"Keine Angst vor Büchern!"

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Am 21. April wird zum 50. Mal der Österreichische Kinder- und Jugendbuchpreis verliehen. Aus diesem Anlass sprach die furche mit Inge Cevela, Jurymitglied und Leiterin der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur der Erzdiözese Wien, über die Notwendigkeit Preise zu verleihen und Bilderbücher zu lesen.

Die Furche: Da gibt es doch dieses Bonmot: Je preiser gekrönt, desto durcher gefallen. Stehen literarische Auszeichnungen immer im Gegensatz zum Verkauf eines Buches?

Inge Cevela: Ja, dieses Zitat ist wohl jedem Jurymitglied bestens bekannt - aber natürlich geht es an der Absicht der meisten Auszeichnungen vorbei. Dort sollen nicht die Bestseller vorweg genommen und noch einmal mehr gekürt werden. Vielmehr soll der Blick auf schwerer zugängliche, künstlerisch innovative, thematisch anspruchsvolle Bücher gelenkt werden. Die so genannten Sachzwänge des Marktes werden häufig als Argument gegen die Produktion anspruchsvoller Bücher ins Treffen geführt. Umso wichtiger ist es, durch Preise ebenso wie durch Aus- und Fortbildung für Pädagoginnen und Pädagogen auf Qualität aufmerksam zu machen, die sich neben dem Mainstream etablieren kann.

Die Furche: Wie fair oder repräsentativ sind denn solche Preisverleihungen?

Cevela: Die Ausschreibungsbedingungen geben einen genauen, manchmal recht engen Rahmen für die Entscheidungen einer Jury vor. So ist der Österreichische Kinder- und Jugendbuchpreis in den 1950er Jahren vor allem als Instrument der Verlagsförderung initiiert worden: einreichen durften ausschließlich österreichische Verlagshäuser mit Sitz und Lektorat in Österreich. Das hatte zur Folge, dass Christine Nöstlinger, Käthe Recheis, Renate Welsh für ganz wichtige Texte in Österreich niemals mit diesem Preis ausgezeichnet werden konnten - viele ihrer Bücher sind ja in deutschen Verlagen erschienen. Heute ist diese Situation entschärft: Nun können auch nicht-österreichische Verlage einreichen, wenn ein Urheber, eine Urheberin des Buches (Autor, Illustrator oder Übersetzer) Österreicher ist. Aber die dramatische Entwicklung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen für selbstständige Verlage in Österreich lässt Verlagsprogramme schmäler werden - und damit auch die Zahl der Einreichungen.

Die Furche: Außerdem gibt es ja auch "starke" Jahre, in denen wichtige, hervorragende Bücher in besonderer Konkurrenz zueinander stehen ...

Cevela: Ja, gerade dieses Jahr gab es eine besonders hohe Dichte im Bilderbuchbereich, der man entsprechen wollte, indem dafür die Kategorien "Jugendbuch" und "Sachbuch" gar nicht vergeben wurden.

Die Furche: Die prämierten Bücher sind sehr anspruchvoll. Wieviel kann man Kindern eigentlich zumuten?

Cevela: Häufig werden Kinder überfordert, vom Stundenplan bis zum Freizeitangebot reicht die Palette. Aber wenn es um Bücher geht, sind Kinder eher überbehütet, es wird ihnen viel zu wenig zugetraut: Ängste, Sorgen und Alltagstroubles wohnen ja in den Kindern selbst. Nicht die Geschichten machen Angst, vielmehr machen gute Geschichten vorhandene Probleme ansprechbar, geben ihnen ein Gesicht, ermöglichen Distanzierung.

Die Furche: Wäre es nicht gerechter, die Preise für Kinderbücher von Kinderjurys zuerkennen zu lassen?

Cevela: Es gibt sehr engagierte Versuche, so etwas zu tun. Die "Jury der jungen LeserInnen" in Wien feiert zur Zeit ihr zehnjähriges Bestehen. Unter der Leitung von Mirjam Morad hat sich da im Literaturhaus eine herausragende Gruppe zusammengefunden. Auch beim Deutschen Jugendliteraturpreis gibt es seit kurzem eine selbständig arbeitende Jugendjury. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich die Preiszuerkennungen höchstens in Akzenten, aber keineswegs im Grundsätzlichen voneinander unterscheiden. Das überrascht mich nicht, sind doch diese Jury-Jugendlichen in ihrem Lesegeschmack überdurchschnittlich entwickelt und ausgebildet, sodass sie eigentlich nicht mehr repräsentativ für eine breitere Masse jugendlicher Leser und Leserinnen sind. Aber alle Ansätze, das kritische Lesen von Literatur und natürlich auch den direkten Kontakt zwischen Autorinnen und Jugendlichen zu fördern, sollten volle Unterstützung haben.

Die Furche: Nach welchen Kriterien stellt denn nun eine Jury fest, welche Bücher "gut" sind?

Cevela: Die Kriterien sind die selben wie für Literatur an sich. Symptomatisch dafür ist, dass der Österreichische Kinder- und Jugendliteraturpreis von der Abteilung für Literatur und Verlagswesen des Bundeskanzleramtes vergeben und nicht mehr dem Bereich Unterricht und Schule zugeordnet wird. Darüber hinaus aber zeichnet gute Kinderbücher aus, dass sie nicht betulich werden, vor ihren Lesern und Leserinnen keine künstlerischen Abstriche machen. Dennoch müssen sie ihr Zielpublikum vor Augen haben, dem Fassungsvermögen von Kindern und ihrer Lesereife entgegenkommen - pädagogisch und psychologisch - und dürfen nicht über die Köpfe der Kinder hinweg reden.

Die Furche: Und der berühmte Zeigefinger?

Cevela: Zum Glück sind die erhobenen Zeigefinger aus der Kinder- und Jugendliteratur verschwunden. Gute Kinderbücher dienen der literarischen Sozialisation, indem sie Kinder mit Respekt und nicht von oben herab behandeln, indem sie ihnen großartige, tief gehende, wichtige und nicht belanglose Geschichten anbieten. Geschichten, die nach allen Regeln der Kunst geschrieben sind und die gleichzeitig vorführen, wie diese Regeln funktionieren. Denn nur, wer ihre Regeln und Mechanismen erlernt hat, kann die jeweilige Kunst auch genießen - das ist bei der Literatur nicht anders als etwa beim Fußball. Und literarische Regeln zu können ist wichtiger denn je: In der Postmoderne wird letztlich alles und jedes in Geschichten gekleidet, von der eigenen Biografie bis zur Mineralwasser-Werbung. Junge Menschen müssen das Spiel mit der Fiktion durchschauen und erlernen, müssen medienkompetent werden, damit sie Manipulationen weniger leicht erliegen.

Die Furche: Was fällt an den ausgezeichneten Büchern besonders auf?

Cevela: Das Besondere liegt in diesem Jahr zweifellos im Umgang mit Sprache als Mittel der Kommunikation und im reflektierten Erzählen. Dieses findet natürlich nicht nur im Text, sondern insbesondere auch in den Illustrationen statt. Vor allem Kinder wissen, dass man auch Bilder "lesen" und verstehen lernen muss, und gehen wesentlich offener, neugieriger und unbefangener an unkonventionelle Bildgestaltungen heran als Erwachsene.

Das Gespräch führte Brigitte Schwens-Harrant.

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