Katholisches Monstrum

Werbung
Werbung
Werbung

... oder Dichter der Transzendenz: Zum 50. Todestag von Paul Claudel (1868-1955).

Er schreibt wie Shakespeare, der Rimbaud und Thomas von Aquin gelesen hat: glühend und ironisch, mystisch und maßlos im Stapeln der Sätze. Eine glänzende Diplomatenkarriere auf drei Kontinenten blendet die privaten Krisen aus, wie ein roter Schmerzfaden durchziehen sie dafür sein Werk. Er nennt sein Leben die Laufbahn eines Seefahrers: viele Häfen, oft stürmische See. Er kann es sich leisten zu schreiben, ohne auf irgendwelche Moden zu achten.

Paul Claudel: Sein Name klingt wie ein warmer, ausschwingender Glockenton. Erinnert wehmütig an eine Zeit, da ein guter Tag mit der Frühmesse begann.

Seine Herkunftsfamilie in der Champagne wird als standesbewusste und gefühlskalte Festung beschrieben, in der jeder mit jedem stritt. Der Vater cholerisch und antiklerikal, die Mutter bodenständig. Die ältere der beiden Schwestern war die geniale und unglückliche Camille.

Religion und Rimbaud

Paul Claudels Temperament changierte lebenslang zwischen Einfühlsamkeit und Schroffheit, zwischen aggressiver Selbstgerechtigkeit und schuldbewusster Demut. Nach dem legendären Bekehrungserlebnis des Achtzehnjährigen ("das durchbohrende Gefühl ... der Kindschaft Gottes") während der Christmette in Notre Dame de Paris war er überzeugt, seinen Weg gefunden zu haben. Zur selben Zeit entzündeten die Dichtungen Rimbauds und Mallarmés das poetische Feuer. Es gab ihm die Gewissheit, zum Dichter berufen zu sein. Zu einem Lebenswerk, das radikal mit stilistischen Konventionen bricht und sich in einer Zeit zunehmender materialistischer Geistlosigkeit bedingungslos in den Dienst eines religiösen Auftrags stellt, wie der junge Tobias "von jenseits des Horizonts das Licht heimzuholen".

Kurzum: Claudel wurde mit diesem Lebenswerk von zwei Dutzend dramatischen Werken, fünf großen Oden, vielen Gedichten, Essays und schließlich Betrachtungen und Kommentaren zur Bibel zur literarischen Leitfigur des Katholizismus eines halben Jahrhunderts. Aus einem Brief von Hans Scholl, dem Gründer der "Weißen Rose", vom Februar 1942: "Ich lese zur Zeit hier mit einigen Freunden den Seidenen Schuh' von Claudel ... das größte Ereignis der modernen europäischen Literatur ... die Gedanken Claudels sind tiefer, umfassender als die Fausts." Fazit der Lektüre: "Keine Zugeständnisse!"

Zum 80. Geburtstag Claudels spricht 1948 der geistesverwandte Reinhold Schneider in einem Vortrag von der "geschichtlichen Merkwürdigkeit seiner Erscheinung, seiner Nähe und Ferne". Er preist den "Seidenen Schuh" als "Weltdrama" angesichts "der Felsengraten der Ewigkeit" und den Dichter als eine "große Gegenmacht der Zerstörung".

Ein Komet verglüht

Zehn Jahre später sieht Schneider in Wien Claudels "Buch von Christoph Columbus" und verlässt die Aufführung nach dem ersten Akt. Es kann nicht nur an der Inszenierung gelegen haben. In seinem Bekenntnisbuch "Winter in Wien" äußert Schneider seine Enttäuschung über den Dichter, der "soviel weiß wie Gott, wenn er sich auf das Mysterium der Fügung versteht". Selber schmerzhaft zweifelnd stellt er nüchtern fest, dass wohl kein Nicht-Glaubender von der "frommen Geschichtsoper" erreicht, geschweige denn überzeugt werden könne.

Nichts charakterisiert besser die allgemeine Abkehr vom großen Claudel während der nächsten Jahrzehnte. Der Komet, manchen gar ein Fixstern, scheint in der Atmosphäre der sechziger und siebziger Jahre verglüht zu sein. Gründe dafür liegen gewiss in der als pathetisch empfundenen Sprache, mehr noch aber in Claudels forderndem und nach eigener Aussage fanatischem Katholizismus, seiner Lust, "dieser ganzen säkularisierten, mechanisierten, materialistischen und verweichlichten Kultur ... ins Gesicht gespottet zu haben". An dieser dogmatischen Strenge scheiterte auch der sich über Jahrzehnte hinziehende briefliche Bekehrungsversuch bei André Gide; der fragilen Zwiespältigkeit Gides vermochte Claudel nur mit theologisch stringenter Argumentation zu begegnen. Der Briefwechsel endete in Entfremdung.

Die Frau als Köder und Opfer

Aber Claudel war kein finsterer Moralist. Er predigte nicht Weltverachtung, sondern Liebe zur Welt, dem Schauplatz seines kühnsten Dramas, voll von Sehnsucht, Begehren und Schuld, zu denen "der katholische Mensch sein liebendes Ja zu sagen" habe, so der Theologe Hans Urs von Balthasar im Nachwort zu seiner Übersetzung des Dramas "Der seidene Schuh", nur "das nackte Nein" zu Gott wäre zu verachten. Der greise Claudel schreibt in einem Kommentar zur biblischen Ehebruchsgeschichte Davids: "Welch ein Wunder, sich mittels der Sünde die Erlösung verschafft, sich der Liebe versichert zu haben."

War Claudel ein Frauenfeind? Seine Kritiker werfen ihm ein abstruses Frauenbild vor: die Frau als "Köder Gottes", immer zwischen Verführerin und sich liebend opfernder Erlöserin. Ohne Zweifel hat - nach dem Bekehrungserlebnis von Notre Dame und einem gescheiterten Versuch, ins Kloster zu gehen - die Liebesaffäre mit Rosalie, einer verheirateten Frau, seine Persönlichkeit am tiefsten erschüttert; und in dem Drama "Mittagswende" lebensnahen Nachhall gefunden. 13 Jahre nach der von ihr abgebrochenen Beziehung, anlässlich der Erstkommunion der gemeinsamen Tochter, schreibt Rosalie an Claudel: "So unerwartet und geheimnisvoll ich auch bin, glaub mir, ich bin jene, die du erkannt hast ... die Wellen deiner Gedanken erreichen mich über Welten ..." Es könnte eine Dialogzeile aus der "Mittagswende" sein oder aus dem "Seidenen Schuh". Die liebende Frau als Verheißung, die sich entzieht, damit ist der Liebesstrom schiffbar zu Gott hin.

Die Schwester Camille

Die deutlichste Frauenspur in Leben und Werk hat aber - man blicke nur nah genug hin - seine unglückliche Schwester Camille hinterlassen. Zwei Jahre vor seinem Tod schreibt er in sein Tagebuch: "Immer der gleiche Aschegeschmack, wenn ich an sie denke, Miserere mei, Domine." Hatte er das Gefühl, dass sie für seinen Erfolg geopfert wurde? Claudel fürchtete ihren antiklerikalen Spott, er bewunderte ihre Begabung als Bildhauerin, er liebte die unangepasste Schwester. Als sich Auguste Rodin, ihr Lehrer und Geliebter, von Camille trennte, zerbrach ein Genie und war nicht mehr fähig, sich in der Welt zurechtzufinden - und niemand konnte ihr Halt bieten. 1913 wurde sie - auch auf Veranlassung Pauls! - für den Rest ihres Lebens in einem Irrenhaus zwangsinterniert. Und das waren noch 30 Jahre. Camille ist gleichermaßen die dunkle Mara wie die lichte Violaine aus der "Verkündigung"; jede Frauengestalt Claudels trägt wenigstens einen ihrer unverwechselbaren Züge.

Wieder Claudel lesen?

Wird Claudel im dritten Jahrtausend wieder gesellschaftsfähig? Ohne den Anlass eines runden Gedenktags sind in den letzten zwei, drei Jahren seine besten Dramen "aus der katholischen Mottenkiste" ans grelle Bühnenlicht der Gegenwart gebracht worden. Und siehe da: sie bestanden. Vor vier Jahren war es bei den Salzburger Festspielen Claudels und Arthur Honeggers "Johanna auf dem Scheiterhaufen", das eindrucksvolle Gemeinschaftswerk des - wie ein Kritiker schrieb - "katholischen Mystikers und des calvinistischen Protestanten". Und in München ist seit einem Jahr das Kammerspiel "Mittagswende" in der radikalen Erstfassung von 1905 zu sehen.

Mutige Regisseure haben vor ein, zwei Jahren das dramatische Monstrum "Der seidene Schuh" in bejubelten zehnstündigen Aufführungen in Basel, Bochum und Edinburgh aus dem Sand der Vorurteile und des Vergessens gehievt. Der Erfolg kann nicht nur an den Inszenierungen gelegen haben. Der Guardian nennt den großen Dialog der Liebenden anlässlich der Aufführung in Edinburgh "die aufwühlend-schönste Poesie".

Zum Schluss eine persönliche Empfehlung: Man sollte wieder Claudel lesen. Man beginne mit seinen einfühlsamen Essays über holländische Malerei ("Das Auge horcht"); zum Beispiel über "Die Vorsteherinnen des Altweiberhauses" von Frans Hals. Eindringlicheres über die Grenze zwischen Tod und Leben wird man nicht finden.

Am 23. Februar 1955, in der Nacht zum Aschermittwoch, ist Paul Claudel in Paris gestorben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung