Kein Werk von Religionskomponisten

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Paul M. Zulehner hat uns jüngst an Hand einer Langzeitstudie über "Religion im Leben der Österreicher" davon berichtet: Rund 30 Prozent der Landsleute seien "Religionskomponisten", die sich aus allerlei Weltanschauungselementen ihr Dach über der Seele zusammenbasteln. Sie freilich sind nicht die ersten Adressaten der Anhänger eines umfassenden "Weltethos". In keiner Weise ist daran gedacht, die großen Religionen der Welt in einer gewaltigen Kuchenschüssel so lange miteinander zu vermischen, bis aus Eiern, Zucker, Mehl und Mandeln ein riesiger moralischer Weihnachtskuchen geworden ist. Im Gegenteil: Sie sollen bleiben, was sie sind.

Aber sie haben vieles gemeinsam. Und die Religionen sind, wie Weltethos-"Erfinder" Hans Küng vor der UN-Vollversammlung am 9. November 2001 feststellte, wieder auf die Bühne der Weltpolitik zurückgekehrt, obwohl sie im Lauf der Geschichte auch Hass, Gewalt, Blut und viel Unheil produziert haben. Aber in unserer Zeit der Orientierungslosigkeit wird auch wieder mehr Menschen bewusst, was Religionen geleistet haben und sein können: Anwälte besseren Verstehens, Versöhner, Friedenstifter.

Die Lehre, wie sie gemeint ist, würde Frieden schaffen, die Art, wie man sie verbreitet, erzeugt oft Krieg. Alles selbstherrliche Beharren auf "Wahrheit", auf alleiniger Wahrheit verführt menschliche Natur zu Rechthaberei, Arroganz und zu dem Versuch, störrischen "Wahrheitsverweigerern" diese auch mit Gewalt einzubläuen: "Und willst du nicht mein Bruder sein..." Wo sich religiöse Lehren mit staatlicher Macht verbinden, wird diese Versuchung fast unwiderstehlich.

Keine Religion wird den Anspruch aufgeben, Wahrheit zu verkünden. Das soll auch keine. Entscheidend ist nur, die Pilatus-Frage redlich zu beantworten. Eine redliche Antwort setzt das Eingeständnis voraus, dass es zwar eine absolute Wahrheit gibt, diese aber aus einer ungeheuren Vielfalt von Facetten besteht, die wir auf Erden nie zur Gänze erfassen werden ("Stückwerk bleibt unser Erkennen..."), in die wir freilich immer tiefer eindringen können. Das ist die "Suche" nach Wahrheit, über die sich vermeintliche Wahrheitsbesitzer rumpelstilzig erregen können, obwohl nicht nur mehrere Konzilsdokumente, sondern auch Johannes Paul II. in der Enzyklika "Fides et Ratio" mehrfach von der "Wahrheitssuche" sprechen.

Deshalb plädieren die Verfechter des "Weltethos" für eine Trennung von Lehren und sittlichen Schlussfolgerungen. Dogmen entzweien, Sittengebote verbinden. In Judentum und Christentum, in Islam und Buddhismus, in Hinduismus, Taoismus und Konfuzianismus gibt es Grundgebote zugunsten einer Ehrfurcht vor dem Leben, sozialer Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit. Diese sollen als Grundlage für ein Weltethos herangezogen werden. Aber wäre es nicht besser, die Religionen gleich aus dem Spiel zu lassen und nur alle Gott-losen Humanismen dieser Erde als Baustoff für ein Weltethos heranzuziehen? Auf diese Frage gibt es ein dreifaches Nein.

Erstens haben die Religionen Milliarden Anhänger, die sich die Religion nicht nehmen lassen wollen. Und das zweite Nein: Viel von dem, was eine agnostische oder auch vermeintlich atheistische Ethik uns heute an wertvollen Gedanken anbietet, hat letztlich gleichfalls religiöse Ursprünge. Das dritte Nein ist freilich das wichtigste: Bisher haben alle bewussten Versuche, eine sittliche Weltordnung ohne religiösen Bezug zu schaffen, Schiffbruch erlitten.

Im Heft 110/111 (2001) von Denken und Glauben der Katholischen Hochschulgemeinde Graz, das diesem Generalthema gewidmet war, schrieb Peter Strasser: "Aus den Tatsachen des Lebens lässt sich keine Moral folgern... Die Evolution ist keine moralische Lehrmeisterin... Alle moralische Gesetzgebung fußt demnach auf einer vernünftig nicht weiter begründbaren Selbstbindung des Einzelnen... Wer sich (aber) ohne triftigen Grund selbst bindet, der kann sich selbst auch wieder entbinden..."

Damit Moral nicht wieder zu einer Frage der Macht wird, soll sie transzendental begründet bleiben.

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