Karl Rahner überrascht immer noch

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Vor 25 Jahren starb Karl Rahner, einer der profiliertesten Theogen des 20. Jahrhunderts. Mit seinem monumentalen Werk bleibt der Konzilstheologe auch heute präsent.

Am 30. März 2009 sind es 25 Jahre her, seitdem Karl Rahner (1904-84) in Innsbruck verstorben ist, keine vier Wochen nach Vollendung seines 80. Lebensjahres. Erst vor fünf Jahren wurde seines 100. Geburtstages gedacht - weltweit, wie man ohne Übertreibung sagen kann. Zahlreiche Tagungen und Symposien fanden statt, auch in Wien im Kardinal-König-Haus, und selbst in Rom an der Lateranuniversität. "Es rahnert allerorten", hieß es damals.

Dass er weiterhin nicht nur genannt und zitiert wird, sondern auch gelesen, ist eine Tatsache, über die sich nicht nur Buchhändler freuen. Erinnerungen an die Person Karl Rahner mögen verblassen, unmittelbare Eindrücke in weite Ferne rücken. 25 Jahre - das ist immerhin eine ganze Generation. Wer jetzt Theologie studiert, für den ist Karl Rahner "Geschichte".

Es gibt einen Karl-Rahner-Platz in Innsbruck - eine Briefadresse. Es gibt das Karl-Rahner-Archiv in München, das seinen wissenschaftlichen Nachlass aufbewahrt und für die Forschung aufbereitet. Es gibt weiterhin Dissertationen und Habilitationen, die sich mit dem Riesenopus beschäftigen. Das Wichtigste aber ist: Karl Rahner bleibt präsent mit seinem nahezu unüberschaubaren Werk. Er hat ein Riesengebirge an Artikeln und Bücher zu so gut wie allen Fragen hinterlassen, die zu seinen Lebzeiten Menschen unter den Nägeln brannten - gerade nicht nur Fragen, die der Kanon der neuscholastischen Theologie vorgab, sondern Fragen des Lebens.

Was würde Rahner heute sagen?

Was würde Rahner wohl zu den jüngsten innerkirchlichen Turbulenzen sagen, zum schleichenden Abbau des Konzils - ausgerechnet unter dem Pontifikat eines ehemaligen Konzilstheologen? Rahner hat während des Konzils mit Joseph Ratzinger zusammengearbeitet. Dass er als Papst Traditionalisten weit entgegenkommt und den "rechten Rand" zu integrieren versucht, Suchbewegungen im "linken Spektrum" jedoch unterbindet, hätte Rahner - man muss kein Prophet sein - auf die Barrikaden gebracht!

"Das Ausbleiben seiner Wegweisungen und Zwischenrufe, die für ein halbes Jahrhundert nicht wegzudenken waren", so sein ehemaliger Mitarbeiter Kardinal Karl Lehmann vor zehn Jahren, "hat eine Lücke hinterlassen, die nicht geschlossen werden kann. In diesem Sinne ist Karl Rahner einmalig und unersetzlich."

Neben dem Bemühen, Karl Rahner mit kleineren prägnanten Texten oder Anthologien präsent zu halten (vgl. Buchtipps am Ende des Beitrags), ist wieder einmal auf die zuletzt erschienenen Bände seiner "Sämtlichen Werke" (SW) hinzuweisen. Sie sind inzwischen auf 23 von 32 geplanten Bänden angewachsen. Zwischen 1995 und 2005 wurde in der FURCHE bereits auf die in dieser Reihe erschienenen Bände) hingewiesen. Seither sind elf weitere Bände dazugekommen - das sind insgesamt 1,30 Regalmeter mit 15.273 Seiten "Lesestoff".

Selbst langjährige Rahner-Leser und -Kenner sind immer wieder überrascht über die unglaubliche Bandbreite der verschiedenen Themen, auf die sich der Jesuitengelehrte eingelassen hat.

Unglaubliche Bandbreite

Ein Band (SW 11), Titel: "Mensch und Sünde"), enthält Beiträge zur Geschichte und Theologie der Buße. Die Beiträge des Folgebandes "Menschsein und Menschwerdung Gottes" entstanden während Rahners Innsbrucker Dogmatik-Professur 1953-63. Dass für Rahner "Kirchliche Erneuerung" für seine Arbeit wesentlich war, zeigt ein weiterer Band (SW 16): Seelsorgsstrukturen und Stände in der Kirche, spezielle Fragen und Aufgaben der Seelsorge wie z. B. Bahnhofsmission, Gefängnisseelsorge oder Pfarrbücherei sowie Amtsstrukturen (Pfarrer, Episkopat und Primat, Diakonat) und Fragen der Theologenausbildung. Der pastorale Impetus dieser Theologie springt buchstäblich ins Auge.

Einer der schmalsten Bände in der Reihe heißt "Christliches Leben" (SW 14), dieser ist aber dadurch von großem Gewicht, dass hier Reflexionen der Spiritualität, Betrachtungen zu Festen und anderen Anlässen, eine Reihe von biblischen Predigten und Texte zu exemplarischen Personen zusammengestellt sind. Wer meint, Rahners Theologie habe keinen Bezug zur Heiligen Schrift oder zur Liturgie, wird hier eines Besseren belehrt.

Der "Fromme der Zukunft"

Der Band "Glaube im Alltag" (SW 23) setzt das fort mit Texten zum christlichen Leben, zum Kirchenjahr sowie die biblischen Homilien und Meditationen. Besondere Perlen sind der Beitrag "Frömmigkeit früher und heute", in dem sich das viel zitierte (und viel missbrauchte) Worte vom "Frommen der Zukunft" als einem, "der etwas erfahren hat", findet sowie die kleine Schrift "Alltägliche Dinge".

Über 65 verschiedene Interviews, von den 60er bis zu den 80er Jahren reichend, sind neben einer Reihe von Stellungnahmen und kleineren Gelegenheitstexten in "Im Gespräch über Kirche und Gesellschaft" (SW 31) veröffentlicht. Sie zeigen, dass Rahner, der oft sehr spontan und ungeschützt reden konnte, Theologie nicht abseits der Gegenwartsfragen betrieben hat, sondern auch kirchenpolitischen und gesellschaftlichen Problematiken nicht ausgewichen ist.

90 Einzeltexte aus dem Zeitraum von 1964 bis 1984, die Rahners Ordensexistenz, aber auch einen Auftrag des Konzils an die Orden widerspiegeln, sind unter dem programmatischen Titel "Erneuerung des Ordenslebens" (SW 25) versammelt. Auf sechs Texte, die viele biografische Auskünfte geben, folgen eine Reihe von Jesuitenporträts (Ignatius, Hugo Rahner, Alfred Delp, Pedro Arrupe, Mario von Galli) und Texte zur ignatianischen Spiritualität sowie zwölf Stellungnahmen zum Jesuitenorden, u. a. zur Situation des Ordens nach den Schwierigkeiten mit dem Vatikan 1981, außerdem kleinere Beiträge, die Rahners Anstrengungen erkennen lassen, ganz konkrete, manchmal fast skurrile Alltagsprobleme des Ordenslebens aufzugreifen.

Unschätzbare Informationen

Aus der letzten Lebensphase, nämlich aus den Jahren 1977 bis 1984, stammen späte Beiträge zur Praxis des Glaubens ("Geistliche Schriften", SW 29). Der Band enthält dichte Spitzentexte wie "Vom Mut zum kirchlichen Christentum", "Wer ist dein Bruder?", "Mystik - Weg des Glaubens zu Gott", "Was heißt Jesus lieben?" oder "Nachfolge des Gekreuzigten".

Die Bearbeiter dieser elf Bände (Dorothea Sattler, Herbert Vorgrimler, Albert Raffelt, Johannes Herzgsell, Stefan Kiechle und Andreas R. Batlogg) sind ausgewiesene Experten, die nicht zuletzt in den editorischen Anmerkungen viele unschätzbare Informationen geben. Dass fast jeder Band auch bisher unveröffentlichte Texte Karl Rahners enthält, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Die zunehmend ausführlicher werdenden Register erschließen die einzelnen Bände sehr leserfreundlich. Billig sind diese Bände nicht. Man ist in diesem Zusammenhang geneigt zu sagen: Karl Rahners Theologie ist von unschätzbarem Wert!

* Der Autor ist Jesuit und Leiter des Karl-Rahner-Archivs in München

Karl Rahner: Sämtliche Werke

Hg. u. bearb. von (u.a.): Dorothea Sattler, Herbert Vorgrimler, Albert Raffelt, Johannes Herzgsell, Stefan Kiechle und Andreas R. Batlogg Verlag Herder 2005/08, Freiburg. www.herder.de

Gotteserfahrung heute

Von Karl Rahner. Hg. Andreas R. Batlogg und Albert Raffelt. Verlag Herder, Freiburg 2009, 60 Seiten, kt. € 10,30

Worte gläubiger Erfahrung

Von Karl Rahner. Hg. Alice und Robert Scherer, Verlag Herder, Freiburg 2009,

125 Seiten, kt. € 10,30

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