kardinal könig - © Erzdiözese Wien

Kardinal Franz König, 95: "Zweites Vatikanum ist ein historischer Prozeß"

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Kardinal König, der heute 95 Jahre alt wird, hat viele Spuren hinterlassen: Ob beim Konzil, ob bei der Begegnung der Religionen. Oft war er Wegberiter und Bahnbrecher. Im FURCHE-Gespräch erz#hlt er vom Konzil und spricht über die Reform der Kirche sowie Österreich in Europa.

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Kardinal König, der heute 95 Jahre alt wird, hat viele Spuren hinterlassen: Ob beim Konzil, ob bei der Begegnung der Religionen. Oft war er Wegberiter und Bahnbrecher. Im FURCHE-Gespräch erz#hlt er vom Konzil und spricht über die Reform der Kirche sowie Österreich in Europa.

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DIE FURCHE: Sie waren wesentlich am Zweiten Vatikanischen Konzil beteiligt und sind von ihm geprägt. Einerseits ist das Konzil in der Kirche immer noch stark präsent, andererseits haben viele Menschen das Gefühl: Vieles, was dort begonnen wurde, geht nicht weiter.
Kardinal Franz König:
Jedes Konzil braucht Jahrzehnte, um zu verdauen, was dort geschehen ist. Seit dem II. Vatikanum kommt noch die Schwierigkeit dazu, dass die öffentliche Meinung nur sehr kurzfristige Zusammenhänge kennt; doch die geschichtlichen Dimensionen zeigen sich erst spät. Ich werde - etwa von jungen Journalisten - immer wieder gefragt, warum es noch nicht möglich ist, dass alle Christen eins sind: Man versteht heute sehr schwer, dass dies ein historischer Prozess ist.

Außerdem beobachte ich in der europäischen Diskussion Pro und Kontra das Konzil seit geraumer Zeit, dass die Konzilsdokumente fast keine Rolle spielen. Den einen ist das Konzil zu wenig weit gegangen, den anderen war es zu viel. Ich fühle mich immer wieder als Rufer in der Wüste, wenn ich betone: Lest die Konzilstexte - und zwar nicht wie eine Zeitung, sondern setzt euch zusammen, wählt aus, besprecht das, man kann das nicht mit einem "Resümee" behandeln!

DIE FURCHE:Den Konzilstexten wird jedoch auch der Vorwurf gemacht, dass sie jeder gemäß seiner eigenen Meinung interpretieren kann.
König
: Das stimmt für einige Texte, aber sicher nicht für das ganze Konzil: Es gibt keinen Zweifel, dass das II. Vatikanum für die Kirche eminent wichtig ist. Der derzeitige Papst - von dem man zu Beginn nicht wußte, wie er das Konzil weiterführen wird - hat zwei Dokumente veröffentlicht, 1994 das Schreiben "Tertio Millennio Adveniente - An der Schwelle des dritten Jahrtausends", wo er geradezu begeistert über die Bedeutung des Konzils spricht, und die Ökumene-Enzyklika "Ut unum sint - Dass sie eins seien" aus 1995: auch da gibt es einige schöne Passagen über das Konzil. Johannes Paul II. geht dort dann sogar weiter, wenn er sagt: Die Ökumene hat in meinem Pontifikat Priorität.

DIE FURCHE: Johannes Paul II. fordert in "Ut unum sint" auch auf, über das Papstamt neu nachzudenken. Der emeritierte Erzbischof von San Francisco, John R. Quinn, hat diese Aufforderung aufgenommen: In seinem Buch "The Reform of the Papal Primacy" (Die Reform des päpstlichen Primates), das vor wenigen Monaten erschienen ist, kritisiert Quinn, dass insbesondere die Kollegialität der Bischöfe, die ein Prinzip des II. Vatikanums gewesen ist, nicht genug verwirklicht wurde.
König:
Ich bin ganz auf der Linie von Erzbischof Quinn, denn auch das Zweite Vatikanische Konzil erklärt in der Kirchenkonstitution "Lumen Gentium" mit Blick auf das I. Vatikanum und die Unfehlbarkeit des Papstes: Auch der Papst gehört zum Kollegium der Bischöfe. In "Lumen Gentium", in den Kapiteln 21 bis 27, sind sehr schöne - und klare! - Texte über die Kollegialität der kirchlichen Führung formuliert, über den Bischof in seiner Diözese, und dann als Gemeinschaft, im Kollegium der Bischöfe.

Das Konzil hat diese Texte als eine Vorbereitungsstufe betrachtet, um zu fragen: Was folgt daraus? Welche Schritte sind zu unternehmen? Und da hängt das Ganze jetzt. Wir haben jetzt ja einen Papst, der nicht im Vatikan aufgewachsen ist, der den dortigen Riesenapparat nur zur Kenntnis nehmen konnte. Er hat sich dann - nach meiner Beobachtung - einen guten Kreis von Fachleuten gewählt, und er lässt den Apparat arbeiten, der natürlich wiederum sagt: Ich spreche im Namen des Papstes. Der Papst vermerkt das gelegentlich und meint: Das stimmt zwar nicht genau, aber ich kann da keine Debatte anfangen ...

DIE FURCHE:Wie beurteilen Sie Johannes Pauls II. Aufforderung, über das Papstamt neu nachzudenken?
König: In der Enzyklika "Ut unum sint" sagt der Papst sogar: Ich weiß, dass die päpstliche Führung der katholischen Kirche für die anderen Kirchen ein Stein des Anstoßes ist, die Ökumene bleibt hier hängen. Und wie machen wir das? Da lädt der Papst ein: Reden wir darüber! Und ich sage dann - auch hier bin ich einer Meinung mit Erzbischof Quinn: Es geht hier nicht nur um die Ökumene, sondern auch um den Weg der katholischen Kirche! Denn wenn die katholische Kirche sagt: Wir müssen auch selber Änderungen vornehmen, damit die Ökumene verwirklicht werden kann, dann ist gerade das Kollegium der Bischöfe der springende Punkt. Wie soll eine kollegiale Führung aufgebaut werden, damit die anderen Kirchen mittun können? Allerdings: Es handelt sich hier um einen Bewusstseinsprozess. Man kann nicht mit einem Beschluss die Geschichte umdrehen, sondern es geht um einen längeren Vorgang.

DIE FURCHE: Die Kollegialität der Bischöfe hat sich nach dem Konzil wenig weiterentwickelt.
König:
Papst Paul VI. hat unmittelbar nach dem Konzil mit den Bischofssynoden begonnen, die eine Art Weiterbau sein sollten. Paul VI. hat, als bei der zweiten oder dritten Synode die Zölibatsfrage aufgebrochen ist, diese Frage der Synode vorgelegt, und er hat mir persönlich versichert: Ich bin entschlossen, das Ergebnis der Synode anzunehmen.

Aber die Synode hat sich mit einer knappen Mehrheit für die Beibehaltung des Pflichtzölibats für Priester im lateinischen Ritus ausgesprochen. Bei den späteren Bischofssy0noden hat jedoch der Behördenapparat an Einfluss gewonnen - vielleicht auch deswegen, weil das Kollegium der Bischöfe noch nicht in praktischer Funktion ist - und nach der Devise agiert: Die Bischöfe sollen alles sagen, wir sammeln das ein - und der Papst wird daraus ein Schlussdokument machen.

DIE FURCHE: Erzbischof Quinn, aber auch andere schlagen vor, die Weltkirche in verschiedene kontinentale Patriarchate als Untereinheiten zu organisieren und dadurch solche Schwierigkeiten zu entschärfen.
König:
Es gibt hier verschiedene Wege. Ich glaube, das Erste wird sein, überhaupt einen Bewusstseinswandel in diese Richtung hin zu akzeptieren. Und dann gibt es zwei, drei Formen, wie man das angehen kann. Aus der Geschichte her legt es sich nahe, an eine Struktur mit verschiedenen Patriarchaten zu denken.

DIE FURCHE: Man kann die Kritik auch umdrehen: Setzen nicht auch die Ortskirchen dem römischen Apparat wenig entgegen?
König: Beim Konzil habe ich miterlebt, wie die Kollegialität präsent war. In Rom, in St. Peter bei den großen Sitzungen, konnte man miteinander reden und die Meinungen aus den vielen Teilen der Welt hören. Durch das Konzil haben die Bischöfe einander weithin gekannt. Und heute: Kennt man einander? Gerade im eigenen Sprachgebiet ist das noch der Fall. Wie kann das Kollegium da in Erscheinung treten? Das ist nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Frage. Es gibt manche Stimmen - auch ich gehöre dazu -, die es für eine gute Idee halten, wenn etwa alle zwei Jahre die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen der ganzen Welt zusammenkämen - der Papst mitten unter ihnen -, um einige ausgewählte Themen zu behandeln, wo aber der Papst nicht nur sagt: Sagt es mir, ich nehme das mit und mache daraus ein Schlussdokument, sondern wo mit dem Papst auch Entscheidungen getroffen werden. Auch das wäre eine von mehreren Möglichkeiten.

DIE FURCHE: Ein Problem der Kirche in Europa ist, dass das Lebensgefühl der Menschen und das, was die Kirche ist, und was sie sagt, auseinander driften. Nicht zuletzt diese Kluft führt zu Diskussionen - vom Zölibat angefangen bis zur Frage der Rolle von Frauen in der Kirche. Wie kann die Kirche mit dieser Spannung umgehen und dennoch die Menschentreffen?
König: Gerade wenn diese Fragen von oben her und mit der Sorge, dass die Einheit der Kirche auseinanderbrechen könnte - und ich verstehe diese Sorge! - behandelt werden, haben viele Menschen nicht das Gefühl, unmittelbar angesprochen zu sein. Ich glaube, die Lösung muss einfach lauten, dass es um Einheit geht - diese aber in der Vielfalt. Da ist natürlich ein Risiko dabei. Aber erst wenn in der Kirche auch das kontinentale und das territoriale Bewusstsein hervortritt, wird das Gefühl der Einzelnen größer, dass ihnen die Kirche näher ist und nicht weit weg.

Das bedarf ebenfalls neuer Überlegungen, neuer Menschen und einer Denkphase - und ist nicht einfach. Man könnte etwa die Frage stellen, ob die Zölibatsfrage europäisch oder kontinental zu lösen wäre. Es gibt ja die unierten Ostkirchen, bei denen der Zölibat anders geregelt ist als in der lateinischen Kirche, aber nur redet niemand davon. Da gibt es in der Kirche ja schon jetzt nebeneinander unterschiedliche Lösungen.

DIE FURCHE: Nicht nur der Papst, auch Sie stehen für Ökumene und die Beziehungen zu den Religionen: Inwieweit sind die Religionen in den politischen Prozessen - gerade in Europa wichtig?
König:
Sehr wichtig, weil wir auf der einen Seite immer wieder hören, dass Europa eine Seele braucht, nicht nur eine wirtschaftliche Seele. Außerdem hat das Christentum Europa geprägt. Heute ist es notwendig, gerade hier ökumenisch zu denken und auch die Orthodoxie voll einzubinden. Darüber hinaus geht es um den ganzen monotheistischen Bereich, also auch um das Gespräch mit Juden und Moslems: Sie gehören gemeinsam mit den Christen hinein in den interreligiösen Dialog, der auf der europäischen Ebene eine wichtige Rolle spielen wird.

DIE FURCHE: Österreich und Europa ist in der derzeitigen Situation ein heikles Verhältnis. Wie beurteilen Sie dieses?
König:
Nach meiner Meinung hat man, das derzeitige Verhältnis der EU-Staaten zu Österreich betreffend, zu wenig in der Öffentlichkeit erklärt, worum es geht, denn wir sind alle auf dem Wege nach einem neuen Europa - ob wir wollen oder nicht. Zweitens ist Europa der Kontinent, der durch den letzten Krieg in zwei Teile geteilt wurde; erst vor gut zehn Jahren konnten viele Osteuropäer sagen: Jetzt erst kehren wir nach Europa zurück. Ich verstehe, dass es im Prozess des Zusammenwachsens viel Mühsames gibt, dass die wirtschaftlichen Probleme groß sind. Der psychologische Fehler, der begangen wurde, war, nur von den Vorteilen zu reden, man hätte sagen müssen: Der Weg ist richtig, aber er ist schwierig.

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