"Kein Versuch, von sich aus das Rechte zu tun"

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Die Entschädigung von NS-Opfern macht Schlagzeilen. US-Anwalt Ed Fagan drohte Österreich mit einer 260-Milliarden-Schilling-Klage. Den Zwangsarbeitern will nun die Bundesregierung sechs Milliarden bieten. Wie sieht es aber mit der Entschädigung für jüdische NS-Opfer aus? Dazu ein Gespräch mit Albert Sternfeld, auf dessen Initiative die Gründung des NS-Opfer-Fonds zurückgeht.

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Die Entschädigung von NS-Opfern macht Schlagzeilen. US-Anwalt Ed Fagan drohte Österreich mit einer 260-Milliarden-Schilling-Klage. Den Zwangsarbeitern will nun die Bundesregierung sechs Milliarden bieten. Wie sieht es aber mit der Entschädigung für jüdische NS-Opfer aus? Dazu ein Gespräch mit Albert Sternfeld, auf dessen Initiative die Gründung des NS-Opfer-Fonds zurückgeht.

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Die Furche: Sie beschäftigen sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit Österreichs Umgang mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit und sind für das Eingeständnis der Mittäterschaft, einer "Geste des guten Willens" gegenüber den Verfolgten und für die Rückgabe allen in der NS-Zeit enteigneten jüdischen Vermögens eingetreten. Was ist das Österreichspezifische bei dem Problem der Restitution?

Albert Sternfeld: Diese Frage lässt sich am besten durch den Vergleich mit Deutschland beantworten. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich als Nachfolgestaat des nationalsozialistischen Dritten Reichs bekannt und die Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus übernommen. Bundeskanzler Konrad Adenauer hat dazu im September 1951 eine richtungsweisende Rede im Bundestag gehalten. Die BRD wurde als Nachfolgestaat des Dritten Reiches mit allen völkerrechtlichen Konsequenzen angesehen. Österreich hingegen hat sich die Moskauer Deklaration der Alliierten von 1943, in der das Land als erstes Opfer des Nationalsozialismus bezeichnet wurde, zu eigen gemacht und diesen Status jahrzehntelang konsequent ausgenützt. Und diese Haltung war völkerrechtlich auch in Ordnung. Im Herbst 1986 lud ich den britischen Historiker Robert Knight und den damaligen Außenminister Peter Jankowitsch zu einem Gespräch ein, und der amtierende Außenminister Österreichs sagte wörtlich: "Lieber Herr Sternfeld, was wollen Sie? Österreich hat zwischen 1938 und 1945 nicht existiert und ist für nichts, was in dieser Zeit passiert ist, verantwortlich." Das ist eine formell korrekte Antwort - moralisch aber falsch und politisch auf Dauer nicht haltbar.

Die Furche: Sie haben 1987, schon im Hinblick auf das Gedenkjahr des 50. Jahrestages des Anschlusses, einen Plan zur Rückgabe des enteigneten Vermögens und Entschädigung der österreichischen Juden entworfen.

Sternfeld: Ich hatte einen Drei-Punkteplan ausgearbeitet, der die Probleme zwischen der Republik Österreich und den "Ex-38ern" - das ist meine Kurzformel für die ab 1938 in Österreich verfolgten und aus Österreich vertriebenen Juden - regeln sollte. Dem Drei-Punkte-Plan sollte das offizielle österreichische Einbekenntnis vorausgehen, dass viele Österreicher mitschuldig an den Verbrechen des Nationalsozialismus waren. Mein Plan sah erstens eine finanzielle Zuwendung von der Republik Österreich direkt an die Betroffenen im Rahmen eines "Solidaritätsfonds" vor. Das sollte keine Entschädigung oder Wiedergutmachung, sondern eine Geste des guten Willens sein. Zweiter Punkt: Wiederherstellung der österreichischen Staatsbürgerschaft für diejenigen, die sie 1938 besaßen und wieder zurück wollen. Dritter Punkt: Öffnung der Fristen in allen Fällen, in denen Geschädigte nur wegen Fristversäumnis nicht zu ihrem Recht kamen. Mit Recht meine ich österreichisches Nachkriegsrecht.

Die Furche: Die finanzielle Entschädigung wurde ab 1995 durch den "NS-Opferfonds" geregelt, die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft für Vertriebene ist seit 1993 gesetzlich vorgesehen. Bleibt die Öffnung der Fristen.

Sternfeld: Dazu möchte ich anmerken, dass unter dem Druck der Alliierten Rückstellungsgesetze erlassen und auch Rückstellungen durchgeführt wurden, nur waren die gesetzten Fristen meistens zu kurz. Die Mehrzahl der vertriebenen österreichischen Juden lebten auf der ganzen Welt verstreut: in den Bergen in Bolivien, im Kibbuz in Israel, in den USA. Ich rede hier von den fünfziger Jahren, in denen die Kommunikation anders war als heute. Eine Kundmachung der Rückstellungsgesetze in der Wiener Zeitung konnte diese Menschen gar nicht erreichen. Nur in einigen wenigen Bezirken in Tel Aviv, London und Manhattan, wo sich die meisten Vertriebenen aus Österreich untereinander kannten, wurde diese Information mündlich weitergegeben. Der Großteil der Betroffenen konnte aber gar nichts wissen. Die Fristen waren zudem sehr kurz. Ich habe lange Zeit geglaubt, es handelte sich um Schlamperei, und man hätte die Fristen im guten Glauben kurz gesetzt, dass sie ausreichend wären. Heute sage ich, dass die Fristen absichtlich so kurz angesetzt waren, weil man damit rechnete, dass die Betroffenen nichts davon erfahren würden, und wenn sie später Forderungen gestellt haben, hat man gesagt: Wir bedauern, Sie haben die Frist versäumt.

Die Furche: Nicht nur, dass die Fristen kurz waren, man hat auch nicht versucht, die Gesetze ausreichend bekannt zu machen?

Sternfeld: Man hat alles getan, um zu verhindern, dass es die Vertriebenen im Ausland erfahren. Robert Knight hat ein entsprechendes Zitat aus den Ministerratsprotokollen entdeckt, als wieder einmal über Rückstellung beraten wurde. Das waren Gesetze, die auf Druck der Alliierten zustande gekommen waren, und das zieht sich bis heute durch, bis ins Jahr 2000: immer hat man ins Ausland geschielt, man hat nie von sich aus versucht, das Richtige von selbst zu tun. Man hat immer gesagt: was wird das Ausland sagen, nicht: Was ist das Richtige? Was wäre anständig? - weil man es nicht wollte. Man hat mitunter sogar mehr Zeit und Geld investiert, die Rückgabe zu verweigern, als die ganze Rückgabe ausgemacht hätte. Und dann beklagt man sich larmoyant darüber, dass man im Ausland auf Österreich böse ist. Als ich dem damaligen Finanzminister Lacina 1987 schriftlich vorschlug, man möge die Fristen für ein Jahr öffnen, hat er das abgelehnt. Obwohl es österreichisches Recht zur Rückstellung gegeben hat, ist der Großteil der Betroffenen nicht dazugekommen.

Die Furche: Was andere Beispiele, etwa die Schweiz oder Deutschland, betrifft ...

Sternfeld: Ich lehne es ab, über Schuld, Unschuld, Mitschuld von irgend jemand anderem zu sprechen. Wir sind hier in Wien und wir haben darüber zu reden, was in Österreich passiert ist oder unterlassen wurde.

Die Furche: Vorausgesetzt, es bestünde die Bereitschaft zur vollständigen Rückgabe enteigneten jüdischen Vermögens, was wäre dringlich notwendig? Welches Gesetz wäre notwendig?

Sternfeld: Die Regierung sollte sich an die einzelnen vertriebenen österreichischen Juden wenden und nicht an "Opfer-Organisationen", ob in New York oder Wien. Diese Organisationen arbeiten hauptsächlich für sich selbst. Man weiß nicht, wo diese Gelder hingehen. Wenn ein Jude in Wien - so wie ich - vor Jahren einen konkreten Plan vorlegt, bei dem - wie sich heute herausstellt - kein wichtiger Punkt ausgelassen oder vergessen worden war, wird er ignoriert. Wenn ein Anwalt in New York einen Medienwirbel veranstaltet, gerät die ganze Bundesregierung in Panik. Man muss vor allem den einzelnen Betroffenen das Vermögen zurückerstatten und Gesten des guten Willens setzen.

Die Furche: In den meisten Fällen gibt es nun aber keine Dokumentation der Enteignungen ...

Sternfeld: Das stimmt weitgehend nicht. Ich behaupte, dass 95 bis 98 Prozent der offenen Entschädigungsfragen dokumentiert sind. Zum Beispiel die Lebensversicherungen, wie die meines Vaters, die er anlässlich meiner Geburt 1925 mit einer Versicherungssumme von 4.400 Dollar abgeschlossen hat. Er hat die Zahlungen im Frühjahr 1938 eingestellt, weil er enteignet worden war, die Versicherungssumme wurde daher entsprechend reduziert. Dieser Prämienstopp ist zugleich der erste materielle Verlust in dieser Angelegenheit, weil mein Vater die Prämien ja weitergezahlt hätte, hätte man ihm nach dem Anschluss nicht die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen. Man müsste also richtigerweise von den ursprünglichen Versicherungssummen ausgehen. Mein Vater verstarb 1943, und meine Familie hat bereits unmittelbar nach 1945 mit der Generali-Versicherung über die Auszahlung der Polizze korrespondiert. Die Generali hat alle Angaben meiner Familie bestätigt und mitgeteilt, dass die Versicherungssumme an das Reichsgaufinanzamt Niederdonau ausbezahlt werden musste und die Versicherung damit außer Obligo wäre. Das ist auch völlig korrekt. Nun hat aber die Republik Österreich im Zuge des Bad Kreuznacher Abkommens genau für diese Fälle von der Bundesrepublik Deutschland Mittel erhalten. Deutschland wollte die Abwicklung auf individueller Ebene nicht vollziehen und hat deshalb einen Gesamtbetrag für Juden aus Österreich zur Verfügung gestellt, der von Österreich an Geschädigte verteilt werden sollte. Das waren 95 Millionen Deutsche Mark im Jahr 1961. Wo dieses Geld hingekommen ist, ist unbekannt, offenbar sind die Mittel in das österreichische Budget eingeflossen. Jedenfalls haben wir Erben keinen Groschen von der Versicherungssumme meines Vaters gesehen. Und mittlerweile sind zahlreiche ähnliche Fälle bekannt.

Das Gespräch führte Anton Legerer.

ZUR PERSON Kämpfer für die Rückstellung arisierten Eigentums Albert Sternfeld wurde am 18. Februar 1925 in Wien geboren. Ende 1938 konnte er Österreich mit einem Kinderflüchtlingstransport nach England verlassen. Von 1940 bis zu seiner Rückkehr nach Wien 1966 lebte Sternfeld in Tel Aviv. Seit 1987 zeigt Sternfeld anhand penibler Recherchen den problematischen Umgang des offiziellen Österreich mit den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus auf. Seine Forderungen auf Rückstellung aller enteigneten materiellen Güter direkt an die Geschädigten sind sowohl bei den österreichischen Politikern wie auch bei jüdischen Opfer-Vertretern auf Ablehnung gestoßen. Die Einrichtung des NS-Opfer-Fonds 1995 ist maßgeblich auf seine Initiative zurückzuführen. Vor wenigen Monaten wurde Albert Sternfeld für seine Verdienste mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen der Republik ausgezeichnet.

PUBLIKATIONEN: Albert Sternfeld: Betrifft: Österreich, Löcker Verlag 1990.

Anton Pelinka und Sabine Mair: Die Entdeckung der Verantwortung - Die Zweite Republik und die vertriebenen Judeni, Verlag Braumüller 1998

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