Keine Toten mehr im Straßenverkehr - eine Utopie?

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Wenn bei einem Unglück mehrere Menschen ums Leben kommen, macht das Schlagzeilen. Aber dass in Österreich pro Jahr 1.000 Verkehrstote zu beklagen sind, wird routiniert zur Kenntnis genommen. Dabei könnten gezielte Maßnahmen diese Zahl massiv senken.

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Wenn bei einem Unglück mehrere Menschen ums Leben kommen, macht das Schlagzeilen. Aber dass in Österreich pro Jahr 1.000 Verkehrstote zu beklagen sind, wird routiniert zur Kenntnis genommen. Dabei könnten gezielte Maßnahmen diese Zahl massiv senken.

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Österreichs Straßen sind gefährlich. Der Straßenverkehr ist hierzulande um 15mal gefährlicher als der Arbeitsplatz. Und es ist um 2.500mal wahrscheinlicher auf der Straße zu sterben, als an der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit. Doch die Empörung über die Sicherheitsmängel im Straßenverkehr ist nicht allzu groß. Dabei werden Jahr für Jahr bei Verkehrsunfällen auf Österreichs Straßen etwa 1.000 Menschen getötet und mehr als 50.000 Menschen verletzt. "Das ist halt so. Da kann man nichts machen", ist ein oft gehörtes Argument, das resignativ und falsch ist.

Der europäische Vergleich zeigt, dass Österreichs Straßen doppelt so gefährlich sind, wie die sichersten in der EU. Während in Österreich etwa 130 Personen pro eine Million Einwohner und Jahr im Straßenverkehr sterben, sind es in Großbritannien und Schweden nur 60.

Auch ein Blick in die jüngere Geschichte Österreichs zeigt, dass es eine Frage politischer Entscheidungen ist, wie sicher oder unsicher der Straßenverkehr ist. Seit den siebziger Jahren sinkt in Österreich die Zahl der Verkehrstoten. Ohne Maßnahmen wie Tempolimits, Gurtenpflicht oder bessere Verkehrsüberwachung gäbe es in Österreich etwa doppelt so viele Verkehrstote.

Zehntausende Menschen verdanken hierzulande ihr Leben jenen politischen Entscheidungen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten die Verkehrssicherheit erhöht haben.

Und dennoch ist auch der negative Umkehrschluss zulässig: Tausende Menschen verloren in Österreich ihr Leben, weil zahlreiche wirksame Verkehrssicherheitsmaßnahmen nicht beschlossen wurden. Denn dass heute die Zahl der Verkehrstoten nicht noch höher ist, ist nicht zuletzt auch dem medizinischen Fortschritt zu verdanken.

90 Prozent weniger Tote in zehn Jahren Dabei wäre das Sicherheitspotenzial im Verkehrsbereich enorm groß. Der "Verkehrsclub Österreich" (VCÖ) hat in seiner aktuellen Studie "Mit Sicherheit mobil - Straßenverkehr ohne Todesopfer" Verkehrssicherheitsmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit untersucht. Das Ergebnis: Die Zahl der Verkehrstoten könnte in Österreich innerhalb von zehn Jahren um 90 Prozent gesenkt werden. Grundlage ist ein Paket von Maßnahmen, die in anderen Ländern bereits gang und gäbe sind: Niedrigere Tempo- und Alkohollimits, verbesserte Fahrausbildung, bauliche Maßnahmen sowie die Ausschöpfung des Sicherheitspotenziales an den Fahrzeugen gehören dazu. Eine besonders wichtigen Beitrag würde die Einführung des Punkteführerscheins, der sich in Ländern wie Großbritannien oder Deutschland bestens bewährt hat.

Punkteführerschein einführen Der Punkteführerschein hilft präventiv. Er trägt dazu bei, dass die Zahl der Verkehrsunfälle verringert wird. Nachgewiesene Übertretungen von Verkehrsregeln werden nach Punkten bewertet und registriert. Wenn eine bestimmte Punkteanzahl überschritten wird, wird der Betroffene gewarnt. Als nächster Schritt können Schulungen und Fahrprüfungen angeordnet werden. Wird schließlich eine Punkteanzahl erreicht, bei der die Verkehrszuverlässigkeit nicht mehr als gegeben gilt, wird der Führerschein entzogen.

Andererseits werden die Punkte je nach Delikt nach Ablauf einer angemessenen Zeit wieder aus dem Register gestrichen.

In Deutschland sind davon im Jahr wegen der präventiven Wirkung der Maßnahme nur 0,3 Prozent der Führerscheinbesitzer betroffen.

Der Punkteführerschein hat aber vor allem den Vorteil, dass damit sicheres Fahren belohnt werden kann. so schlägt die Studie vor, dass Kfz-Haftpflichtprämien und Kfz-Steuern nach dem Punktestand bemessen werden sollen. Wer sicher fährt, zahlt weniger Steuern. Und umgekehrt - wer Unfallrisiko verursacht, soll dies auch in der Geldbörse spüren.

Dies würde nicht nur die Sicherheit auf den Straßen erhöhen, sondern auch zu mehr Kostentransparenz führen. Denn die mangelnde Verkehrssicherheit verursacht neben großem menschlichem Leid auch enorm hohe Kosten. In Österreich betragen diese 107,9 Milliarden Schilling. Das entspricht etwa dem dreifachen der Ausgaben des Bundes im Jahr 1999 für Bildung und Kultur.

Die Wirtschaft wiederum wird mit etwa 28,9 Milliarden Schilling belastet. Dazu zählen Ausgaben für Kfz-Versicherungen, Produktionsausfälle infolge von Verkehrsunfällen sowie erhöhte Lohn-Nebenkosten und Steuer-Belastungen.

Letztere ergeben sich deshalb, weil Kfz-Haftpflichtversicherungen nicht den gesamten Teil der Unfallkosten tragen: Ein großer Teil der von Verkehrsunfällen verursachten Krankenhauskosten wird stattdessen von den öffentlichen Haushalten und der Sozialversicherung - und somit von den Steuerzahlenden - getragen. Ein Kostenfaktor, der auch die privaten Haushalte stark belastet. Sie kostet die mangelnde Verkehrssicherheit mehr als 78,5 Milliarden Schilling. Auch die infolge der wachsenden Unsicherheit im Verkehr steigenden Hol- und Bringdienste, beispielsweise von Kindern in die Schule, stellen eine monetäre Belastung der Haushalte dar.

Unfallrisiko hängt aber nicht nur von den Lenkenden, sondern auch vom Fahrzeug ab. So erhöht sich mit zunehmender Motorleistung der Verursacher-Anteil bei Pkw-Unfällen. Zusätzlich steigt die Wahrscheinlichkeit bei einem Verkehrsunfall getötet zu werden mit der Höhe der Motorleistung. Für Lenker von Fahrzeugen mit mehr als 100 KW ist das Risiko bei einem Verkehrsunfall getötet zu werden, doppelt so hoch wie für Lenker von Fahrzeugen mit einer Stärke von 40-49 KW.

Stärkere Autos sind unfallträchtiger Dazu kommt, dass jeder Autotyp unterschiedliche Sicherheitsstandards hat. Deshalb der Vorschlag, dass schon beim Fahrzeugkauf die Kosten des potenziellen Unfallrisikos entscheidungsrelevant werden. Zulassungssteuern (ähnlich der derzeitigen Normverbrauchsabgabe) sollten sich nach dem Unfallrisiko richten, das vom Betrieb eines bestimmten Fahrzeuges ausgeht. Versicherungen kennen heute schon dieses fahrzeugbedingte Unfallrisiko (Schadensquote) sehr genau.

Die Maßnahmen Punkteführerschein und die faire Anlastung von Unfallkosten würden im Rahmen des vom VCÖ erarbeiteten Verkehrssicherheitsplans die Zahl der Verkehrstoten um rund 25 Prozent verringern. Für das Jahr 1999 hätte das bedeutet, dass 215 Menschen weniger auf Österreichs Straßen gestorben wären. Verkehrssicherheit ist eine Frage des politischen Willens. So hat das schwedische Parlament bereits 1997 als Richtlinie der Verkehrssicherheit "Vision Zero" - Straßenverkehr ohne Todesopfer - beschlossen. Ein Weg, der auch für Österreich Vorbild sein sollte. Denn, wenn es um Verkehrstote geht, gibt es nur eine akzeptable Zahl: Null. Dieses Ziel anzustreben, ist Aufgabe der Verkehrssicherheitsarbeit.

Der Autor ist Leiter des VCÖ-Forschungsinstituts.

Zum Thema Der VCÖ hat eine Unterschriftenaktion gestartet, die den Beschluss von Vision Zero - Straßenverkehr ohne Todesopfer - auch für Österreich fordert. Basis für dieses Ziel soll ein Nationaler Verkehrssicherheitsplan sein, mit dem die Zahl der Verkehrstoten in einem ersten Schritt um 90 Prozent verringert werden kann. Unterschriftslisten können beim VCÖ unter (01) 893 26 97 angefordert werden. Die Aktion kann auch online unter www.vcoe.at unterstützt werden.

Die Studie "Mit Sicherheit mobil - Straßenverkehr ohne Todesopfer" kann jetzt zum Vorzugspreis von öS 120,- (statt öS 180,-) beim VCÖ auch per E-Mail unter vcoe@vcoe.at bestellt werden.

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