"Keine Begeilung des Publikums!"

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Film muss klar Stellung beziehen, so die "Diagonale"-Intendantin Birgit Flos. Ein Gespräch über Film, Religion und Voyeurismus der Bilder.

Skandale liefern Stoff: Dass die katholische Kirche ob sexuellem Missbrauch weltweit im Rampenlicht steht, findet auch im Film seinen Niederschlag: In Österreich laufen zwei Streifen an, bei den die katholischen Affären den Hintergrund des Plots bilden: "Silentium", Wolfgang Murnbergers zweite Verfilmung eines Wolf-Haas-Krimis kommt diese Woche, Pedro Almodóvars "La mala educación" am 1. Oktober ins Kino.

Beide Filme setzen nur das fort, was als Thema in der Luft liegt. Für die Filmhistorikerin und Intendantin des österreichischen Filmfestivals Diagonale, Birgit Flos, zeigt sich da nicht primär Feindseligkeit gegenüber der katholischen Kirche: Man schaue auf die Institution, weil man die Kirche als moralische Instanz begreife. Flos: "Weil alle gerade irgendwie durchdrehen, hofft man, von der Kirche könnte Schutz ausgehen. Unabhängig davon, ob man gläubig ist oder nicht, erwartet man von der Kirche, dass sie andere Menschen human behandelt."

Keine Moral-Bomben

Es ist dieser Anspruch, an dem die Kirche gemessen wird; ihr spektakuläres Scheitern daran schreit auch nach künstlerischer Auseinandersetzung und Aufarbeitung: Pedro Almódovars "La mala educación" ist für Birgit Flos so nicht nur ein "hinreißender Film, ein Melodram im besten Sinn, spannend erzählt mit so vielen Wendungen", sondern er nimmt klar Stellung: Da ist Padre Manolo, dessen Übergriffe an den Schülern seines Internats im ersten Teil des Films eindeutig als Verbrechen erscheinen, während Flos auf den zweiten Teil des Films hinweist, als aus Padre Manolo der Ex-Priester Berenguer geworden ist: Hier wird dieser auch als leidender Mensch, dargestellt - ohne dass er entschuldigt wird.

Muss ein Film zu seinem Thema Stellung nehmen? Solche Frage stellt sich beim Salzburger Knabenseminar- und Festspiel-Krimi "Silentium": Eine wilde Geschichte voll mit zweifelhaften Zeitgenossen, die sich - neben Missbrauch und Frauenhandel - auch eifrig an Mord und Totschlag versuchen. Birgit Flos versteht diese Frage nicht, denn: "Warum erzählt man eine Geschichte?" Wer schreibt oder Bilder macht, entscheide sich, etwas darzustellen, nehme Stellung: "Selbst wenn die im Film flapsig darüber sprechen, wie Kindern Leid angetan wird, kann ich merken, dass das eine schreckliche Sache ist."

Das Genre Krimi (als Roman wie als Film) ist für Flos längst ein "relevantes" Schreiben bzw. Filmemachen geworden: "Die zeitgenössischen Kriminalromane liefern viel Hintergrundinformation, wie Menschen leben und welche gesellschaftspolitischen Verantwortungen da sind." Fazit: Auch ein Film kann gar nicht anders, als zu diesen Problemen Stellung zu nehmen.

Das Theater ist eine moralische Anstalt - diesen Stehsatz hat jeder Theatermacher verinnerlicht: Gilt Gleiches für den Film? Und wie entkommt man da der Gefahr, mit moralischer Keule auf die Institution Kirche und die Menschheit einzuschlagen? Die Filme, die Birgit Flos zum Thema Glaube oder Kirche im Blick hat, sind alles andere als Moral-Bomben, sondern deren Macher zeigen sich als gequälte Gläubige, die um dieses Thema ringen: die US-Regisseure Abel Ferrara ("Bad Lieutenant") und Martin Scorsese etwa oder der Däne Lars von Trier ("Breaking the Waves", "Dancer in the Dark", "Dogville"), Pier Paolo Pasolini - und natürlich, wenn man über einen spanischen Film spricht, Luis Buñuel. Der habe, so Flos, ja immer gesagt, er sei ein Atheist: "Aber alle seine Filme ringen um den Glauben!" Auch wenn Buñuels Filmsprache ganz anders sei als die von Almodóvar: "Es gibt wohl keinen Spanier, der sich für Film interessiert, der nicht das Bild von Buñuel über seinem Bett hängen hat."

Bei Almodóvar sind es die Geschichten, die Flos faszinieren: "Er kommt von den Telenovelas her, von der Soap Opera - schrill, aber im guten Sinn plakativ". Und seine Bilder seien auch visuell ein Vergnügen, er zeige Körper, "die schön sind, die hinreißend gefilmt wurden".

Ästhetik des Körpers - des geschundenen Leibes allerdings - war jüngst auch ein Thema, als Mel Gibsons Passions-Film in den Kinos war. Filmhistorikerin Flos will diesen Film aber nicht in solchem Zusammenhang diskutiert wissen: "Das war ein Actionfilm, nicht einmal ein guter. Und da spielt der gequälte Körper eine große Rolle." Flos assoziiert hier anderes: "Für mich hat das viel mehr mit den Folterbildern aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis im Irak zu tun. Da geht es auch stark um Körper: Ich leide darunter und bin empört, dass diese Bilder immer wieder gezeigt werden!"

Pornografie im "Untergang"

Bei den Bildern der Folterungen durch US-Soldaten geht es weniger um physische Gewalt als um Erniedrigung, um tiefe seelische Verletzung: ähnlich wie bei den missbrauchten Buben? Flos setzt nach: "Das sind ganz raffinierte psychologische, sadistische körperliche Übertretungen." Die da Abgebildeten würden ihr Gesicht verlieren, ihre Ehre: Und das geschehe jedesmal, wenn die Bilder gezeigt würden.

Es ist für Birgit Flos "ganz schlechte, journalistische Arbeit", dass diese Bilder immer wieder gezeigt werden - das sei nicht notwendig, jeder wisse mittlerweile, was da geschehen ist. Flos sieht da generell einen entwürdigenden Umgang mit den Bildern von Menschen: Es sei ebenso verwerflich, inflationär die Bilder von den Leichenbergen der KZs zu zeigen, wenn im TV vom Holocaust die Rede ist. Da wie bei den Irakbildern werde das voyeuristische Interesse der Menschen bedient.

Doch auch Almodóvar spielt in seinem neuen Film mit dem Interesse an Bildern der Sexualität - Birgit Flos unterbricht: "Aber in La mala educación' begeilt sich die Kamera eben nicht am sexuellen Missbrauch!" Der Film gehe da äußerst behutsam vor, er sei nicht pornografisch.

Flos wird aber zornig, wenn sie an einen anderen, eben angelaufenen Film denkt - Bernd Eichingers "Der Untergang" über Hitlers letzte Tage: "Dort sind absolut pornografische Szenen drinnen: Wie die Frau Goebbels da ihre sechs Kinder umbringt - es ist belegt, dass sie das gemacht hat. Aber warum muss ich das zweimal pro Kind zeigen: erst das Schlafmittel, dann das Gift. Und wir dürfen bei jedem Kind sehen, wie es dann zuckt: zwölf Mal!!! An dieser Szene kann man sehen, wes Geistes Kind der ganze Film ist. Obszön. Pornografisch. Auf den Voyeurismus der Leute rechnend: Das ist die absolute Begeilung des Publikums am ultimativen Akt des Tötens. Schlimmer geht's ja nicht."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung