Kaum erträgliche Dichte

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Büchners "Woyzeck" in der Regie Michael Thalheimers bei den Salzburger Festspielen: Ein Skandal und ein großer Theaterabend. von wolfgang rupert muhr

Woyzeck: Schuld, Unschuld, Armseligkeit, Mord, Verwirrung sind die Geschehnisse. Aber wenn man es heute liest, hat es die Ruhe eines Kornfeldes und kommt wie ein Volkslied mit dem Gram der Herzen und der Trauer aller."

Diesem Zitat von Gottfried Benn, dem Programmheft der "Woyzeck"-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen vorangestellt, einerseits den Boden unter den Füßen wegzuziehen, andererseits dessen Wahrheit zu behaupten, hat sich Regisseur Michael Thalheimer mit seinem Ensemble wohl fest vorgenommen - und gleich vorweg: beeindruckend in die Tat umgesetzt.

Weniger Text, mehr Leichen

In einer nicht einmal 80 Minuten dauernden Fassung, die sich das Recht herausnimmt, das ohnehin nur als Fragment existierende Stück noch weiter zu beschneiden, gibt Peter Moltzen einen Titelhelden, dessen Getriebenheit ungefiltert nach außen dringt. Dieser Woyzeck ist ein klar Agierender, und wenn schließlich sechs (!) Leichen, für die er verantwortlich zeichnet, die kahle, mit Metall verkleidete Bühne (Olaf Altmann) belasten, meint man die ausgestellte Inszenierung der Auftritte der einzelnen Charaktere zu verstehen: Es ist der Schwanengesang des Tambourmajors, den uns Peter Kurth hier erleben lässt - dieser auf die Weitergabe des Erbmaterials Gepolte, der mit Woyzecks Marie (wunderbar geradlinig Fritz Haberlandt) eine ganze "Zucht von Tambourmajors" beginnen möchte. Und ebenso erscheint der Hauptmann sein nahes Ende zu erahnen, wenn er - am ganzen Körper zitternd - selbst die Rasierutensilien mit sich tragend immer wieder versucht, am Schauplatz Fuß zu fassen.

Blanke Nerven

Thalheimer leitet seinen Schauspieler Norman Hacker dabei an, das gesamte Nervenkostüm außen zu tragen, was dieser auf beängstigend hervorragende Weise umsetzt. "Den König spielen die anderen", lautet eine alte Theaterregel, und so braucht Woyzeck bloß seine Anwesenheit zu manifestieren, die Aufgeriebenheit des Hauptmanns signalisiert dem Zuschauer bereits, wie sich hier die Machtverhältnisse in der Thalheimerschen Betrachtungsweise verschoben haben: kompromisslos, ja nahezu schmerzhaft wird uns vor Augen geführt, wie Woyzeck handeln könnte, sobald ihn das Leitmotiv "Täterschaft" aus seiner Passivität hebt.

Der Regisseur selbst spricht bezüglich seiner Inszenierungsauffassung von "Eindampfen". Dazu gehört für ihn offensichtlich der ausgiebige Einsatz des Brechtschen Verfremdungseffekts. Die Figuren entledigen sich allen Psychologisierens, es ist dem hochkarätigen Ensemble ein Leichtes, auch unmotiviert erscheinende Impulse im Spiel aufzunehmen, um sie gleich darauf wieder zu brechen. Wie dies auch der mit seinen Chansons romantisch agierende Ansager (berührend-lapidar: Markus Graf) vorgibt, den Kontrast zum Amoklauf Woyzecks kreierend.

Stark unterstützt wird diese Schwarzweißmalerei im besten Sinne vom Lichtkonzept Stefan Bolligers und der Videoinstallation Alexander du Prels, die Wärme und Kälte dem Sehnerv näher bringen.

Aufruhr in Salzburg

Der Reaktion des Premierenpublikums entnehmend mag dies ein Abend sein, der auf den ersten Blick beispielsweise besser in die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz passte als an den Gralsort der "werktreuen" Salzburger Festspiel-Schauspielkunst. Bereits in der zweiten Vorstellung allerdings war die Anzahl der Buh-Rufenden gegenüber den Begeisterten weit geringer, und so erscheint die Hoffnung berechtigt, dass noch vor der Übersiedlung der Inszenierung nach Hamburg dieser Arbeit schon in Salzburg zuteil wird, was sie verdiente: uneingeschränkte Bewunderung der partiell kaum erträglichen Dichte. Und da Salzburg einen Weltruf zu verteidigen hat, ist dieser Woyzeck eben doch am richtigen Ort.

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