Keine Lorbeeren zu holen

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Wahlprognosen liegen oft falsch. Auch der Ausgang der jüngsten Nationalratswahlen widerlegte die Vorhersagen. Gespräch mit dem Meinungsforscher Rudolf Bretschneider über das schwierige Geschäft, den Ausgang von Wahlen vorherzusagen.

Die Furche: Haben Sie ein Kopf-an-Kopf-Rennen von ÖVP und SPÖ für diese Nationalratswahl vorhergesagt?

Rudolf Bretschneider: Nein, denn wir haben unsere Daten nicht publiziert. Auf diesem Sektor arbeiten wir für einen bestimmten Kunden, die ÖVP. Das ist kein Geheimnis. Daher veröffentlichen wir von uns aus die Daten nicht. Andere Institute haben ihre Daten in regelmäßigen Abständen veröffentlicht. Am Anfang des Wahlkampfes gab es eine gemeinsame Sitzung der einschlägigen Institute in der Wirtschaftskammer. Dort wurde festgestellt, dass es Wahlprognosen im eigentlichen Sinn im Grunde genommen nicht wirklich geben könne. Man sollte also mit den Ergebnissen der Erhebungen sehr vorsichtig umgehen. Das predige ich seit mindestens 20 Jahren.

Die Furche: Warum diese Vorsicht?

Bretschneider: Ich kenne den Satz: Die zweiten Verlierer der Wahl sind die Meinungsforscher. Das höre ich seit 15 bis 20 Jahren. Daher machen wir keine Wahlprognosen. Mit ihnen kann man sich keine Lorbeeren holen, obwohl man auch einmal Glück haben kann. Das ist uns auch schon passiert. Intern haben wir diesmal gut geschätzt: Die Grünen bei neun, die FPÖ bei zehn, die SPÖ bei 38 und die ÖVP bei 41 Prozent. Aber das war Glück. Allein schon aus theoretischen Gründen ist es nämlich nicht möglich, eine exakte Wahlprognose abzugeben. Und was theoretisch nicht möglich ist, funktioniert auch in der Praxis nicht.

Die Furche: Zurück zur Wahl. Warum waren sich die Institute in Sachen Kopf-an-Kopf-Rennen so einig?

Bretschneider: Ich bin ziemlich sicher, dass manche meiner Kollegen - auch die, deren Daten als Kopf-an-Kopf-Rennen publiziert wurden - ein solches nicht wirklich erhoben haben. Jedenfalls weiß ich, dass die Kollegen vom IFES (Institut für empirische Sozialforschung), also auch die SPÖ, die gleichen Daten wie wir hatten. Zwei Wochen vor der Wahl war da zu erkennen, dass die ÖVP deutlich vorne liegen würde - wenn auch nicht mit sechs Prozentpunkten. Ob so etwas in einem Wahlkampf dann auch an alle weitergegeben wird, ist eine andere Sache. Ein zweiter Indikator dafür, dass manche meiner Kollegen diese Entwicklung in den Daten gesehen, aber vielleicht nicht richtig gedeutet haben, ist das Ergebnis von "Market". Sie haben regelmäßig und im Grunde genommen sehr ordentlich im Standard publiziert: Die Regeln für die Datenzitierung wurden jedenfalls eingehalten, also nicht nur vorhergesagt, wie es ausgehen würde. Man hat vielmehr auch die Rohdaten veröffentlicht. Aus ihnen war abzulesen, wie hoch der Anteil jener ist, die keine Antworten gegeben hatten. Diese Daten waren außerordentlich deutlich pro ÖVP. Allerdings hat "Market" offensichtlich den eigenen Daten nicht wirklich geglaubt.

Die Furche: Wozu erhebt man dann überhaupt Daten?

Bretschneider: Es wird bei solchen Erhebungen nicht nur gefragt: "Was würden Sie wählen, wenn kommenden Sonntag die Wahlen sind?", sondern auch: "Was haben Sie das letzte Mal gewählt?" Auf diese Frage haben sie eine deutliche ÖVP-Mehrheit bekommen. Da das letzte Mal die Wahl aber zugunsten der SPÖ ausgegangen ist, haben sie wohl angenommen, dass ihre Stichprobe schief liegt.

Die Furche: Sind denn die Stichproben so wenig repräsentativ?

Bretschneider: Nein. Auch wir haben diesen Effekt in unseren Erhebungen gehabt. Es gibt offenbar das Phänomen, dass die Leute die Vergangenheit an ihre gegenwärtige Sicht anpassen. Jedenfalls hat "Market" Antworten gehabt, die klar für die ÖVP sprachen. Dennoch wurde im Zuge der Interpretation ein leichter SPÖ-Vorsprung vorhergesagt. Es gab also eine richtige Messung, aber sie haben sich wahrscheinlich nicht getraut, den eigenen Daten zu glauben. Das Ganze ist ja nicht nur Wissenschaft, sondern in einem gewissen Grad auch Kunsthandwerk ...

Die Furche: ... auch Politik?

Bretschneider: Im Laufe der Jahre ja. Die Meinungsforschung ist leider zum integralen Bestandteil des Wahlkampfs geworden. Warum man aber das Endergebnis nicht wirklich schätzen kann, hat drei Gründe: Wir sind bei den Erhebungen auf Stichproben-Befragung angewiesen. Sie ist mit einem statistischen Fehler behaftet. Das liegt in der Natur der Sache. Bei einer Stichprobe von 1.000 Befragten liegt er bei plus-minus drei Prozentpunkten. Bei einer 500er Stichprobe - sie wird meist herangezogen - liegt der Wert bei 4,5 Prozentpunkten. Und das ist sehr viel.

Der zweite Punkt: 20 bis 25 Prozent der Befragten verweigern die Antwort. Entweder weil sie es selber noch nicht wissen oder weil sie es nicht sagen wollen. Diese 25 Prozent muss man irgendwie aufteilen, um hochschätzen zu können. Da gibt es mathematische Rechenverfahren, Erfahrungswerte, die Rückerinnerungsfrage - alles gut und schön. Aber insgesamt eine große Quelle der Unsicherheit. Dazu kommt die Erfahrung, dass die Zahl jener, die sich tatsächlich erst kurz vor der Wahl entscheiden, wächst. Vor 20 Jahren waren das fünf bis sechs, mittlerweile sind es zehn bis 15 Prozent. Diese drei Faktoren machen das Prognostizieren theoretisch problematisch.

Die Furche: Hat sich nicht überhaupt die Stabilität des Wahlverhaltens sehr geändert?

Bretschneider: Peter Ulram hier am Institut ist dieser Frage nachgegangen. Er schätzt, dass in den sechziger Jahren der Anteil der Stammwähler bei ungefähr 85 Prozent gelegen ist. Mittlerweile ist diese Gruppe auf 25 bis 30 Prozent geschrumpft. Die Gruppe jener, die theoretisch veränderungsbereit ist, wird also über die Jahrzehnte größer. Gäbe es diese Bereitschaft nicht, wären Ergebnisse wie die der letzten Nationalratswahl völlig undenkbar. Die politischen Lager gibt es nicht mehr. Auf diesem Hintergrund werden Prognosen, die über drei oder vier Wochen gehen, ein absoluter Schwachsinn.

Die Furche: Aber wozu wird dann dieser enorme Aufwand der Umfragen betrieben?

Bretschneider: Die Medien sind an einer spannenden Wahl interessiert. Also werden für die Medien Erhebungen durchgeführt. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen ist überhaupt das Beste für die Medien. "Horse race polling" nennt sich das. Das macht die Sache spannend: einmal hat der Eine einen Vorteil, dann setzt der Andere nach, dann steigt Broukal ein ... Immer ändert sich ein bisschen etwas. Macht man die Erhebungen für einen Kunden, so interessiert den zwar, wer wohl gewinnen wird und wie groß der Abstand der Parteien ist. Vor allem aber wird mit der gleichen Messmethode erhoben: Welche "messages" kommen durch? Welche Wählergruppen wandern von wo wohin? In welche Richtung sollte man allenfalls Aussagen tätigen? - Das hat die SPÖ im Hinblick auf FPÖ-Wählerschaft übrigens völlig vernachlässigt, kein Mensch weiß warum. Die Erhebungen werden also durchgeführt, um Themen zu verfolgen, um zu erfassen, wie der Spitzenkandidat ankommt und die Konkurrenz liegt. Wie bei einer Markenbeobachtung.

Die Furche: Gelingt es überhaupt, solche Erkenntnisse noch in die Kampagne einzubringen?

Bretschneider: Dann werden bestimmte Akzente gesetzt, etwa Sachplakate mit groben Slogans vermehrt eingesetzt und Bilder zurückgenommen. Oder man konzentriert sich total auf den Spitzenkandidaten.

Die Furche: In welchem Rhythmus wird im Wahlkampf erhoben?

Bretschneider: Im Wahlkampf selbst ist das meist schon gelaufen. Grundlagenstudien werden meist ein halbes bis ein Jahr vor der Wahl durchgeführt.

Die Furche: Diesmal aber war der Wahltermin ja nicht absehbar ...

Bretschneider: Noch Ende August dachte ich, die Wahlen würden Ende 2003 stattfinden. In der eigentlichen heißen Wahlphase haben wir bis zu zwei Befragungen pro Woche durchgeführt, um zu sehen: Wohin gehen die FPÖ-Wähler, wie ist der Austausch SPÖ-ÖVP, was kommt allenfalls vom Liberalen Forum? Deutlich zu sehen war das Zurückgehen der Grünen im Wahlkampf. Wir haben auch einen zunehmenden Austausch von SPÖ in Richtung ÖVP gesehen, im Zusammenhang mit dem Zusammenbrechen der Befürchtung, es komme noch einmal zu schwarz-blau. Das sind die Dinge, die man in dieser WochenHektik analysieren muss. Aber das geschieht nicht für das Publikum, sondern für den Markenartikel ÖVP.

Die Furche: Das hat aber nichts mit Prognose zu tun.

Bretschneider: Nein. Da wird ähnlich vorgegangen wie bei der Beurteilung einer Werbeaktion für eine Firma. Da versucht man herauszubekommen: Haben wir schon 70 Prozent unseres Zielpublikums erreicht? Müssen wir noch weiterwerben? Sollen wir warten, bis die Erinnerung absinkt, und steigen dann mit einer neuen Kampagne ein? Daneben gibt es - das sei eingestanden - den Einsatz der Meinungsforschung für taktische Zwecke: Nach einer Fernsehdiskussion wird gemessen, wer besser angekommen ist. Ist das Ergebnis für den Kandidaten gut, wird es veröffentlicht. Sonst bleibt es herinnen oder es gehen nur jene Image-Werte hinaus, in denen der eigene Kandidat gut abgeschnitten hat. Das ist ein Spiel. Da ist Meinungsforschung ein Inhalt der Kommunikation. Das macht mir keine Freude, aber so ist es.

Die Furche: Beeinflusst Meinungsforschung nicht ihrerseits das Wahlverhalten?

Bretschneider: Es gibt solche Rückwirkungen. Die Ergebnisse mobilisieren zunächst einmal Aufmerksamkeit - und auch die Wahlbeteiligung. Letzteres ist allerdings umstritten.

Die Furche: Gibt es Auswirkungen auch auf die Wahlentscheidung selbst?

Bretschneider: Es gibt eine Schule, die sagt, es gebe einen Mitleids- bzw. einen Mitläufer-Effekt. Vor 20 Jahren hätte ich gesagt: Solche Effekte gibt es nicht. Damals gab es, wie gesagt, mehr Stammwähler und weniger MedienRummel. Wahlen sind mittlerweile aber auch bei uns zum Medien-Spiel geworden. Das macht es wahrscheinlicher, dass es inhaltliche Effekte gibt, aber nicht die eben erwähnten. Nach meiner Einschätzung gibt es eher einen indirekten Effekt: Ein Kandidat schneidet in der Meinungsforschung schlecht ab. Daraufhin wird von allen Journalisten gefragt: Warum liegen Sie eigentlich so schlecht? Warum kommen Sie nicht an? Daraufhin ist dieser arme Kandidat zu einem Drittel seiner Zeit in den Medien damit beschäftigt, zu erklären, warum er eh nicht so schlecht liegt, wie alle glauben. Das hat nicht nur Effekte auf die Berichterstattung, sondern auch auf die Anhängerschaft. Die sagen sich: "Wir haben zwar ein gutes Programm, aber er kommt nicht an! Was soll man machen?" Also forciert man ein Team. Und dann sagen die anderen: Jetzt brauchen sie ein Team, weil der Kandidat so schlecht ist ... Ich schätze Erhard Busek sehr, aber genau das ist ihm bei der Wahl passiert. Und das ist ein Teilerfolg der Veröffentlichung von Umfragen. So gesehen glaube ich schon an Effekte.

Die Furche: Sollte man die nicht verhindern?

Bretschneider: Voriges Jahr gab es eine parlamentarische Enquete zum Thema Publikation von Umfragedaten. Soll man sie verbieten? In Zeiten des Internet hat das keinen Sinn. Das Beste ist, auf ordentliche Dokumentation der Umfrage in den Medien zu setzen und möglichst korrekt die Originaldaten wieder zu geben.

Das Gespräch führte Christof Gaspari. Rudolf Bretschneider ist Geschäftsführer der "Fessel-GfK Market Research" in Wien.

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