Kein Schutzschirm für den Sozialstaat

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Österreichs Sozialsystem sei ein "Fass ohne Boden". So qualifizierte es kürzlich die "Neue Zürcher Zeitung". Anmerkungen zu den Sprachmustern und Sprachbildern in der aktuellen Sozial(staats)debatte.

In einer demokratischen Kultur wird durch das Recht auf Meinungsfreiheit garantiert, dass jeder Mensch seine Meinungen und Vorstellungen weiterentwickeln kann, ohne dabei Angst vor Zensur oder Fernsteuerung jeglicher Art haben zu müssen. Meistens wird in der Öffentlichkeit den Inhalten mehr Aufmerksamkeit geschenkt als der Art und Weise, wie diese vermittelt werden. Vielleicht ist es schwierig, die Emotionen aufzudecken, die in einer Botschaft mit verpackt sind. Jedenfalls sind die Nuancen der Sprache hervorragende Indikatoren für geistige und politische Akzente, die je nach Zeit und sozialem Kontext gesetzt werden.

"Sozialverträgliches Frühableben"

Ein Blick in soziopolitische Diskussionen bringt die Bedeutung von Emotionen an den Tag, die immer wieder mit vermeintlich sachlichen Inhalten einhergehen. Manchmal geht es darum, diese Emotionen zu vermeiden. Dafür eignen sich Euphemismen hervorragend. Die Formel lautet: Ersetzen Sie das echte Vokabel durch ein anderes, so werden Empörungsreaktionen ausgeschaltet und gleichzeitig bleibt der Geruch von Sachlichkeit: Was ist gemeint, wenn im Zusammenhang mit budgetären Schwierigkeiten im Gesundheitswesen von "sozialverträglichem Frühableben" die Rede ist? Sozialverträglich klingt gut - etwa wie: "Was ich tue, tue ich aus Verantwortlichkeit." Frühableben klingt besser als Sterben das größte soziale Tabu unserer Zeit. Ob deshalb der Inhalt an Gültigkeit gewinnt?

Auch Humor eignet sich fabelhaft zur nicht so rationalen Kommunikation. Wer zu ihm greift, schlägt den Ansprechpartner/inne/n stillschweigend eine Koalition vor. Mit jemanden zu lachen, ist viel leichter, als den Witz zu stoppen. In der Vorurteilsforschung ist dies altbekannt. Daher sind Kinder und psychisch schwache Menschen besonders anfällig für die Vermittlung von Vorurteilen. Vor mir liegt ein Cartoon, wo ein Junge in aggressiver Haltung mit einer Alkoholflasche in der Hand einem anderen verängstigten Jungen mit klassischen Klamotten Folgendes sagt: "Wenn's dir nicht passt, dass du in diesem Land Steuern für mich bezahlen musst, dann wander' doch aus. Niemand zwingt dich, hier zu bleiben! Okay?" Wer lacht über eine solche Zeichnung? Finden Lehrlinge und junge Erwerbslose das witzig? Eine weitere soziopolitische Ausdrucksressource liegt in der Verwendung von Metaphern, und dies aus guten Gründen: Sich "ein Bild von etwas zu machen" klappt durch Bilder besonders gut.

Metaphern im Zusammenhang mit dem Sozialstaat greifen oft zur Natur ("Sozialschmarotzer", "Rentnerschwemme", "Altenplage") oder zu Reinigungsprozessen ("Wohlstandsmüll", "Sozialhygiene", "Personalentsorgung"). Manchmal wird das politische System umgetauft ("Rentnerdemokratie").

Der fette Sozialstaat

In diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich sind auch Bilder, die menschliche Merkmale auf den Sozialstaat projizieren. So soll der Sozialstaat "fit" bzw. "schlank" gemacht werden. Er sei also träge, fett … Das österreichische Sozialsystem sei, so die Neue Zürcher Zeitung am 17. 03. 2009, "ein Fass ohne Boden". Das Bild lässt an Verschwendung denken … Der Sozialstaat war jahrzehntelang sinnvoll, jetzt aber sei er leider alt geworden. So wird die "Entschlankungskur" des Sozialstaates als notwendige Anpassung an die Gegenwart präsentiert. Im Schatten bleibt die Tatsache, dass der Sozialstaat seit Anfang des 20. Jahrhunderts immerzu von Menschen mit einer anderen, konservativ-liberalen Auffassung des Staates kritisiert wurde.

Auf wirtschaftlichem Gebiet verweisen Vokabel wie "Humankapital" (gemeint sind dabei Kinder!), "schlanke Produktion", "Entlassungsproduktivität", "Neiddebatte" (wenn eine Diskussion über übertriebene Gehälter aufgeworfen wird), "sozialverträglicher Stellenabbau" auf eine Auffassung von Gesellschaft, in der Ökonomismus und Technokratie einander bestärken. Die Logik des Marktes (Leistung, Konkurrenzfähigkeit) wird somit auf andere Lebensbereiche übertragen und dessen Primat als kulturelle Selbstverständlichkeit angenommen. Beide Tendenzen resultieren nicht unbedingt aus einer sozialen Ordnung, deren Eckstein die Freiheit der Menschen ist und in der es konsequenterweise Platz für den freien Markt gibt. Vielmehr resultieren sie aus der Art und Weise, wie die Marktwirtschaft de facto gestaltet wurde.

Von der Dynamik der Sprache

Der Sozialstaat hat - so hat es auch Papst Johannes Paul II. formuliert - dazu beigetragen, menschenunwürdige Formen von Armut zu überwinden. Missbräuche jeglicher Art gehören zweifelsohne korrigiert. Dies bedeutet aber nicht, den Sozialstaat selbst in Frage zu stellen, sondern vielmehr die Mitverantwortung aller Menschen zu fördern und darüber hinaus auf Menschen aufmerksam zu werden, die heute nicht nur materielle, sondern auch andere Formen von Not erleiden: Flüchtlinge, Alte oder Kranke, Drogenabhängige. Mehr sozialer Zusammenhalt, nicht weniger ist gefragt. Politische Mitverantwortung wahrzunehmen führt unweigerlich dazu, auf die Dynamik der Sprache zu achten. Soziale Mitverantwortung setzt keineswegs Übereinstimmung in politischen Überzeugungen voraus. Sie baut vielmehr auf Respekt und Dialogbereitschaft. Ihr Prüfstein ist die Sprache.

Die Autorin ist Sozialhistorikerin in der Kath. Sozialakademie

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