Kein guter Gewährsmann

19451960198020002020

Nicht um Männer geht es in Karen Duves Roman "Macht", sondern um Männlichkeit und strukturell implementierte Machtverhältnisse. Die Kritik geht ihr auf den Leim.

19451960198020002020

Nicht um Männer geht es in Karen Duves Roman "Macht", sondern um Männlichkeit und strukturell implementierte Machtverhältnisse. Die Kritik geht ihr auf den Leim.

Werbung
Werbung
Werbung

Manche entdecken im Angesicht des Todes plötzlich ihren Glauben, andere verprassen ihr gesamtes Vermögen und lassen es sich gut gehen. Dem sich ankündigenden Weltuntergang durch Klimakatastrophen begegnet das Deutschland des Jahrs 2031 mit verordnetem Staatsfeminismus: Die Frauen sollen richten, was die mächtigen Männer vorher verbockt haben. Inzwischen feiert man weiter fleißig in den Weltuntergang hinein. Wenn die Welt schon am Abgrund steht, gibt's keine Rücksicht auf Verluste mehr: Sekten schießen aus dem Boden, Maskulinisten wollen die Frauen wieder auf ihren Platz verweisen und zelebrieren ihre Männlichkeit. Es grassiert der Jugendwahn, mit der Droge Ephebo kann man sich biologisch verjüngern und die 70-Jährigen sehen aus wie knackige Mittzwanziger. Dass die Wahrscheinlichkeit, durch die Einnahme des Wundermittels binnen zehn Jahren an Krebs zu erkranken auf 60 Prozent steigt -geschenkt, in geschätzten fünf Jahren geht's sowieso allen an den Kragen. Diese Aussichten sind weder dem Bestreben, noch etwas retten zu wollen, noch der Moral sonderlich zuträglich.

Der Bürger wird zum Verweigerer

Das beste Beispiel dafür ist der Protagonist und Ich-Erzähler in Karen Duves neuem Roman mit dem etwas prätentiösen Titel "Macht". Sebastian Bürger nennt sich dieser und der Name zeigt schon, dass man bei der Lektüre ruhig ein bisschen verallgemeinern darf. Dieser Herr Bürger war sein Leben lang, was man in rechten Kreisen gerne als "Gutmensch" abqualifiziert: Einer, den das Schicksal der Welt kümmert, Umweltschützer, Veganer, ja sogar entgegen den eigenen Interessen ein Feminist. Das sieht er zumindest selbst so: "Mir war einfach nicht klar, was die feministische Demokratie mit der Zeit aus einem Mann macht. Ich wusste ja nicht, dass es darauf hinausläuft, mir Stück für Stück meine Männlichkeit abhandeln zu lassen. Dieses endlose Gequatsche. Irgendwann war nicht mehr viel übrig von dem Kerl, der ich einmal gewesen war. Es gibt keine Gleichheit zwischen Männern und Frauen, es gibt nur Sieger und Besiegte."

Bürger wird zum Verweigerer. Er verweigert, sehr zur Bestürzung seiner Mitmenschen, die Benützung eines Ego-Smart (die Weiterentwicklung unseres wohlbekannten Smartphones), zieht wieder in sein Elternhaus und versetzt dieses in seinen ursprünglichen Zustand. Da glaubt man noch, der Bürger ist ein Guter - bis er nach wenigen Seiten in den Keller geht, die Konserven aus dem Regal räumt und den dahinterliegenden Bunker betritt, in dem er seine Ex-Frau gefangen hält. Die ist nicht irgendjemand, sondern Dr. Christine Semmelrogge, Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung und Atommüllentsorgung. Der Bürger gegen die mächtige Frau, das hat parabelhaften Charakter.

Gender-Themen, zumal solche mit feministischem Impetus, polarisieren immer. Es verwundert daher wenig, dass Duves Roman äußerst zwiespältig aufgenommen wurde, schon gar nicht nach ihrem 2014 erschienenem Essay "Warum die Sache schiefgeht", in dem sie erklärt "Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen". Die Empörung, die Duve in ihrer Abrechnung mit dem Typus des mächtigen Mannes in wütenden Worten aus der Feder tropft, ist zwar verständlich, ihrem Stil aber nicht sonderlich zuträglich. In ihren Romanen gelingt es der 1961 geborenen Hamburgerin deutlich besser, Distanz zu wahren.

Wer Affirmation und Identifikation sucht, war bei Duve literarisch schon immer falsch. Die Kritik hat dennoch allerhand auszusetzen, etwa dass ihr neuestes Werk zu einfach gestrickt sei. Das könnte man nun natürlich seiner Autorin anlasten. Mit der feinmaschigen Prosa einer Margaret Atwood, die mit "Der Report der Magd"(1985) und "Das Jahr der Flut"(2014) ähnliche Zukunftsdystopien vorgelegt hat, ist "Macht" in der Tat nicht vergleichbar. Als Alptraum gewordene Zukunftsvision entwickelt der Roman wenig Originalität, als schrille und knallbunte Satire gelesen, hat er aber schon viel bessere Karten.

Von der Mischung aus "Fifty Shades of Grey" und Natascha Kampusch gibt sich Julia Encke in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung genervt. "Was hätte man sich nicht alles unter einer von Frauen regierten Welt vorstellen können." Encke moniert, dass es in "Macht" nicht um Frauen geht, die Hauptaussage ist für sie "Die Männer sind böse, sind böse, sind böse".

Das Opfer? Er selbst

Ein bisschen gehen die Kritiker Duve hier auf dem Leim. Zentral ist nämlich die Perspektive, aus der der Roman geschrieben ist. Ein guter Gewährsmann ist ein psychopathischer Ich-Erzähler jedenfalls nicht. Und genau deshalb weiß der Leser auch nicht, was er von diesem feministischen Staat zu halten hat. So wie Sebastian Bürger in seinem selbstgebauten Kellerverlies seine Ex-Frau wegsperrt, foltert und vergewaltigt und sich dabei selber als Opfer fühlt, so verzerrt ist auch seine Wahrnehmung des politischen Systems. Von einer Herrschaft der Frauen kann nämlich keine Rede sein. Es regiert ein Bundeskanzler, auch unter den Ministern und im Parlament sind Frauen noch immer in der Unterzahl, von der Wirtschaft ganz zu schweigen. "Macht" ist kein Buch über einen feministischen Staat. "Macht" ist ein Buch über männliche Angst und Aggression. Es beschreibt weder die Vergangenheit noch die Zukunft, es beschreibt die Gegenwart. Beide Lesarten, jene als Zukunftsdystopie und jene als Psychogramm eines Kidnappers und Vergewaltigers müssen daher ins Leere laufen.

Auf der falschen Seite der Türe

Nicht ganz nachvollziehbar ist, weshalb dieser Roman in der Kritik so deutlich abfällt, nach hochgelobten Vorgängern wie "Taxi" und "Regenroman", bleibt ihre Erzählstrategie doch die gleiche: Duve kreiert Typen, keine Individuen, ihre Texte sind hochgradig metaphorisch. Bürger, und das ist es wohl, was Stephan Draf im Stern frieren lässt (mit dem Beisatz "Männer frieren doppelt"), repräsentiert verschiedenste Formen von Männlichkeit und männlicher Machtausübung: Frauen werden durch physische Gewalt unterdrückt, durch Freiheitsentzug, aber auch durch die Kontrolle von Kapital, und gesellschaftlicher Partizipation. Frauen sind Heilige oder Huren, die Kontrastfigur zur geknechteten Ex-Frau ist die große Liebe Elli, die Sebastian auf einem Klassentreffen wiedertrifft. Jugendlich, unschuldig und rein ist diese in seiner Wahrnehmung. Doch dieser Bürger, der es mit Frauen nur solange gut meint, wie sie die männliche Hegemonie unangetastet lassen, ist ein Türsteher im wahrsten Sinne des Wortes. Und Frauen, die sich nicht unterordnen, landen schnell auf der falschen Seite der Tür.

"Brutal banal" lautet Frauke Meyer-Gosaus strenges Urteil in der Süddeutschen Zeitung. Stimmt und das ist gut so. Fahrlässig wäre es gewesen, diese Verkörperung von Misogynie als komplexe Charakterstudie anzulegen. Die Banalität hat Methode. Für Unbehagen beim Gros der Kritiker und Kritikerinnen sorgt, dass Männer in "Macht" ausnahmslos negativ gezeichnet werden. Volker Weidermann, der durchaus lobende Worte für Duves Roman übrig hat, sieht im Spiegel ausschließlich "Unheilsbringer, Alpha-Irre, Fleischfreaks, Sexmonster". Nur geht es eben nicht um Männer, es geht um Männlichkeit und strukturell implementierte Machtverhältnisse. Wie konsequent die Kritik darüber hinwegliest, dass die "Frauenherrschaft" nur eine Angstprojektion der Männer ist, aber faktisch gar nicht existiert, irritiert ein wenig, hat aber wohl mit Duves durchaus angriffigem feministischem Engagement außerhalb ihrer Literatur zu tun und weniger mit dem Text selbst. Ein wenig mehr Misstrauen gegenüber dem Bürger wäre doch angebracht.

Macht

Roman von Karen Duve Galiani Berlin 2016 416 S., geb., € 22,70

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung