Karussell des Wahnsinns, erschreckend aktuell

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Das Tiroler Landestheater zeigt zum Verdi-Jahr "La forza del destino“ in einer szenisch drastischen, musikalisch überzeugenden Produktion.

"Und doch erlaubt dieser Pirat es sich - ich würde nicht gerade sagen, Atheist zu sein, sicherlich jedoch, kein überzeugter Gläubiger zu sein, und all das mit einer Sturheit und Ruhe, für die man ihn am liebsten verdreschen würde. Ich erzähle also weiter über die Wunder des Himmels, der Erde, der Meere usw. usf. Er lacht mir offen ins Gesicht und läßt mich mitten in meinem Ausbruch ausgesprochen göttlicher Begeisterung erstarren, indem er sagt: ‚Du spinnst ja!‘ und leider sagt er das auch noch in tiefer Überzeugung.“

Giuseppe Verdi hat selbst nie erklärt, Atheist zu sein, aber er war ebenso antiklerikal wie glühend nationalistisch. Seine Haltung ist bekanntlich in den frühen Opern manifest. Aufführungen mündeten in politische Demonstrationen, die Bevölkerung feierte seine Opposition gegen die österreichischen Machthaber. Man verstand auch die Anspielung auf Pius IX. in "Ernani“. Gattin Giuseppina beschreibt seine Einstellung zum Glauben in obigem Briefausschnitt - und doch schrieb Verdi die innigsten Gebete und Klosterszenen.

"La forza del destino“, die Oper, mit der nun am Tiroler Landestheater das Verdi-Jahr gefeiert und die Saison eröffnet wurde, führt in die Zeit um 1860, als Verdis Aufmerksamkeit nicht dem Komponieren, sondern den aktuellen Risorgimento-Ereignissen galt und er sogar Abgeordneter wurde. Da erreichte ihn ein Opernauftrag aus St. Petersburg, und es wird letztlich "La forza del destino“. Verdi darf nun alles, notiert Giuseppina, "außer in Russland die Republik ausrufen“.

Am Tiroler Landestheater hat Kay Kuntze dieses große, düstere Panorama über Krieg und Liebe inszeniert und zeigt, wie Verdi, dessen Stellung als Künstler und Nationalist in den revolutionären bürgerlichen Bewegungen des 19. Jahrhundert im Gegensatz zu unserer Zeit steht, zentral den Krieg. Der Extremismus des Kampfes, die sinnlose Zerstörung von Leib, Seele und Beziehungskraft, auch die zunehmende Verständnislosigkeit und Desorientierung erweisen sich als erschreckend angebunden an unsere Aktualität. Das Karussell des Wahnsinns zeigt Soldatenschenke und Lazarett, Propaganda, Lagerhuren und Geschäftetreiberei mit Alkohol und Drogen, Schwerstversehrte, denen Orden umgehängt werden. Armenausspeisung, Kriegsleid, Friedenssehnsucht, die auf Schiller zurückgehende Mönchspredigt sowie die dankenswerterweise nicht gestrichene kurze Rekrutenszene stellen das Gleichgewicht her.

Pater Guardian ersticht sich

Die in den Krieg verwobene Liebesgeschichte mit ihren Konflikten und Absurditäten führt Kuntze zurück auf eine strenge, sexistische, von militärischer Zucht geprägte Erziehung der Geschwister Leonore und Carlo. Verdis Kloster-Guardian schildert der Regisseur als schwach. Neben dem toten Carlo und der sterbenden Leonore sinnt und zweifelt er lange über seinem Kreuz und ersticht sich kniend im Hintergrund.

Die klugen Ansätze wie auch Ungereimtheiten der Regie können nur in unwirtlichem Bühnenbild stattfinden (Martin Fischer). Eine großartige Leistung bringt der Chor, von den Solisten ist Verismo-Spezialistin Jennifer Maines (Leonora) fehlbesetzt und Bernd Valentins schöner Bariton (Carlo) stilistisch Verdi nicht so nahe wie Paulo Ferreiras Alvaro, der seinen Tenor glanzvoll steigert und mit Valentin kraftvolle Duette zündet. Verdi energiegeladen bis zutiefst lyrisch ganz nahe ist Francesco Angelico, der neue Chefdirigent des absolut engagierten Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck.

La forza del destino

Tiroler Landestheater

27., 29. September, 2., 25., 31. Oktober

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