Katholisch. Ein Zwischenruf

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Links marschiert mit Rechts: Die Allianz zwischen enttäuschten Achtundsechzigern und strammen Konservativen hat in der katholischen Kirche zurzeit Konjunktur. Auch der jüngste Bestseller des langjährigen "Spiegel“-Journalisten Matthias Matussek zeugt davon: Aber dieses "Katholische Abenteuer“ hat seine Tücken.

Ein Gespräch in Wien mit Kardinal Paulo Evaristo Arns Ende der achtziger Jahre. Der "Befreiungstheologe“ im Kardinalskollegium erzählt von einem Gewerkschafter, der in einer der Diktaturen Lateinamerikas im Gefängnis landet. Bald gibt es Solidaritätsaktionen aus Europa. Einer der Schergen fragt den Gewerkschaftsmann, woher denn solche Unterstützung komme. "Ich bin katholisch“, so die Antwort. Kardinal Arns, heute 90-jährig als Emeritus in Brasilien lebend, erzählte diese Episode als schlagendes Argument fürs weltumspannende Christentum katholischer Prägung.

Wahrscheinlich hätte Matthias Matussek der eminenten Argumentation damals zugestimmt. Gut 20 Jahre und einen Bestseller später wäre das Weltumspannende wohl auch weiter ein Argument, das der ehemalige Feuilletonchef des Spiegel mit anderen leidenschaftlichen Katholiken teilt. Aber damit hat es sich schon, wenn man sich als nach wie vor "Konzilsbewegter“ Matusseks Erguss in Buchform "Das katholische Abenteuer“ nähert. Eine viel gelesene und gelobte Erscheinung, die weniger "Eine Provokation“ (so der Untertitel) als ein Ärgernis bereithält. Und die typisch ist für eine seltsame Allianz mitten im katholischen Mainstream. Weswegen es einen anderen Katholiken drängt, Widerspruch einzulegen.

Vorkonziliares Kirchenbild

Die angesprochene Allianz ist nicht neu: Ein einst katholisch Sozialisierter, dann links Bewegter kehrt nach Läuterung in den Schoß der Kirche zurück und verbündet sich da mit den Konservativen, wenn nicht gar mit der kirchlichen Reaktion, welche das II. Vatikanum am liebsten ungeschehen machen würde. Auch Matthias Matussek hat sich da zum Bewahrer eines vielleicht sogar vorkonziliaren Kirchenbildes gewandelt. Er ist nicht beileibe allein. Man kann da etwa den gleichfalls zeitweilig in linken Atheismus verfallenen Peter Seewald nennen, der kürzlich ein Interview-Buch mit Benedikt XVI. ("Licht der Welt“) veröffentlichen durfte: Dort rief er ob seiner affirmativen und kritiklosen Fragen an den Papst, gelinde gesagt, journalistisches Stirnrunzeln hervor. Matussek führt Seewald denn auch anerkennend im Mund, obwohl er selber doch ein anderes intellektuelles Kaliber darstellt.

Matusseks Duktus lautet: "Mein Verein wird angegriffen!“ Darum sieht sich ein eloquenter Schreiber gehalten, diesen zu verteidigen, koste es, was es wolle. Das mag ein ehrbares Anliegen sein, aber wenn die Wortmacht Argumente zudeckt und der eigene Glaube vor allem in seiner Überlegenheit über andere Religionen und Konfessionen wahrgenommen wird, ist das ein Rückschritt: Den Protestantismus versteht Matussek als einen kalten, unästhetischen Bildersturm, ein gnadenloses Ausgeliefertsein an Gottes Gnade - er kann mit dem katholischen Glauben keinesfalls mithalten. Dass dann der Islam sowieso inferior ist (und eine Gefahr darstellt), versteht sich von selbst.

Natürlich stimmt manches an der Matussek’schen Zeitdiagnostik und Kulturkritik. Dass die Gegenwartsgesellschaft mit der Frage von Schuld und den Grenzen von Gut und Böse zuweilen (fahr)lässig umgeht, mag einer Betrachtung wert sein. Aber man muss einem dann nicht gleich die Todsünden um die Ohren schmeißen, zumal es sich dabei gar nicht um den theologisch korrekten Begriff handelt, sondern um die umgangssprachliche Version, die eigentlich die sieben "Hauptlaster“ bezeichnet. Aber mit solcher Spitzfindigkeit gibt sich diese Philippika nicht ab. Nicht dass der Papst als Zeichen der Einheit und als Führer der katholischen Christenheit nicht plausibel wäre. Aber der von seinen egalitaristischen Spompanadeln früherer Jahre geheilte Schreiber verteidigt den römischen Pontifex auf allen Linien. Und Kritiker bekommen ihr Fett ab - und zwar nicht nur Vulgäratheisten à la Richard Dawkins, sondern gerade Vertreter des so genannten Kirchenreformlagers.

"Auratische Figur“ versus reale Probleme

Es mag ja der Zölibat wirklich nicht das Hauptthema der Kirche sein. Aber den zölibatären Priester als "auratische Glaubens-Figur. Er lebt im Vorhof des Heiligen“ zu überhöhen und reale Widersprüche zu ignorieren, ist einer redlichen Auseinandersetzung nicht dienlich. Natürlich weiß auch Matussek um die Probleme, die Priesterkinder oder die Verlogenheiten so mancher priesterlichen Existenz mit sich bringen. Aber diese Kollateralschäden nimmt einer, der sich sein hehres Ideal nicht beschmutzen lassen will, in Kauf.

Also sind deutsche Christdemokraten, welche in Sachen verheiratete Priester beim Papst vorstellig werden, ebenso abzulehnen wie die Theologen, die es wagen, ein Memorandum zur Kirchenreform zu unterzeichnen. Auch in der Diskussion um sexuellen Missbrauch werde der katholischen Kirche von Welt und Medien grundsätzlich Unrecht getan, so die weitere Suggestion. Das alles mag diskutierbare Facetten haben. Aber in ihrem pauschalen Gestus ist der Furor wider alle, die sich mit dem katholischen Status quo nicht abfinden wollen, erstaunlich.

Die enttäuschten Linken und die strammen Konservativen in der katholischen Kirche finden schnell Gefallen aneinander, könnte man polemisch entgegnen. Jeder Zweifel, ob nicht doch totalitäre Strukturen und Attitüden in dieser Kirche zu finden und aufzudecken wären, ob ein Eindringen des "Rauchs Satans“ nicht hier zu konstatieren wäre (und nicht bei den Reformen des II. Vatikanums, wie dessen Gegner behaupten), deckt ein missionarisch-neokonservativer Katholizismus zu. So paart sich dieser Zeitgeist mit dem strukturellen Beharrungsbedürfnis der Institution: Ein Wortgewaltiger wie Matthias Matussek stellt sich in den Dienst der dubiosen Sache. (Im Übrigen kann man an eingestreuten Reportagen, von der Marienprozession in Amazonien bis zum Besuch bei fundamentalistischen Christen in den USA, nachlesen, was für ein grandioser Reporter dieser Mann auch ist.)

Keine Frage, viele Zeitgenossen sind modernemüde. Und: Der Glaube des pilgernden Gottesvolkes nach dem II. Vatikanum bedeutet Anstrengung. Eine vermeintlich klare Identität, Autorität bis hin zum Autoritarismus sowie der Rekurs auf "ewige“ Werte und Wahrheiten nehmen einem diese Anstrengung ab. Aber gleichzeitig auch das Abenteuer des Katholischen. Matussek führt dieses zwar im Titel seines Buches an; doch Abenteuerlust sieht anders aus.

Dieser Vereinnahmung widerstehen

Ein Gutes mag die Erscheinung ja haben: Sie sollte zu Widerstand gegen die katholische Vereinnahmung à la Matussek anstacheln. Man kann das etwa am von dieser Seite so geliebten Thema Liturgie und religiöse Ästhetik anschaulich machen. Natürlich nimmt auch Matussek den Büchner-Preisträger Martin Mosebach, der die "Formlosigkeit“ der nachkonziliaren Liturgie geißelt und sich so nach dem tridentinischen Messritus sehnt, zum Zeugen. In Wirklichkeit fußt die durchs Konzil angestoßene, von Matussek & Co denunzierte Liturgiereform auf dem Versuch, alte und verschüttete Formen und Riten neu zur Geltung zu bringen. Das blieb unvollkommen, sodass nicht nur die Kirche "semper reformanda - immer zu erneuern“ wäre, sondern auch die Liturgie. Man kann das Jammern nicht mehr hören, früher sei alles "heiliger“ gewesen.

Muss man die Matusseks dieser Kirche also lesen? Wahrscheinlich schon. Aber man sollte sich den eigenen, durch den Aufbruch des Konzils gereiften Glauben nicht vom neo-konservativen Zeitgeist madig machen lassen. Mehr als ein Zwischenruf scheint nötig.

Das katholische Abenteuer. Eine Provokation

Von Matthias Matussek. Deutsche Verlags-Anstalt 2011. 368 Seiten, geb, e 20,60

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