Karl Lubomirski: In der Heimat fast unbekannt

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Zwei neue Bücher des österreichischen Lyrikers, der hier viel mehr gelesen werden sollte.

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Zwei neue Bücher des österreichischen Lyrikers, der hier viel mehr gelesen werden sollte.

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Dreizehn Bücher gibt es von Karl Lubomirski, drei davon zweisprachig (deutsch/italienisch). Seine Gedichte wurden in neun Sprachen übersetzt. Er selbst hat italienische Lyrik ins Deutsche übertragen. Jean Amery, Karl Krolow, Ernst Jünger und Sir Karl Popper schrieben begeistert über ihn, an ihn: "In Ihrem Buch klingt die Sprache wie Musik, vielleicht Schubert" (Popper).

In seiner Heimat Österreich ist der Mann, der neben Gedichten auch scharfsinnige Zeitanalysen, Essays und Reiseberichte jenseits der gängigen Oberflächlichkeit verfaßt, wenig bekannt. Warum? Eine erste Antwort gibt Lubomirskis Selbstbeschreibung: "Kompromißlosigkeit, in niemandes Bett gestiegen, niemandes Schuhe geputzt und zu allen wohlerzogen, ohne zu heucheln." Ein solcher Charakter hat es in Österreich schwer. Lubomirski ist jedoch so stark geprägt von seiner Herkunft, Jugend und 40 Jahren Auslandserfahrung, daß er die Mentalität des Eine-Hand-wäscht-die-andere, den Mangel an klaren Standpunkten, die Verlogenheit nicht akzeptiert, geschweige denn sich auf sie einläßt.

Lubomirski: Ein großer polnischer Name. Die hochadeligen Vorfahren liegen seit dem 14. Jahrhundert unter steinernen Grabplatten in Krakau. Lubomirskis Einschätzung der Aristokratie offenbart sich in seinem Gedicht "Zu Krakau": "Abgetreten / sind die Stufen zu den Grüften der Dichter / zu den Königen nicht."

Als er am 8. September 1939 in Hall geboren wurde (in der Innsbrucker Klinik gab es keinen Platz für seine Mutter), lebte die Familie schon seit Jahrzehnten in Tirol. Der Großvater war als Architekt nach Innsbruck gerufen worden. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte die Familie große Liegenschaften und Ländereien in Geld verwandelt. Man lebte von den Zinsen, doch am Ende des Ersten Weltkriegs war das Geld nichts mehr wert. Lubomirski lernte von früh an Bedürfnislosigkeit. Seine erste Erinnerung ist das Schlafen in einem dunkelblauen Trainingsanzug. Neben dem Bett des Dreijährigen lagen ein Pappendeckelstahlhelm und ein Pappendeckeldegen. Die Ausrüstung mußte bei jedem nächtlichen Fliegeralarm mit in den Luftschutzkeller. Eine Bombe zerstörte die Wohnung. Selbst in größter materieller Not lautete die Familiendevise: "Über Geld spricht man nicht. Wenn man es hat, ist es nicht nötig, darüber zu sprechen, und wenn man es nicht hat, gibt es keinen Grund, darüber zu sprechen."

Rückblickend erscheint dem Dichter seine Kindheit und Jugend als reich: "Ich hatte das Glück, mit geistreichen Verwandten aufzuwachsen." Ein Onkel führte ihn in die europäische Literatur ein, nahm ihn in die Natur mit, lehrte ihn, sie zu lieben. Musik lernte er aus dem Radio kennen.

Wie weit der Name seiner Familie zurückreicht, erfuhr er mit 19 Jahren bei seinem ersten Wienaufenthalt. Man schickte ihn auf den Kahlenberg, wo er ihn auf einer Tafel fand, die an die Türkenschlacht am 12. September 1683 erinnert: Johann III. Sobieski, Radziwill und Lubomirski - ein Dreigestirn der Tapferkeit.

Das österreichische Schulsystem der Nachkriegszeit war für den jungen Karl Lubomirski eine Tortur. Enttäuschte Nazis als Lehrer, ein Mann, der das KZ überlebt hatte: Die Spannungen im Lehrkörper übertrugen sich auf den sensiblen Schüler. Der wurde verhöhnt, weil er Mathematikaufgaben im Kopf löste. Der Vorwurf lautete, er habe die Lösungen auswendig gelernt. Er verließ das Gymnasium und begann zu arbeiten. In der Abendmittelschule interessierte ihn vor allem die Literatur. Während der Militärdienstzeit wurden Kleist, Shakespeare und Buddha seine Leitsterne. Zunehmend aber machte ihm das Innsbrucker Föhnklima zu schaffen, er erkrankte schwer, Heilung fand er in Turin. Er blieb in Italien, lernte die Sprache, verdiente sein Geld als Hilfsarbeiter. Damals war er 21.

Längst zweisprachig geworden, blieb der Dichter Lubomirski der Muttersprache treu. In der Schule waren seine Aufsätze so überragend, daß man ihn beschuldigte, abgeschrieben zu haben, man wisse nur nicht, von wo. Schon damals hatte er Dramen zu schreiben begonnen, allmählich fand er zu "seiner" Gattung, dem Gedicht. Nach dem Motto "Das Kostbarste, die Zeit des Lesers, darf nicht veruntreut werden", sind seine Gedichte kurz, nur wenige Zeilen, manchmal nur ein Wort. Den Weg in die äußerste Verdichtung geht er seither konsequent. Sein 1998 erschienener Lyrikband "Gegenstunde" beweist es erneut. Ob er über Liebe und Einsamkeit, seelischen und körperlichen Schmerz, über Politik, Landschaften, Verlust und Tod schreibt, immer mehr drängt es ihn zur Verknappung. Wie ein einzelner Gongschlag einen großen Nachhall hat, erzeugen diese sparsamen Gedichte einen Raum von Assoziationen um sich. "Gedichte: Nester in toten Bäumen." Abgestorbenes wird für die Vögel zum Nistplatz neuen Lebens.

In Italien folgten Jahre auf der Straße. Karl Lubomirski arbeitete als Vertreter für Forschungsinstrumente. Von Norditalien fuhr er Woche für Woche bis Sizilien, in Spitäler und Kliniken. Gedichte wuchsen im Angesicht des Leides, das er sah, geschrieben in Hotelzimmern auf kleine Zettel. 1973 erschien das erste Buch: "Stille ist das Maß der Weite".

Karl Lubomirski hörte 1996 auf, in einem bürgerlichen Beruf zu arbeiten. Seit 1980 hatte er für einen deutschen Chemiekonzern in Mailand eine Abteilung geleitet. Der Betrieb wurde 1996 aufgelöst. Seither ist der unermüdliche Freund italienischer Künstler im Einsatz, für junge Bildhauer und Maler Auslandskontakte zu knüpfen.

Natürlich weiß er, daß diese laute, schnelle Zeit vielen Menschen das Innehalten erschwert, dennoch: "Es ist immer Zeit für Gedichte, aber es ist nie Zeit für schlechte Gedichte." Er glaubt nicht an eine Dichterexistenz im Elfenbeinturm. Alle Erfahrungen, persönliche und gesellschaftliche, bis hin zum Leben der Arbeiter in Fabriken, das er selbst teilte, fließen in seine Gedichte ein. Ein Beispiel, "Wir": "Der Luft haben wir die Töne genommen / der Erde die Erze geraubt / der Nacht stahlen wir das Dunkel / den Wäldern die Tiere / dem Wasser die Fische / den Tieren die Freiheit / der Freiheit den Sinn / den Steinen die Form / den Pflanzen Farben und Geruch / den Flüssen die Kraft / dem Meer das Leben / den Bergen die Stille / dem Mond die Reinheit / dem Traum die Majestät / das taten wir / reuelos."

Prosagedichte stehen neben solchen, in denen er den Reim sparsam, aber mit großer Selbstverständlichkeit handhabt. Dogmen jeder Art, auch das der Sprachzertrümmerung, sind ihm fremd. Wer in zwei Sprachen lebt, ist wacher für das Wort, aber auch für die unterschiedlichen Kulturen überhaupt. In Italien hat er erfahren, daß Bildung nicht den rasanten Wertverlust erlebt hat wie in Österreich und Deutschland. Italien, ein modernes Land, hat dennoch nicht seine reiche Vergangenheit amputiert. Auf seinen Reisen hat er Israel, Ägypten, Persien, den Fernen Osten, Sri Lanka, China kennengelernt. Er bekommt Briefe von Lesern sogar aus Japan.

Die Kürze und Dichte, der Versuch der Objektivierung in seinen Versen, das scheint besonders Menschen im Fernen Osten zu bezaubern. Lubomirski, mit ausländischen Preisen geehrt, von österreichischen Juroren kaum bedacht, ist dennoch nicht bitter: "Kunst ist Freiheit. Freiheit zu geben seitens des Künstlers, Freiheit zu nehmen seitens des ,Konsumenten'. So wenig man den einen zwingen kann zu geben, so wenig sollte man den anderen zwingen zu nehmen. Hier müßte sich die Kritik bescheiden. Ich möchte für die Menschen, die meine Gedichte lesen, ein Fenster sein in eine Gegend, in die sie noch nicht geschaut haben, weil sie glaubten, daß es sie nicht mehr gebe."

Fenster sein: Das ist Karl Lubomirski jüngst wieder gelungen. Peter Rychlo, der ukrainische Übersetzer von Trakl, Werfel und anderen, hat unter dem Titel "Vogel über brennendem Wald" in Czernowitz eine ukrainische Anthologie aus allen Lyrikbänden Lubomirskis herausgebracht. Anfang September 1998 lud das österreichische Außenministerium den Dichter ein, im Rahmen einer Minister-Delegation, die zur Intensivierung der kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Ukraine unterwegs war, an den Universitäten von Lemberg und Czernowitz zu lesen. Seine Lesungen wurden live im Fernsehen übertragen: Nicht nur der Magen kennt Hunger, auch der Geist.

Gegenstunde Gedichte von Karl Lubomirski , Stendel Verlag, Waiblingen 1998, 190 Seiten, geb., öS 252, Vogel über brennendem Wald Gedichte von Karl Lubomirski, übersetzt von Peter Rychlo, Kulturverlag, Czernowitz 1998, 103 Seiten, geb., öS 78,

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