Kilimandscharo darf nicht sterben

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Nicht nur Minenunternehmen können einem Berg zusetzen. Es reichen auch Zigtausende Touristen samt Begleiter, um einen Giganten klein zu machen.

Der Kilimandscharo wurde immer schon ausgenutzt: Eine tansanische Sage erzählt, dass der kleinere Nachbarvulkan Mawenzi vor Urzeiten beim großen Kilimandscharo vorbeikommt, um diesen um Feuer zu bitten. Die Glut des Mawenzi ist nämlich erloschen. Kili gibt dem Nachbarn Feuer und da er gerade Bananen zerstampft, bekommt Mawenzi auch davon. Auf dem Rückweg schmecken dem die Bananen so gut, dass er das Feuer wieder ausmacht, um eine Ausrede für einen neuerlichen Besuch zu haben – nicht ohne wieder um Bananen zu bitten. Der Vorgang wiederholt sich einige Male, bis es dem Kili reicht. Er jagt Mawenzi mit Kochlöffelhieben davon – seither hat dieser Vulkan sein zerklüftetes Aussehen …

Heute pilgern jedes Jahr rund 45.000 Touristen zum höchsten Berg Afrikas. Sie brauchen kein Feuer und ihnen geht es nicht um Bananen. Sie wollen den Gipfelsieg. Mit seinen 5895 Metern gehört der Kilimandscharo zu den „Seven Summits“, der auserlesenen Runde der höchsten Gipfel auf jedem Kontinent. Mit seinen weiten Hängen und guten Wegen ist der Kilimandscharo außerdem der am leichtesten zu besteigende unter ihnen – das erklärt seine Anziehungskraft für Bergsteiger.

Pro Jahr sind das bis zu 45.000. Durch ein sehr aufwändiges, aber von der Verwaltung des Kili-Nationalparks vorgeschriebenes System, das pro Tourist einen Bergführer und bis zu drei Träger vorschreibt, kommen noch einmal 200.000 Menschen dazu, die den Berg pro Jahr „heimsuchen“.

Tom Kimaro verwendet dieses Wort. Der 70-jährige Geschäftsmann ist im Dorf Marangu geboren, dem Ausgangspunkt für die am meisten genutzte Route. Als Kind hat er noch den wenigen Abenteurern mit großen Augen nachgeschaut, die sich an eine Besteigung wagten. Mit der Zeit sind aus den wenigen Wagemutigen viele Touristen geworden. Und obwohl selbst als Campingplatzbesitzer und Tour-Organisator von Kilimandscharo-Aspiranten abhängig, sagt Kimaro: „Es ist genug, es sind zu viele, der Berg leidet!“

Regenzeit ohne viel Regen

Kimaros Name ist eine Ableitung des Bergnamens. Auch deswegen fühlt er sich berufen, dem Kili zu helfen, den Kili zu retten: „Es reicht!“ sagt Kimaro. Und nach einem tiefen Atemzug, so als ob er gleich dem Berg unter schwerem Druck steht, sagt er: „Der größte Nutzen dieses Berges für uns ist nicht, dass er uns Touristen bringt. Der größte Nutzen des Kilimandscharo für uns ist, dass er uns gutes Wetter bringt, unsere Brunnen und Bäche mit Wasser füllt. Das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen.“

Ende März, Anfang April beginnt die Regenzeit in Tansania. Heuer hat es aber auch in den Monaten zuvor, der Hauptsaison für Kili-Besteigungen, oft und ausgiebig geregnet. „Das Wetter ist nicht mehr so wie es einmal war“, sagen die Bergführer am Weg auf den Kili. Bis auf wenige nächtliche Schauer ist von der Regenzeit tatsächlich nichts zu spüren. Entgegen Kimaros Warnungen präsentiert sich der Kilimandscharo auch überhaupt nicht leidend. Oben glänzt frischer Schnee, unten stehen die Senecien in saftigem grün. Und vor allem: Der alpine Publikumsmagnet ist fast menschenleer, teilweise ist sogar der Ausdruck Bergeinsamkeit eine passende Beschreibung für die Idylle.

Führer & Träger wollen mehr Gäste

Bergführer Richard Teete hält deswegen nichts von Kimaros Idee, die Zahl der Bergsteiger zu reduzieren. Im Gegenteil. Die Gäste aus Österreich sollen vielmehr zu Hause Werbung für den afrikanischen Berg und seine Leute machen. Vor allem in der Regenzeit gebe es noch mehr als genug freie Kapazitäten – und der angesagte Regen bleibt ja wie gesagt sowieso die meiste Zeit aus. Außerdem seien Führer wie Träger und ihre Familien auf diese Einkünfte angewiesen. Wobei die obligaten Trinkgelder der Touristen angeblich den Lohn übersteigen. Zusammengerechnet 50 US-Dollar für fünf Tage ist jedenfalls schwer verdientes Geld für einen Träger mit 25 Kilo Gepäck am Kopf oder Rücken.

Besonders aber die große Zahl dieser Träger ist Kimaro ein Dorn im Auge, macht er sie doch vor allem für den Massenauflauf auf den Kilimandscharo verantwortlich. Begonnen hat der Bergtourismus in großem Maßstab auf den höchsten Berg Afrikas mit Unterstützung aus Europa: Die norwegische Entwicklungshilfe finanzierte vor 30 Jahren eine asphaltierte Straße zum Marangu Gate, dem wichtigsten Ausgangspunkt und ließ alle 1000 Höhenmeter Schutzhütten errichten.

Bis in die 1990er-Jahre wurde noch Holz aus dem Regenwald zum Kochen verwendet. „Damals haben wir gesehen, dass das nicht länger so weitergehen kann“, sagt Kimaro, „wir sind umgestiegen auf Gas- und Kerosinkocher – doch heute müssen wir vom Gas weg, es schadet dem Berg.“ Kimaro spricht von Solarkochern, von Strom aus Sonnenenergie, von einer Hüttenbewirtschaftung im Alpenstil, wo sich die Bergtouristen in der Hütte versorgen können und keine Trägerkolonne für ihre Ausrüstung, angefangen vom Besteck über Salz- und Pfeffer-Streuer bis zur Kaffeedose, brauchen.

Massiver Verlust an Arbeitsplätzen

Das würde bereits viel zur Umsetzung von Kimaros dringendster Forderung beitragen: weniger Menschen am Berg. Damit einher ginge jedoch ein massiver Verlust an (schlecht bezahlten, aber immerhin) Arbeitsplätzen. Kimaro wäre kein Geschäftsmann, hätte er nicht ein Konzept parat. Er träumt von Kleinkraftwerken an den Bächen und Flüssen, die vom Berg wegführen, von einer Elektrifizierung der Region und damit einhergehend mit dem Auf- und Ausbau von klein- und mittelständischen Unternehmen. „Das wären bessere Arbeitsplätze für unsere jungen Menschen, als jeden Tag die Rucksäcke von Touristen auf den Berg rauf und wieder runter zu tragen.“ Die Träger, die einem am Weg bergauf oder bergab entgegen kommen, grüßen indes unverdrossen mit „Jambo, Jambo!“ – „Willkommen!“. Und „pole, pole!“ – „langsam, langsam!“ ist das zweite Wort, das hier ständig im Mund geführt wird. Kimaros Warnungen werden deswegen am Kili-Getümmel wohl nicht so schnell etwas ändern. Doch er wird weiter warnen und mahnen. Denn es beruhigt ihn nicht, dass es schon immer so war, dass der Kilimandscharo seit Urzeiten unverschämt ausgenutzt wird.

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