwendigkeit der Übersetzung des Korans und anderer zentraler theologischer Texte aus dem Arabischen nicht.

Anders war die Sachlage im islamischen Osten. Die mit der neuen Herrschaft und der neuen Religion importierte arabische Sprache reüssierte mit einer kulturgeschichtlichen Besonderheit: einer offenkundig nicht geringen Faszination, die von der arabischen Schrift ausging. Mitteleuropäern mag das arabische Schriftsystem prima vista nicht als eben einfach und schlüssig erscheinen - es handelt sich um eine überwiegende Konsonantenschrift. Derartige Schriften waren den Iranern aber schon aus früheren Alphabeten vertraut. Während des 8. Jahrhunderts setzte sich das neu konzipierte Persische im arabischen Schriftgewand alsbald als geeignete Sprache für eine allgemeine islamische Lebenspraxis durch.

Arabisch und persisch

Es war leicht, arabische Termini, die für eine alltägliche islamische Lebensführung unabdingbar waren, mühelos in das Vokabular des Persischen zu integrieren. Die symbolträchtige arabische Schrift signalisierte im islamischen Osten gegenüber allen anderen Sprachen die Dominanz des Islams in der Mitte der Gesellschaft. Schon im 9. Jahrhundert gab es zwischen den beiden Sprachen eine klare "Arbeitsteilung": Theologie, Gelehrsamkeit und zunächst noch Administration waren dem Arabischen vorbehalten; überregionale Kommunikation, Kommerz und vor allem Literatur, Unterhaltung und Poesie erfolgten im Osten eindeutig auf Persisch.

Von Transoxanien und Iran ausgehend stellte sich das Persische als eine zweite, in alltäglichen und kulturellen Belangen dem Arabischen analoge, als "typisch islamisch" erlebte Kultursprache dar. Angesichts der großen Bedeutung der Beschäftigung mit der arabischen Grammatik für koranische Textexegese und -kritik ist es nicht verwunderlich, dass der klassische Großmeister der arabischen Grammatik ein Perser war, ein gewisser Sîbûye (arab.: Sibawaih). Der um 1000 wirkende Mediziner und Philosoph Avicenna (Abu Ali ibn Sînâ), aus der Umgebung von Buchara in Usbekistan gebürtig, ist persisch kulturiert worden und verwendete Arabisch mit Selbstverständlichkeit für Wissenschaft und Philosophie.

In dieser Zeit wurde auch der Versuch unternommen, den Koran ins Persische zu übersetzen. Dieser Versuch erwies sich allerdings nicht als langzeitlich wirksam. Für das tiefere Verständnis einer derartigen -überaus akkuraten! - Übersetzung war letztlich der Rückgriff auf den arabischen Originaltext unverzichtbar.

Dabei geht es nicht allein und auch nicht vorrangig um die richtige, eins zu eins zu erfolgende Transponierung von Inhalten - schließlich ist der Koran aus der Sicht eines frommen Menschen das Wort Gottes, das keineswegs eine Sammlung von rechtsverbindlichen Handlungsanleitungen ist, sondern darüber hinaus eine Fülle von sprachlichen Einzigartigkeiten, von vielfältigen literarischen Schönheiten und Erzählungen anbietet und den Gläubigen eine herzergreifende Freude vermittelt - die nicht übertragbare Verbindung aus Ethik und Ästhetik ist ja für viele gläubige Muslime ein ergreifendes und überzeugendes Argument für die Einzigartigkeit und gerade auch dadurch für den göttlichen Charakter des Korans.

Keine persische Koranübersetzung

Die Übersetzung des Koran ins Persische wurde aus der Einsicht aufgegeben, dass auch eine Übersetzung den wirklichen Genuss dieses Textes, seiner Schönheit, erst möglich machte, wenn die arabische Vorlage herangezogen wurde, und sei es, zuzüglich zu der übersetzten Version! Das Wort Gottes muss gewissermaßen als ein Gesamtkunstwerk wahrgenommen werden. Jegliche Art der Übersetzung tut der Einzigartigkeit von Gottes sprachlicher Schöpfung Abbruch, reduziert sie.

Muslime die sich über den Inhalt des Korans informieren wollen, sind dessen gewahr, dass die Übersetzungsinformation über den Inhalt keineswegs alles ist. Ich empfehle dazu Navid Kermanis scharfsinniges und warmherziges Buch "Gott ist schön. Über das ästhetische Erleben des Korans" zur Lektüre. Im Orbit der Muslime und Musliminnen wurde für lange Zeit von der Übersetzung des Korans -ausgenommene interlineare, also Wort-für-Wort-Übersetzungen Abstand genommen. Erst im 20. Jahrhundert wurden wieder Rufe nach Koranübersetzungen für nicht-arabische Muslime laut, aber auch sie waren stets vom arabischen Original begleitet.

Etwa seit dem 18. Jahrhundert zielen europäische Übersetzungsversuche nicht darauf ab, die Glaubensschönheit dieses für Muslime unvergleichlichen Textes zu vermitteln, sondern das, was an Glaubenssätzen "darin steht".

Genau hier liegt das Dilemma. Von einer Religionsgemeinschaft oder einem frommen Interessensvertretungs-Verein zu verlangen, das ihr oder ihm eigene Verstehen der Koraninhalte in einer anderen Sprache für außenstehende Dritte darzustellen, heißt, sie zu überfordern. Wer im Koran nicht mehr als eine Summe von Handlungsanleitungen , Vorschriften und Spielregeln erkennen kann, wird weder von außen her noch von innen her dem Koran und dem Islam gerecht. Eine solche Übersetzung kann daher auch nicht als Diskussionsgrundlage, nach dem Motto: "Also hier steht das und das, das habt ihr doch selbst zugesagt, dass es für euch verbindlich sei!", dienen. Eine solche naseweise Haltung wollte sich niemand ernsthaft vorhalten lassen wollen!

Übertragung ist Kommentar

Bliebe noch der Versuch, sich wie weiland Archimedes "einen festen Punkt außerhalb der Erde" zuzulegen, um diese aus den Angeln zu heben. Könnten aus der Debatte um die Inhalte herausgehaltene wissenschaftliche, philologische Übersetzungen des Korans der Ausweg sein? Perfekte Kenntnisse des Arabischen, des Deutschen und des geschichtskultur- und religionswissenschaftlichen Rahmens wären unabdingbare Voraussetzungen dafür. Eine neue aktuelle deutsche Koranübersetzung auf der Basis des aktuellen Forschungsstands hat jüngst der Erlanger Islamwissenschafter Hartmut Bobzin vorgelegt. Dennoch: Vorerst fehlen uns die Leistungen einer in Europa heimischen islamischen Theologie, deren Entstehungsprozess wir derzeit möglicherweise gerade erleben. Selbst sie liefe Gefahr, dem Kommentarcharakter der Übertragung von "Gottes Wort" nicht zu entkommen!

Sich auf der Basis von Übersetzungen mit muslimischen Theologinnen und Theologen auszutauschen, würde aber bedeuten, dass alle Gesprächspartner neben vielem Anderen auch tiefgründige philologische Kenntnisse in der Sprache des jeweils Anderen mit sich bringen müssten.

Der Autor ist Iranist, Präsident d. Österr. Orient-Gesellsch. Hammer-Purgstall sowie w. Mitgl. d. Österr. Akademie d. Wissenschaften

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