"Kein Begriff vom Nullsummenspiel“

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Stephan Schulmeister vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO ist einer der bekanntesten Kritiker der herrschenden Mechanismen auf den internationalen Finanzmärkten. Sein jüngstes Buch: "Mitten in der Krise - ein New Deal für Europa.“

Die Furche: Sind Spekulationen grundsätzlich ein Schaden oder haben sie auch einen Nutzen?

Stephan Schulmeister: Spekulation ist ein Geschäft mit der Zukunft, sie birgt immer Unsicherheit in sich. Aber: Die Investion in eine neu begebene Aktie ist nützlich. Wie bei Krediten wird hier Geld an Firmen vergeben, die es wirtschaftlich nützen. Der Finanzsektor an sich ist also nichts Übles. Es gibt auch in der Realwirtschaft Spekulationen auf innovative Ideen. Apple-Gründer Steve Jobs war ein Spekulant, ob ein I-Phone ein Erfolg wird, wusste er vorab nicht. Wenn viele ihr Geld in realwirtschaftliche Aktivitäten stecken, wächst der Kuchen für alle. Es ist also ein Positivsummenspiel. Anders bei Spekulanten, die bestehende Finanztitel kaufen, um sie nach Minuten oder nur Sekunden wieder zu verkaufen. Da fließt kein Geld in die Realwirtschaft. Das ist ein Nullsummenspiel: Was einer gewinnt, verliert ein anderer.

Die Furche: Bedeutet viel Geld auf den Finanzmärkten nicht auch viel Geld und Nutzen für die Realwirtschaft?

Schulmeister: Wenn ich davon ausgehe, dass der Markt nicht irren kann, dann ja: Je quirliger ein Markt, desto mehr Preise werden gebildet. Je mehr das monetäre Blut fließt, desto besser. Wenn ich aber die konkreten Aktivitäten auf den Finanzmärkten beobachte, wird klar, dass die Triebkräfte mit der Legitimation des Marktes nichts zu tun haben. Da bewerten Händler nicht rational, das ist bei dieser Geschwindigkeit nicht möglich. Und beim Hochfrequenzhandel ignorieren die Computer sogar alle Informationen. Je größer das Volumen, desto weniger haben die Preise mit realwirtschaftlichen Faktoren zu tun.

Die Furche: Warum hat die Politik dem nie einen Riegel vorgeschoben?

Schulmeister: Paradoxerweise, weil die Politik schon lernt, aber später wieder vergisst. Nach den katastrophalen Folgen des Crashs in den 1920ern hat sich John Maynard Keynes Idee von der sozialen Marktwirtschaft durchgesetzt, und es gab feste Wechselkurse. Man hat rund 25 Jahre davon profitiert, und dann geriet wieder in Vergessenheit, dass Finanzmärkte zu Exzessen neigen, und man probiert es von neuem.

Die Furche: Auch die öffentliche Hand spielte mit.

Schulmeister: Man war von der Gier nach dem gro-ßen Geld durchdrungen, ohne zu begreifen, dass es sich um ein Nullsummenspiel handelt. Die großen Spekulanten brauchen Amateure wie Pensionsfonds, Länder oder Gemeinden, die in diesem Spiel die Blöden abgeben und die Verluste für ihre Gewinne einfahren. Es ist ein Umverteilungsspiel zugunsten derer, die sich ein bisserl weniger auskennen. Und dass sich Derivatehändler besser auskennen als Finanzlandesreferenten, verwundert wohl kaum.

Die Furche: Soll man wie nach dem Anlass Salzburg Verbote erlassen oder regulieren?

Schulmeister: Freie Finanzmärkte neigen immer zu einem manisch-depressiven Überschießen der Preise. Wenn man zu dieser betrüblichen Erkenntnis gelangt, kann man sie nicht regulieren, sondern nur zusperren. Um wieder feste Wechselkurse zwischen Dollar, Euro und Yen zu vereinbaren, braucht es nur ein Treffen der Notenbank-Chefs, die solche festsetzen.

Die Furche: Zusperren ist politisch nicht erwünscht, sondern nur die Finanztransaktionssteuer?

Schulmeister: Sie macht Sinn, man bremst damit die Finanzmärkte etwas ein. Für noch mehr Entschleunigung würde aber Steve Keenes Vorschlag sorgen: Nur mehr einmal am Tag handeln. Man sammelt alle Bestellungen ein, dann wird der Computer angeworfen, alle Wertpapiere ausgegeben, die Preise neu berechnet und dann ist wieder Schluss. Damit wären alle Unsicherheiten, die mit der Erregung beim Trading entstehen, beseitigt, und den Zweck der Börse beeinträchtigt es nicht. Aber: Diese Krise ist offenbar noch nicht schwer genug, um Paradigmenwechsel durchzusetzen - zumal die Leute, denen das Wasser bereits bis zum Hals steht, ganz andere sind als jene, die die Finanzmärkte in die Schranken weisen könnten.

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