"Kein Platz für uns"

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Vergangenen Dienstag begann der Prozess um den Tod von Seibane Wague. Schon Donnerstag wurde er wegen fehlender Gutachten vertagt. Impressionen aus dem Gerichtssaal - und aus der Warteschlange davor.

Vor Saal 203 des Wiener Landesgerichtes herrscht Aufregung. Es ist der erste Tag des Strafprozesses um den Tod von Seibane Wague am 15. Juli 2003. "Kein Platz für uns", ruft ein junger Afrikaner verärgert vom Ende der Warteschlange. Noch 15 Minuten bis Prozessbeginn, doch alle Sitze sind bereits belegt. Keine Person schwarzer Hautfarbe ist durch die staatspolizeilich abgeschirmte Tür in den Saal gelangt. "Ich erkläre es ihnen nochmals", sagt der Beamte mit erhöhter Lautstärke zu einem Afrikaner am Kopf der Schlange: "Wer zuerst da war, kommt zuerst rein." Das habe nichts mit der Hautfarbe zu tun. "Gute Begründungen gibt es immer, wenn wir draußen bleiben müssen", murmelt der Abgewiesene. Der Saal ist jedenfalls zu klein. Auch zwei Journalisten bleiben draußen.

Selektives Rauchverbot

Ein älterer Afrikaner drängt vor. "Ich muss unbedingt hinein", erklärt er dem Wachpersonal und bittet, mit dem Richter sprechen zu dürfen. Die Beamten können sich nicht vorstellen, dass "der Herr Rat während der Verhandlung von uns gestört werden will". Der Mann schlägt daher vor, selbst vorstellig zu werden. Aus Unbehagen über die ständigen Diskussionen zündet sich einer der Staatspolizisten eine Zigarette an. Trotz Rauchverbot. Ein beistehender Uniformierter wird von den Wartenden aufgefordert einzuschreiten. Er verweigert. Nachdem sich jemand in der Schlange anschickt zu rauchen, wird auf das Verbot hingewiesen. Lautstarke Empörung. "Wir brauchen Verstärkung", presst ein Beamter in sein Mobiltelefon: "Wir müssen hier dauernd diskutieren." Sechs hochgewachsene Männer der Alarmabteilung eilen herbei und postieren sich.

Irritierende Symbolik

Fast genau zwei Jahre nach dem Tod des 33-jährigen Mauretaniers Seibane Wague am 15. Juli 2003 im Wiener Stadtpark wird nun die individuelle Schuld der sechs involvierten Polizistinnen und Polizisten sowie des beteiligten Rettungsteams (ein Notarzt und drei Sanitäter) verhandelt. Wegen "fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen" müssen sich die Angeklagten verantworten. Mitunter kommt es dabei auf der symbolischen Ebene zu Irritationen über die Funktion des Prozesses. Die helle, moderne Architektur des Raumes signalisiert Bereitschaft zu "herrschaftsfreiem Diskurs"; die Beschuldigten sitzen mit dem Gerichtspersonal im Kreis. Fast auf gleicher Höhe. Auch Richter Gerhard Pohnert zelebriert seine Rolle nicht. Bei seinem Eintreten haben die Anwesenden kaum Gelegenheit sich zu erheben, als er schon hastig bittet, sich doch zu setzen. Einmal erkundigt er sich nach der korrekten Aussprache des Namens des Verstorbenen und korrigiert sich selbst auf "Seibane" statt dem eingedeutschten "Cheibani". Und auch den Angeklagten, der ihm ins Wort fällt, lässt er zu Ende sprechen. Soviel Respekt vor allen Beteiligten und Kompetenz zur Gesprächsführung würde man sich öfter wünschen. Und doch ist hier ein Strafprozess und keine Gruppentherapie im Gang. Es geht um einen gewaltsamen Tod - und der ist gut dokumentiert. Im verdunkelten Saal wird jenes fünfminütige Video abgespielt, das ein Anrainer in jener Nacht von der gespenstischen Szene neben dem Afrikadorf im Wiener Stadtpark aufgenommen hat: Zu sehen ist eine Gruppe von Einsatz- und Rettungskräften, die um - und teilweise auf - den am Boden liegenden Studenten stehen. Minutenlang. Bis der zuvor tobende Wague endlich ruhig ist. Für immer.

"Früher war ich mutiger", meint der Notarzt - bis ihm einmal einer bei einem Einsatz die Brille zerbrochen habe. Die beschuldigten Polizistinnen und Polizisten schieben wiederum die Schuld auf ihn: "Wir haben uns sicher gefühlt: Solange der Notarzt dabei ist, kann nichts passieren", lauten ihre wortgleichen Erinnerungen. "Was hätte denn passieren können?", fragt die Staatsanwältin die schweigenden Angeklagten. "Es kann ja keinen Sicherheitsgewinn durch seine Anwesenheit geben, wenn durch die Fixierung keine potenzielle Gefahr bestand."

"Hervorragend ausgebildet"

Die Anwälte wiederum begründen die Untätigkeit der Exekutivbeamten mit mangelnder Ausbildung. Nach dem Tod des Schubhäftlings Marcus Omofuma im Mai 1999 hatte Innenminister Ernst Strasser eine Richtlinie erlassen, welche die Polizei-Ausbildner anweist, alle Polizisten auf die Gefahren des Erstickungstodes in Bauchlage hinzuweisen. Sechs Jahre und drei Erstickungstote später werden die Angeklagten mit Dokumenten untermauern, dass sie noch immer nicht in den Genuss einer solchen Ausbildung gekommen sind.

"Unsere Exekutive ist hervorragend ausgebildet", kontert Innenministerin Liese Prokop (vp) - und bezieht sich damit auch auf jene Missbrauchs-Vorwürfe des Anti-Folter-Komitees des Europarats, die just am dritten Prozesstag publik geworden sind (siehe Kasten rechts). Doch Prokop bleibt dabei: "Ich lass' mir die Polizei nicht schlechtreden."

Der Autor ist

Sprecher von SOS Mitmensch.

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