Otto Biba, Herr über das Archiv der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde, war im heurigen Mozart-Jahr als Ausstellungsgestalter, Leihgeber und Vortragender naturgemäß besonders gefordert. Seine Bilanz fällt indes ziemlich ernüchternd aus.
Die Furche: Herr Professor Biba, das Mozart-Jahr ist in wenigen Wochen zu Ende. Trügt der Schein, dass es weniger spektakulär verlaufen ist als vielfach erwartet?
Otto Biba: Vielleicht ist es für die Eventgesellschaft sogar spektakulär verlaufen. Der Mozart-Liebhaber, der Mozart-Kenner, ich will gar nicht vom Mozart-Wissenschafter reden, hat sich sicher mehr erwartet. Das hängt mit einer gewissen selbstzufriedenen Überheblichkeit zusammen, dass man offensichtlich gesagt hat, ich kenne meinen Mozart, ich habe meinen Mozart.
Die Furche: Wenn man auf die Aktivitäten von Salzburg und Wien, Mozarts Geburts-und Sterbeort, kritisch zurückblickt, dann bleibt von den Festspielen kaum mehr übrig als eine künstlerisch unterschiedliche Gesamtaufführung der Mozart-Opern, von Wien die Errichtung einer Mozart-Intendanz. Sehen Sie das ähnlich?
Biba: Vielleicht das einzige, was eine Neugierde im Mozart-Jahr gestillt hat, war dieses Projekt des Wiener Mozart-Jahres, die gesamte Kirchenmusik in die Kirche zurückzubringen und in den verschiedenen Kirchen wieder aufzuführen. Sonst hat in Wien das Mozart-Jahr Eventcharakter gehabt, was aus wirtschaftlicher Sicht berechtigt sein mag. Beim Salzburger Opernprojekt hat es immer geheißen, nur das Mozart-Jahr biete Gelegenheit, dieses Mammutprojekt durchzuziehen. An all die weniger bekannten Mozart-Opern glaubt man in Wahrheit aber nicht, denn sie wurden zum Teil in schrecklichen, entstellenden musikalischen und inhaltlichen Bearbeitungen aufgeführt. Das soll kein Vorwurf an die Salzburger Festspiele sein, es ist einfach zu konstatieren: Kein Mensch ist auf den ganzen Mozart neugierig, jeder will seinen Mozart weiter pflegen, in diesem Mozart-Jahr und danach. Man kann das auch auf die Instrumentalmusik ausdehnen. Das ist erschütternd.
Die Furche: Und in der Wissenschaft?
Biba: Wenn ich frage, was ist erschienen: Mozart-Handbücher,-Lexika. Alles, was das Wissen zusammenfasst, abschließt, keine Spur von Neugierde.
Die Furche: Sie kommen viel herum - wie hat man das Mozart-Jahr im Ausland begangen? Erwähnenswert ist ja, dass am neuen Köchel-Verzeichnis nicht in Österreich, sondern in den Vereinigten Staaten gearbeitet wird ...
Biba: Das stört mich nicht, wesentlich mehr stört mich, dass dieses Verzeichnis in englischer Sprache bei Breitkopf in Wiesbaden erscheinen wird. Englisch ist die Sprache der Wissenschaft, aber wenn das Köchel-Verzeichnis in seiner Neuausgabe auf Englisch erscheint, dann ist das eine Selbstaufgabe von Europa, von Traditionen. Das Phänomen, dass man auf einen neuen Mozart nicht neuegierig ist, ist international. Aber jede Wissenschaft, die nicht weiterarbeiten will, gibt sich selbst auf. 1991, im letzten Mozart-Jahr, hat es mehrere internationale Kongresse gegeben. Alan Tyson hat in den 1980er Jahren mit Papieruntersuchungen begonnen, das ist 1991 präsentiert, dann in der Neuen Mozart-Ausgabe publiziert worden und hat vieles auf den Kopf gestellt. Hätte es das Mozart-Jahr 1991 nicht gegeben, wären diese Forschungsergebnisse nie so rasch an die Öffentlichkeit gekommen. Jetzt gab es gar keinen derartigen Kongress.
Die Furche: Hängt das damit zusammen, dass man immer wieder hört, Mozart ist der am besten dokumentierte Komponist?
Biba: Das heißt es, ist aber völlig falsch. Mozart ist der Komponist, über den es die meisten Publikationen gibt. Er ist auch der Komponist, bei dem die meisten Legenden weitertradiert statt als solche entlarvt werden. In unserer Mozart-Ausstellung im Musikverein weise ich darauf hin, dass die Geschichte, dass Mozart in der päpstlichen Kapelle das Miserere von Allegri hört, nach Hause kommt und es aus dem Gedächtnis niederschreibt, weil es verboten war, abzuschreiben und Kopien weiterzugeben, eine unhaltbare Legende ist. Wenn man in die Archive geht, kann man viel von Mozart finden, denn Mozart ist der meistpublizierte Komponist, aber ganz schlecht dokumentiert. Von keinem Komponisten sind so viele Briefe verloren gegangen wie von Mozart. In der Briefausgabe finden sich vor allem Familienbriefe, aber wo sind seine Geschäftsbriefe? Haben sie sämtliche Empfänger automatisch vernichtet, wurde bisher nicht nach ihnen gesucht? Woher haben wir denn unser Wissen über Mozart? Von den Briefen, die Leopold Mozart von den Reisen nach Hause schreibt, und von der Korrespondenz zwischen Vater und Sohn, als der in Wien war. Kaum ist Leopold tot, versiegt diese Quelle. Wir wissen furchtbar wenig über ihn, das scheint niemanden zu stören.
Die Furche: Sie haben im Archiv heuer zwei korrespondierende Mozart-Ausstellungen gestaltet. Sind Sie auf Neues gestoßen?
Biba: Es waren Neuerwerbungen in diesen Ausstellungen "Mozart, der Komponist in Wien" und "Mozart, der Komponist auf Reisen", die man zum ersten Mal zeigt, und Quellen, die nicht unbekannt waren, die man aber neu lesen und aus denen man Rückschlüsse ziehen muss. Es gibt zahlreiche Bücher, in denen Mozarts Reisen beschrieben werden. Ich habe mich gefragt, was hat er auf den Reisen gelernt? Wäre er ein anderer Mozart, wenn er sie nicht gemacht hätte?
Die Furche: 2009 steht mit dem Haydn-Jahr das nächste Gedenkjahr an. Was würden Sie einem Veranstalter dazu mitgeben?
Biba: Wir sind froh, dass die Haydn-Opern in Eisenstadt eine gewisse Heimstatt gefunden haben. Aber wie lange muss es noch dauern, bis die Haydn-Opern in das normale klassische Opernrepertoire eingehen? Das Publikum ist dankbar, wenn es auch andere Symphonien als die "Londoner" hört. Wie Alfred Brendel könnten auch andere Pianisten eine Haydn-Sonate nicht zum Aufwärmen verwenden, sondern in einem Klavierabend so platzieren wie einen Chopin-Walzer. Bei den Streichquartetten muss es nicht immer das Kaiserquartett sein. Das letzte Haydn-Jahr war 1982, da ist eine ganze Generation dazwischen. 2009 müsste man fragen, wohin haben die Weichen, die damals gestellt wurden, geführt, was müssen wir in der Zukunft alles noch für Haydn tun? Jubeljahre sollten mehr Anstoß geben, die Ernte kann man dann nachher einfahren.
Das Gespräch führte Walter Dobner.
Von Mozart bis Penderecki
"Seit 1812 sammelt die Gesellschaft alles, was Musik dokumentiert, organisatorisch gegliedert in drei Bereiche: das Archiv, das sind die Noten, die Bibliothek, das sind die Bücher, die Sammlungen, das sind die Bilder, Musikinstrumente, Erinnerungsgegenstände. Zum Archiv zählt auch das Aktenarchiv zur Geschichte der Gesellschaft", stellt Professor Otto Biba seine Arbeitsstätte im Wiener Musikverein, Archiv, Bibliothek und Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, vor. Seit 33 Jahren ist der 1946 in Wien geborene Biba dort tätig, seit 1979 fungiert er als Archivdirektor dieser öffentlich zugänglichen Privatsammlung: Mozarts große g-Moll-Symphonie, sein d-Moll-Klavierkonzert, Beethovens "Eroica", die Schubert-Symphonien ausgenommen die fünfte, Streichquartette von Haydn und dessen Trompetenkonzert, der gesamte Nachlass von Johannes Brahms, zahlreiche Werke von Robert Schumann von den Davidsbündler-Tänzen bis zur vierten Symphonie, die vierte und sechste Symphonie von Mahler, die Passacaglia Opus 1 und das Streichquartett von Anton von Webern, der Nachlass von Gottfried von Einem, aber auch Stücke von Krzysztof Penderecki zählen zu ihren Glanzstücken. dob
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