Kinder entdecken einen uralten Brauch

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Jungen Menschen die Welt des Theaters näherbringen, das schafft seit vielen Jahren das Wiener Kindertheater – ganz gleich ob vor oder auf der Bühne.

Seine Kinder fürs Theater begeistern: Welcher kulturbeflissene Mensch wünscht sich das nicht? Allerdings ist das kein leichtes Unterfangen, denn groß ist die Konkurrenz durch Fernsehen, Kino und Internet. Und auch der Theaterbetrieb selbst macht es Kindern schwer, sich für diese Kunst zu erwärmen. Wie auch immer man als Erwachsener zu zeitgenössischem Theater stehen mag: Videowände und Spaghetti- Essen, Gezucke und routiniert hysterisches Geschrei (© Daniel Kehlmann) sind wohl nicht die geeigneten Ingredienzien, um in Kinderseelen eine lebenslange Leidenschaft zu entfachen.

Hingebungsvolle Darsteller

Um zu erfahren, welchen Zauber ganz traditionelles Theater auf Kinder ausüben kann, muss man nur einmal eine Aufführung des Wiener Kindertheaters gesehen haben. Die Hingabe der jungen Darsteller auf der Bühne, der grenzenlose Jubel des jungen Publikums sind ein untrügliches Zeugnis für die Unsterblichkeit des uralten Brauches, dass sich Menschen verkleiden und im Angesicht anderer Menschen eine Geschichte in Szene setzen.

Heuer spielt das Wiener Kindertheater Johann Nestroys Posse „Der Talisman“. Die Kinder und Jugendlichen treten in einfachst gemachten Biedermeier-Kostümen auf, die Aufführung im Studio Molière folgt der Vorlage. Natürlich lotet die Inszenierung nicht jede Tiefe des Stückes aus, doch die enthaltenen Themen sind klar erkennbar, auch ohne sogenannte Aktualisierungen und unterstützende Videoprojektionen. „Man soll nicht so lügen und so gemein sein“ lautet das kindliche Urteil über die wahrgenommenen Inhalte, die der Kritiker mit Karrierestreben um jeden Preis, Absolutsetzung des wirtschaftlichen Erfolges und Siegeszug der Blender und Selbstdarsteller umschreiben würde.

Seit 15 Jahren begeistert das Wiener Kindertheater das Publikum mit seinen alljährlichen Theateraufführungen. Shakespeare, Nestroy und Goldoni sind die am häufigsten aufgeführten Autoren, aber es wurde auch schon jeweils ein Stück von Botho Strauß und Jean Anouilh gespielt. Rund 100 Kinder machen heuer mit, jede der insgesamt 16 Aufführungen – die letzte findet am 20. September statt – hat eine andere Besetzung: Es gibt zehn Titusse, neun Salomes und elf Constantias.

Die Aufführungen sind die öffentlich sichtbare Aktivität des Wiener Kindertheaters. Daneben werden selbst geschriebene Stücke produziert, Workshops, Sommerkurse und Kreativwochenenden für Kinder und Jugendliche von fünf bis 18 Jahren veranstaltet. Der Run auf das Wiener Kindertheater ist groß. Für die Workshops etwa haben sich heuer nicht weniger als 700 Kinder gemeldet, von denen nur ein Teil aufgenommen werden konnte. Da es aus prinzipiellen Gründen kein Casting gibt, lautet die Regel: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

„Wir sind keine Talenteschmiede. Uns geht es darum, Kindern einen kreativen Zugang zur Weltliteratur zu ermöglichen und sie für das Zusammenspielen mit anderen Kindern zu begeistern“, sagt die Gründerin und Leiterin des Kindertheaters, Sylvia Rotter. In einem ersten Schritt lernen die Kinder Zuhören. Dann nähern sie sich den Rollen von der Bewegung her, sie ergründen die Figuren durch pantomimische Darstellung. Improvisation und Spontanität sind Rotter wichtiger als das Auswendiglernen der Texte. Die Kinder sollen Sprache als lustvolles Kommunikationsmittel begreifen und die im Stück behandelten Themen und Emotionen auf ihre eigene Lebenswirklichkeit übertragen.

Erste Station am Karriereweg

Für manche der Kinder ist das Wiener Kindertheater tatsächlich der erste Schritt einer Bühnenkarriere. Katharina Klar, Ensemblemitglied des Grazer Schauspielhauses, oder der heute in London lebende Regisseur Alexander Medem zum Beispiel haben beide am Wiener Kindertheater begonnen. Doch Sylvia Rotter ermuntert niemanden dazu, Schauspieler zu werden: „Ich rate den Kindern ab, weil ich den Beruf kenne.“

www.kindertheater.com

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