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Demnächst ist sie als extreme Katholikin Anna Maria im zweiten Teil der "Paradies“-Trilogie von Ulrich Seidl im Kino zu sehen. Sieben Jahre hat Maria Hofstätter für diese Rolle gebraucht. Das Gespräch führte Otto Friedrich

Demnächst kommt "Paradies: Glaube“ von Ulrich Seidl ins Kino. Beim Filmfestival in Venedig gab es Preise sowie - von konservativ-katholischer Seite - Blasphemie-Vorwürfe wegen einer Szene, in der die Hauptfigur unter der Tuchent mit einem Kreuz hantiert. Maria Hofstätter spielt die obsessive Katholikin Anna Maria, die mit einem Muslimen verheiratet ist.

Die Furche: Sie haben sieben Jahre für die Rolle der Anna Maria gebraucht. Wie muss man sich das vorstellen?

Maria Hofstätter: Natürlich habe ich dazwischen andere Projekte gemacht. Es war auch nicht vorgesehen, mich so lange vorzubereiten. Ich bin einfach immer wieder gescheitert. Darum hat sich das verlängert und verlängert. Und Ulrich Seidl ist ein sehr geduldiger, sehr hartnäckiger Regisseur, der mir nie das Vertrauen entzogen hat.

Die Furche: Es war also Ihre "Schuld“ …?

Hofstätter: … dass es so lange gedauert hat.

Die Furche: Woran sind Sie gescheitert?

Hofstätter: Das hat mich selber sehr irritiert. Normalerweise entwickle ich eine große Empathie für Figuren, die ich spiele. Aber hier ist mir das extrem schwergefallen. Ich habe zwar rational verstanden, was zu tun wäre, oder was ihre Probleme sind. Aber in dem Moment, wo ich die Figur spielen sollte, habe ich sie nicht gespürt. Es gab einfach Blockaden. Ich habe dann sehr viel probiert, um ihr nahezukommen. Ich habe viel Zeit mit sehr gläubigen Menschen verbracht, ihnen Fragen gestellt und mit ihnen mitgemacht - von stundenlangem Beten bis zu Anti-Abtreibungsdemonstrationen, ich bin missionieren mitgegangen, damit ich verstehe, was da passiert. Ich habe privat experimentiert, bin allein zu Fuß von Wien nach Mariazell gepilgert, habe Askese-Übungen gemacht, bin in ein Schweigekloster gegangen, um diese totale Hingabe zu begreifen. Aber bei jedem Probedreh war die Blockade wieder da. Ich habe bis zum letzten Drehtag an mir gezweifelt. Denn wenn die Figur nicht glaubwürdig ist, stürzt das völlig ins Groteske oder Überzeichnete ab.

Die Furche: Groteske und Überzeichnung sind in "Paradies: Glaube“ doch wesentlich!

Hofstätter: Aber das muss trotzdem ganz natürlich sein. Wir sind oft völlig grotesk in unseren Handlungen. Ich muss aber dem Menschen dahinter völlig glauben. Das ist ja das Verstörende bei Ulrich Seidl, dass man in seinen Filmen das Gefühl hat, ich sehe jemandem durchs Schlüsselloch zu.

Die Furche: Ist Anna Maria eine Kunstfigur?

Hofstätter: Finde ich nicht.

Die Furche: Aber Ulrich Seidl arbeitet doch gerade mit Künstlichkeit.

Hofstätter: Ja, aber in den Bildern, wo er mich dann hineineinsetzt: Diese "Seidl-Tableaus“ sind sehr künstlich, stilisiert und durchkomponiert. Doch wenn es um Aktionen geht, um Dialoge, dann ist das völlig improvisiert, da ist nichts vorgeschriebenen, damit es sehr natürlich wirken kann. Da wollte er überhaupt keine Künstlichkeit.

Die Furche: Wenn Sie bei einer Anti-Abtreibungsdemo mitgemacht haben: Haben die anderen gewusst, wer Sie sind?

Hofstätter: Ja. Ich habe immer gesagt, wer ich bin und dass ich eine sehr Gläubige spiele. Auch dass ich damit Probleme habe, und dass es ein Film von Ulrich Seidl ist. Nichts war undercover. Wir haben immer mit offenen Karten gespielt. Und wurden von den meisten, nicht von allen, sehr liebevoll aufgenommen. Sie haben mich einfach mitmachen lassen, auch beim Missionieren.

Die Furche: Was für Gruppen waren das, die missioniert haben?

Hofstätter: Das war diese Wandermuttergottesbewegung. Ich wusste vorher eigentlich gar nicht, dass es das gibt. Das sind Medjugorje-Gläubige…

Die Furche: … aber Medjugorje kommt im Film nicht vor …

Hofstätter: … weil wir keine Gruppe expressis verbis genannt haben - da waren diese strikten Abtreibungsgegner, dann die missionierende Wandermuttergottesbewegung, dann auch die Legion Mariens …

Die Furche: … aber die war dann als "Legio Herz Jesu“ doch eindeutig erkennbar …

Hofstätter: …wer sich auskennt, weiß schon, was gemeint ist. Und dieses "Körperprogramm“, die Selbstgeißelung, dieses Sühne-Tun ist natürlich vom Opus Dei inspiriert.

Die Furche: Aber wie ich Leute aus diesen Milieus einschätze, wird ein Gutteil befremdet bis entsetzt sein, wenn sie den Film sehen.

Hofstätter: Ich weiß nicht,ob das so ist. Ich mache nichts anderes, als was ich da gelernt habe - bis auf zwei Szenen, diese gewollte körperliche Liebe mit Jesus sowie die Szene, wo ich auf ihn einschlage. Ich bin sehr überrascht, dass das Kreuz unter der Tuchent als sehr provokant empfunden wird, während das Einschlagen auf Jesus als weniger arg gilt. Das irritiert mich zutiefst. Denn mir ist dieses Einschlagen sehr schwer gefallen. Das stört aber niemanden. Aber dort, wo ich Jesus zwar ein wenig obsessiv und abstrus "liebe“ - da geht es wirklich um Liebe und da ist in der Intention überhaupt nichts Blasphemisches dabei, im Gegenteil - es ist eine völlig übersteigerte Liebe! Ist das die große Provokation? Vielleicht hat das dann doch mit der katholischen Kirche zu tun: dass Gewalt nie so groß verurteilt worden ist, aber Sexualität eine schwere Sünde war.

Die Furche: Die Schlussszene, in der Sie aufs Kreuz einschlagen, ist stringent, weil Sie, nach all dem, was vorfällt, so wütend sind.

Hofstätter: Natürlich ist es stringent, zuerst diese übersteigerte Liebe und dann diese übersteigerte Enttäuschung, dass man auch an Gott zweifelt. Aber die katholischen Reaktionen in Italien, Spanien und dann in Warschau zeigen, dass sich die Kritik auf die Liebesszene fokussiert.

Die Furche: Warum exemplifiziert der Film den Glauben aber an diesem Eck des katholischen Spektrums. Es gibt ja genug Leute, die nach wie vor nachvollziehbar gläubig sind und nicht irgendwie schrullig.

Hofstätter: Das ist schon klar. Aber in der Kunst wird oft etwas unter dem Brennglas sichtbar. Es geht ums Zeigen von geschlossenen Systemen: Wenn man sich diesen völlig unterwirft, wird es gefährlich.

Die Furche: Sie haben sich da auch persönlich sehr involviert. Sie sind allein von Wien nach Mariazell gepilgert, Sie haben in einem Karmel mitgelebt. Das muss für Sie ja auch eine sehr existenzielle Geschichte gewesen sein. Können Sie darüber reden?

Hofstätter: Es war wahrscheinlich ein Grund, warum ich so blockiert war, weil wahrscheinlich alles zu nahe war. Das habe ich vorher nicht gedacht. Ich bin selber am Land sehr katholisch aufgewachsen, habe mich in der Jugend eher distanziert, obwohl es in meiner Arbeit - im Theater wie im Film - letztlich immer wieder eine Rolle spielt. Das ist schon ein Lebensthema von mir. Ulrich Seidl meinte, ich sei die ideale Besetzung, denn ich weiß ja viel. Aber dann stand mir das in Wirklichkeit im Weg, weil sich alles in mir gewehrt hat. Da hat sich die Maria Hofstätter - nicht die Schauspielerin, nicht die Figur, sondern ich selber - quergelegt.

Die Furche: Und das Wallfahren, das Ins-Kloster-Gehen, das haben Sie nur getan, um die Rolle spielen zu können?

Hofstätter: Ja. Ich wollte diesen Knopf lösen. Ich wollte diese Figur verstehen und sie nicht einfach verurteilen!

Die Furche: Und verstehen Sie sie jetzt?

Hofstätter: Noch immer nicht gut. Sie bleibt mir bis zu einem gewissen Grad fremd. Ich kann sehr gut die Sehnsucht danach verstehen, auf alles eine Antwort zu bekommen. Jemandem, nämlich Gott, total vertrauen zu können. Dass man geliebt ist von ihm. Ich verstehe, dass man das alles gerne haben möchte. Doch ich glaube einfach nicht dran, dass es so funktioniert.

Die Furche: Ist Ihnen in dieser intensiven Auseinandersetzung auch eine Transzendenzerfahrung zuteil geworden?

Hofstätter: Jein. Aber die war nicht sehr katholisch. Ich habe jedenfalls sehr viel über mich selber erfahren.

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