Kapitalgötter und Mittelstandsbarbaren

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Das Schauspielhaus Graz hat mit "Die Götter weinen" und "Wir sind keine Barbaren!" die diesjährige Saison eröffnet. Die Blicke gehen wie das Motto der Spielzeit "Von unten nach oben, von oben nach unten!" und liefern dazu wortreiche Bilder.

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Das Schauspielhaus Graz hat mit "Die Götter weinen" und "Wir sind keine Barbaren!" die diesjährige Saison eröffnet. Die Blicke gehen wie das Motto der Spielzeit "Von unten nach oben, von oben nach unten!" und liefern dazu wortreiche Bilder.

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Für die österreichische Erstaufführung des Stückes "Die Götter weinen" des englischen Dramatikers Dennis Kelly hat sich die demnächst an das Wiener Volkstheater wechselnde Grazer Intendantin Anna Badora viel vorgenommen. Es ist ein großes Ensemblestück mit vielen unterschiedlichen Schauplätzen und einem Stoff, der wohl besser in Leitartikeln aufgehoben wäre, als auf der Bühne abgehandelt zu werden. Immerhin verschneidet Kelly das Thema Globalisierung mit Shakespeares "König Lear": Auch hier dankt ein einflussreicher und mächtiger Vater - durch skrupelloses Handeln Herr über einen weltweit agierenden Konzern, der mit Wasser und Nahrungsmittel spekuliert - ab und verteilt sein Erbe an die nächste Generation. Das geht nicht gut. "Ich habe euch zu Bestien geformt", sagt er über seine Erben, die sich sofort zerfleischen, mit der Waffe aufeinander losgehen. Am Ende steht der totale Krieg, während der moderne Konzernkönig eine beinahe kosmische Läuterung erfährt.

Sprachlich schwaches Konversationsstück

Anna Badora setzt dabei auf laute, flache Gesten, auf stereotype Bewegungen und hohle Wortgefechte, die es ordentlich scheppern lassen. Schauplatz ist dabei ein gesichtsloser Einheitsraum (Bühne: Raimond Voigt) mit einem Konferenztisch, der für die Ewigkeit gemacht zu sein scheint. Grauer Granit, zwei Stützen, eine Platte, letztlich ein überdimensionaler Altar, auf dem sich gut Opfer darbringen lassen für die Götter des Neoliberalismus, an die hier alle glauben müssen. Dahinter erscheint Colm (Udo Samel), uneingeschränkter Herrscher seines Geschäftsimperiums "Argeloin", der einen Einblick gewährt in seinen skrupellosen Aufstieg. Seine Mitarbeiter und der ungeliebte Sohn Jimmy, allesamt in Businesskleidung, hören ihm applaudierend zu, bis zu dem Moment, in dem er die Verantwortung an Richard (Marco Albrecht) und Catherine (Verena Lercher) abgibt und das Geschäftsprojekt seines Sohnes (Samouil Stoyanov) "Belize" zu seinem erklärt. Damit lässt er dem Kräftemessen freien Lauf und setzt einen Königssturz in Gang, der am Ende Tod und Zerstörung bringt. Dafür stehen die vielen schwarzen umgekippten Stühle, über die hinweg gestiegen werden muss fürs Morden, während im Hintergrund auf einer großformatigen Videowand der Krieg akustisch verstärkt wird. Während hier also eine sehr breit und blutig angelegte Groteske herrscht und man im Verlauf des Stückes mehr und mehr an der Wahrheit der einzelnen Figuren zu zweifeln beginnt, waltet andernorts das Drama einer subtilen Seelenrettung. Colm hat sich zu Barbara (Katharina Klar), der Tochter eines vernichteten Rivalen durchgeschlagen. Man erkennt sich und verliert sich in einer Art vorzivilisatorischen Idylle, einem reinigenden Beisammensein, das die Schuld nicht tilgt, aber den Zustand der Unschuld wiederherstellen möchte. Dies geschieht jedoch erst im letzten Akt nach der Pause, nach der sich das Theater bereits sehr geleert hatte. Diese ungleiche Gemeinschaft bildet in ihrer gegenseitigen Anteilnahme und Fürsorge den zerbrechlichen Kern von Kellys Stück, und auch das Spiel von Udo Samel und Katharina Klar entschädigt etwas. Wirklich retten können aber auch sie diesen Abend nicht mehr. Nach beinahe drei Stunden gibt es verhaltenen Applaus für ein sprachlich schwaches Konversationsstück, dessen monströse Züge möglicherweise neoliberale Götter erweichen, in ihrer Überdeutlichkeit jedoch beim Zuschauen kaum beeindrucken.

Glatte Oberfläche bürgerlicher Existenz

Deutlich mehr beeindruckt der zweite Eröffnungsabend der Theatersaison. In Philipp Löhles Stück "Wir sind keine Barbaren!" unter der Regie von Christine Eder gibt es zwar kein neoliberales Großreich mehr aufzuteilen und einen Ort der Unschuld wiederherzustellen, sehr wohl aber geht es auch hier um die Zerlegung eines Istzustands, um den genauen Blick auf die Realität. "Ich habe ein Theaterstück geschrieben. Oder, um genau zu sein, abgeschrieben. Ich habe einfach zugehört, was die Menschen um mich herum erzählten, und habe das notiert", sagt Löhle über sein Stück. Die Menschen, denen er die Worte aus dem Mund nahm, sind zwei typische kinderlose Mittelstandspaare, die ihren Lebensraum mit Wohlstand und Selbstzufriedenheit ausfüllen, bis ein Unbekannter an ihre Tür klopft, um Obdach bittet und die scheinbar bis dahin heile Welt aus den Fugen gerät. Das alles spielt sich zwischen "sweet home"-Regalwänden (Bühne: Monika Rovan) und zwei unattraktiven Sitzsofas ab.

Die vier Schauspieler, Steffi Krautz, Florian Köhler, Seyneb Saleh und Christoph Rothenbuchner spielen dabei sehr schnell, sehr auf den Punkt gebracht, überzeugend und nuancenreich einen Paaralltag zwischen komödiantischer Unterhaltung und bissigem Humor, der in unkontrollierbare Aggression umschlägt, als eine von ihnen erschlagen und im Wald verscharrt aufgefunden wird. Täter kann nur einer sein, auch dann, wenn dieser seine Unschuld beteuert. Der tiefe Abgrund, der sich dabei auftut, wird immer wieder von einem von oben herab sprechenden Wir-sind-wir-Chor begleitet, der die glatte Oberfläche bürgerlicher Existenz lautstark unterstreicht. Am Ende überjubelt Beethovens "Ode an die Freude" jede Ungewissheit, jeden Zweifel. Die Wahrheit ist im Keim erstickt, und das Leben, in dem man sich in herzlicher Abneigung verbunden bleibt, kann weiter gehen.

Die Götter weinen

4., 5., 8., 16. Oktober, 5. November

Wir sind keine Barbaren!

8., 22., 29. Oktober, 3., 10., 24. November

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