Kindergarten mit starken Prinzen und Prinzessinnen Roman Blindtext und Text

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Ganz normaler Alltag im geschlechtssensiblen Kindergarten: Wenn Buben Röcke tragen, Mädchen Bauhelme und Rosa trotzdem erlaubt ist.

Der dreijährige Moritz nimmt die nackte Puppe und legt sie behutsam in eine kleine Plastikwanne. Sie hat eines mit ihm gemeinsam: das Geschlecht. Normalerweise werden Babypuppen geschlechtslos dargestellt. Die von Moritz wurde extra aus einem Spezial-Katalog bestellt, denn der Begriff #normal# wird in den zwei Wiener fun&care-Kindergärten gerne ausgelotet: Buben lackieren sich schon einmal die Nägel und Mädchen hantieren mit echtem Werkzeug an der echten Werkbank.

Oder auch nicht # denn aufgedrängt wird den Kindern gar nichts in den Kindergärten mit Schwerpunkt auf #Geschlechtssensible Pädagogik#: #Wir machen hier kein Zwangsnägellackieren#, erklärt Sandra Haag, die seit Jänner dieses Jahres die Kindergärten leitet. #Es ist wichtig, Buben und Mädchen die selben Chancen zu geben. Fatal fände ich, wenn man Kinder der Phantasie beraubt, Kindern Grenzen setzt. Wir möchten den Kindern das Gefühl mitgeben: Trau dich Dinge auszuprobieren, Neues auszutesten und über deine Rolle hinwegzuspringen.#

Die gepiercte 26-Jährige war früher #optisch das typische Mädchen#, hat viel mit Puppen und Pferden gespielt und ihre Kindergartenzeit wohl am ehesten in der Puppenecke verbracht. In der Brunhildengasse 1a # einem der zwei fun&care-Kindergärten im 15. Bezirk # ersetzen Rollcontainer die klassische Bau- und Puppenecke. Die gelernte Kindergartenpädagogin erklärt das spezielle Gender-Raumkonzept: #Es gibt alle Materialien bei uns, wie in anderen Kindergärten, aber sie sind in Rollcontainern gelagert, die sich die Kinder einfach wo hinziehen können.# In den Plastikbehältern liegt die Puppe neben dem Bagger # vordefinierte Bereiche sollen so vermieden werden.

Mädchen- und Bubenfrisuren

Sollte sich trotzdem ein Mädchen ihre persönliche Puppenecke einrichten, sei das auch keine Gefahr, erläutert Sandra Haas: #Wir nehmen den Kindern gar nichts weg, sondern wir versuchen einfach zu ergänzen.# So liegt im #Kosmetikkorb# neben Haarbürste und leerer Shampooflasche auch ein Rasierpinsel. Gemeinsam mit den Kindern wird über vorgefertigte Meinungen diskutiert und viel hinterfragt # etwa die Erwartung, Mädchen müssen hübsch, brav und angepasst sein. Unterschiedliche Welten treffen im Kindergarten aufeinander, je nach Vorerfahrung im Elternhaus. So kann es schon einmal vorkommen, dass die Kinder sich gegenseitig ihre Weltbilder zurechtrücken: #Das ist eine Mädchenfrisur#, kommentiert ein Kind die abgebildete Figur im Buch, worauf ein anderes entgegnet: #So etwas wie Mädchen- und Bubenfrisuren gibt es nicht#. Frisurentechnisch können alle alles tragen, bestes Beispiel, fällt den Kindern ein, sind die langen Haare des Betreuers Matthias Schimpf. Neben ihm decken ein Pädagoge, ein Zivildiener und zwei weitere Assistenten die männliche Kindergartenbetreuung ab. Kindergartenpädagogen seien rar gesät, erzählt Sandra Haas, und gerade bei den Eltern sehr begehrt: #Vor allem für alleinerziehende Mütter ist männliches Personal ein großes Thema.# Insgesamt gibt es in Österreichs Krippen und Kindergärten derzeit ein Prozent männliches Personal.

Schwerpunkt Sprache

Iris Tremetzberger sitzt am Boden im Raum der Krippengruppe, während ihre knapp zweijährige Tochter Nora die weibliche Puppe im Wagerl schlafen legt. Sie begleitet ihr Kind bei der Eingewöhnungsphase. Der Kindergarten mit Gender-Schwerpunkt entspreche ihrer Lebenseinstellung, erzählt die Mutter. Auf geschlechtssensible Sprache wird viel Wert gelegt, was auch Tremetzberger positiv aufgefallen ist: Bei einem Kinderlied wurde der #Müller# kurzerhand in eine #Müllerin# verwandelt. Jedes Kinderbuch wird auf allzu klassische Rollenklischees hin überprüft und anstatt #Jeder zieht sich an# heißt es #Alle ziehen sich an#. Ein Großteil der Mädchen reagiere sonst nicht darauf, weiß Sandra Haas aus Erfahrung. Nicht allen Müttern und Vätern ist der Gender-Schwerpunkt bewusst, manche schicken ihre Kinder deshalb hin, weil der Kindergarten in der Nähe ist. Bei anderen stoßt das Gender-Konzept durchaus auf Misstrauen, etwa #in Kulturen, wo die Rollenbilder sehr starr sind#, was Sandra Haas als zusätzliche Herausforderung sieht: #Wir zwingen niemandem etwas auf. Gerade hier sind Männer wichtig, die als positives Rollenvorbild voranschreiten.#

Die fun&care Kindergärten verstehen sich als Bildungseinrichtungen, nicht als reine Aufbewahrungsstätten: #Die Kinder lernen jede Minute ihres Lebens#, so Sandra Haas. Es gehe nicht darum, stur nach Vorschulblättern zu arbeiten, sondern den Kindern vor allem Selbstbewusstsein zu vermitteln: #Die Mädchen tragen trotzdem Rosa. Der Unterschied ist, dass die Mädchen wissen: Ich kann auch eine starke Prinzessin sein.#

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