Keine Werte, keine Gefühle, keine Bratwürste

Werbung
Werbung
Werbung

Eine gelungene Uraufführung ging im Wiener Schauspielhaus über die Bühne: "faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete" von Ewald Palmetshofer.

Rechtzeitig vor Ostern kommt das im Vorfeld von der Presse erwartete "Faust"-Drama des Oberösterreichers Ewald Palmetshofer heraus und macht Goethes Fragen zu heutigen. Auch er konstruiert ein "Vorspiel auf dem Theater", in dem der Direktor die unternehmerische, der Dichter die künstlerische, die lustige Person die unterhaltende Absicht diskutieren.

Atmosphärisch ist im Schauspielhaus stark spürbar, wie wichtig der Erfolg des Hausautors für das Theater ist. Mit dramaturgischer Unterstützung von Brigitte Auer und in der Inszenierung der begabten Regisseurin Felicitas Brucker ist das komplexe Stück als gelungene Uraufführung über die Bühne gegangen. "faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete", lautet der originelle Titel des Textes. Goethes "Faust" bildet dafür zwar das Bezugssystem, also buchstäblich den Rahmen (der zu Beginn konkret als Fensterrahmen mit Blick in die Welt imaginiert wird), führt aber auch gezielt in die Irre.

Mephisto: Fehlanzeige

Da sind weder Pudel noch Mephisto, sondern allein die Beziehung von Faust und Grete, die nicht als Figuren, sondern als Leerstellen gestaltet sind. Mit "Heinrich" und "Grete" beschriftete Kleidungsstücke markieren die Rollen, die vom Schauspielerkollektiv wechselweise dargestellt werden.

Grete ist kein Gretchen, sondern eine heutige Frau, Sozialarbeiterin, die über ihre Gefühle Bescheid weiß und sich trivialen Mustern und Klischees zu entziehen sucht. Und dennoch erwischt es sie, und sie verliebt sich auf einer etwas zähen Party ihrer Freundin Anne in Faust, alias Fritz, der einen gegenwärtigen neoliberalen Diskurs führt, indem er seine Freundin als "Humanressource" betrachtet. Immerhin hat er "ein Innerlichkeitsgefühl" entwickelt und eine emotionale "Investition" getätigt. Doch wenn er einen "Kassasturz" macht, muss er erkennen, dass er "ordentlich viel Kapital in den Sand gesetzt hat".

Lauwarmes Oberflächen-Miteinander

Palmetshofers Sprache tönt da bisweilen nach Werner Schwab, der abstrakte Begriffe und Emotionen substantiviert; und so öffnen sich auch hier "Gemeinschaftskörperöffnungen" für emotionales Kapital, ja sogar der ganze Volksmund. Während sich Faust und Grete an der Glücksfrage stoßen - "wir leiden am Gleichen, was nicht ist" - leben ihre Freunde in einem bewusst lauwarmen, echte Gefühle und Kommunikation negierenden Oberflächen-Miteinander.

Leere Wochenend-Rituale

Ihre partizipienlose Sprache wird zum Ausdruck des Aneinander-Vorbeiredens. Da ist es in Wirklichkeit egal, was man meint oder hört. Die drei Paare verbindet ohnehin nicht mehr als die räumliche Nähe der Nachbarschaft. Leere Rituale, wie inhaltslose Ansprachen bei den samstäglichen Grillpartys auf ihren Terrassen, machen die Oberflächlichkeit der Beziehungen deutlich. Hier findet kein Austausch statt. Der Rest gemeinsamer Werte ist über Bord geworfen, bis hin zum pseudolustigen Motto der Einladungen: "Eat what you bring". Hier wird beinhart gerechnet, da gibt es keine Investition in ein Gegenüber, keine Werte, keine Gefühle und auch keine Bratwürste. "Diese Welt macht uns keiner schlecht", beteuern sie und schlagen ihre Zeit im Wellness-Hotel tot.

Am Ende müssen sie sich als Zeugen jener menschlichen Katastrophe betrachten, die Gretchens Kindsmord behauptet und noch Schlimmeres andeutet. Fausts Jagd nach der Belohnung seiner Investitionen geht hingegen weiter. Das Glück ist ein Reh, so meint die eiskalte Tanja, und fasst damit Palmetshofers Metapher einer zynischen Gesellschaft zusammen. Doch Palmetshofers Wald ist kein idyllischer Erholungsort, sondern Zuflucht für die vereinsamte Grete.

Sinnlicher Theaterabend

Das sechsköpfige Ensemble bestehend aus Max Mayer, Nicola Kirsch, Katja Jung, Vincent Glander, Bettina Kerl und Steffen Höld (der zumeist den Fritz/Heinrich darstellt) meistert virtuos Palmetshofers Sprech-Arien.

Und Felicitas Brucker gibt ihnen klare und bestechende Bilder. Aus wenigen Mitteln schafft sie zusammen mit ihrer Bühnenbildnerin Steffi Wurster die Fassade eines mehrstöckigen Hauses, das sich drehend zur Weltkugel entwickelt und dann wieder in eine intime Kammer. Brucker zieht die komplexen Fäden dieses vielschichtigen Textes zu einem sinnlichen Theaterabend zusammen und bringt ihn damit zu jenem großen Erfolg, den die österreichische Gegenwartsdramatik dringend braucht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung