Jugendstudien mögen in manchen Dingen uneins sein - in dem Befund, dass sich bes tenfalls eine kleine Minderheit der Jugendlichen für Politik interessiert, sind sie sich einig. Die entsprechenden Vorwürfe lauten: Erstens wird man als Jugendlicher nicht "gefragt", man kann seine "Ideen" nicht einbringen. Zweitens tut die Politik nichts für mich als Jugendlichen.
Ach ja, die innovativen Ideen. Also welche denn? Man möge die Armut beseitigen. Man möge auf die Umwelt achten. Man möge der Dritten Welt helfen. Der öffentliche Verkehr könnte gratis sein. Und so weiter. Eine Auflistung von Wünschen und Phrasen, die ob ihrer Banalität nicht einmal mehr von Provinzpolitikern in den Mund genommen werden. Alles großartig, alles billigenswert - aber der innovative Gehalt drängt sich nicht auf. Interessant wird die Weltverbesserung ja erst im Detail: Wie beseitigen wir die Armut? Brillante Idee: indem man den Armen Geld gibt. Woher? Irgendwo muss es einen Haufen Geld geben, der sich staatlich verteilen ließe. Das ist "alte Politik", keine Spur von "Idee".
Die Politik tut nichts für mich. Lieber Freund, bist du im letzten Jahr nie beim (Zahn-)Arzt gewesen (auf Kosten der Krankenkasse)? Niemals mit Straßenbahn oder Bus gefahren? Das ganze Jahr kein Wasser getrunken, aus der Wasserleitung, unbegrenzt, wie fast nirgends auf der Welt? Keine öffentliche Straße benutzt? Und bist du nicht immer noch im Schulsystem (gratis) oder gar auf der Universität (gratis)? Das alles fällt vom Himmel? Das gibt es ohnehin, "naturwüchsig", da hat die Politik nichts damit zu tun?
Es mag anspruchsvoll sein, von den Jugendlichen Selbstreflexion zu verlangen, aber zumindest ein Hauch davon wäre angebracht, wenn sie politisch mitreden wollen. Aus der Kombination von Desinteresse und Überheblichkeit erwächst bloß Dummheit.
Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz
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