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Der Gott des Juden Jesus und die Krise der Kirche. - Zwei prominente katholische Theologen analysieren den Zustand ihrer Glaubensgemeinschaft nach den Kontroversen in Rom und Linz.

Die Finanzkrise entstand, weil viele ein wenig und wenige sehr viel über ihre Verhältnisse gelebt haben. Sie entstand, weil Vertrauen schlagartig schwand, als man es plötzlich an einigen Symptomen bemerkte. Wir fürchten: Die Kirchenkrise könnte ähnlich tief werden wie die aktuelle Finanzkrise der globalisierten Welt. Die Vorgänge in Rom um die Priesterbruderschaft Pius X. und die Turbulenzen, die von der ursprünglichen Personalentscheidung in Linz ausgingen, erinnern an gescheiterte Spekulationsgeschäfte mit der Währung Vertrauen und beide bedeuten Autoritätsverlust. Deshalb müssen sich alle in der Kirche fragen: Leben auch wir, lebt auch die Kirche über ihre Verhältnisse?

Die Verhältnisse der Kirche, über die sie auf Dauer nicht leben kann, haben mit dem zu tun, wovon sie lebt, und sie werden davon geprägt, wie sie damit lebt. Die Kirche lebt von ihrem Glauben - an Gott, Christus, den Heiligen Geist. An Christus glauben bedeutet nun aber, an die Botschaft des Jesus von Nazareth glauben, also des Juden Jesus. Das ist das erste Verhältnis, das nun infrage steht. Kann es eine Einheit der Kirche geben, die auf Kosten des Judentums geht, zu dem noch immer der gehört, der die Kirche zu glauben lehrt? Die päpstlichen Bemühungen um die Priesterbruderschaft des famosen Erzbischofs Lefebvre stellten mit einem Male ernsthaft diese Frage. Die unerträgliche Leugnung der Schoa durch jenen weniger famosen als bornierten Bischof, der allen Ernstes so tut, als hinge die Existenz der Vernichtungslager daran, dass er dafür Beweise fände, tat ein Übriges, um die Frage anzuschärfen. Kann es eine Einheit der Kirche geben, für die den Preis die Juden zahlen? Das wurde über Jahrhunderte versucht. Aber es hat in der Vergangenheit nicht funktioniert und es zeigt sich erneut: Es kann diese Einheit nicht geben, nicht nach innen und nicht nach außen.

Das nimmt dem päpstlichen Willen, für die Aufhebung der Exkommunikation keine Gegenleistung abzufordern, nichts an Großmut. Aber es mutet diesem Willen zu, das Außen der Kirche und die innere Einheit der Kirche zu verbinden. Beides darf man nicht vermischen, aber ebenso wenig trennen. Diese Seite der kirchlichen Verhältnisse wurde nun weltöffentlich deutlich: Ohne Absage an die unselige Tradition des Antijudaismus kann es keine kirchliche Einheit geben. Wer das nicht sieht, lebt über die kirchlichen Verhältnisse und beschleunigt den Autoritätsverlust der Kirche. Diese Absage ist durchaus keine Gegenleistung, die den Piusbrüdern abzuverlangen ist. In der Kirche kann nicht wie auf einem Basar um Tradition oder Konzil gefeilscht werden. Diese Absage ist ein Erfordernis der Umkehr, ohne die, wie der Jude Jesus seine Anhänger lehrt, der Glaube an das Evangelium nicht zu haben ist.

Gott ist nicht einfach "lieb", er ist die Liebe

Dieses Evangelium verkündet einen Gott, der die Menschen im Übermaß liebt und der sie deshalb als Freunde anredet, wie das Zweite Vatikanum herausstellt. Er kennt und lebt dabei offenbar eine entwaffnende Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz. Er kommt uns unvergleichlich nahe und schenkt dennoch darin die Freiheit, sich sogar von ihm selbst distanzieren zu können. Das entzieht ihn unserer Bemächtigung, und das lässt seine Macht so prekär werden. Gott ist tatsächlich nicht einfach lieb, er ist die Liebe, in dieser Liebe ist er radikal. Er konfrontiert uns Menschen mit den Abgründen unserer Bosheit.

Dieser Gott Jesu gibt dem Diesseits eine Hoffnung, nicht zu ersticken an der eigenen Lieblosigkeit, Enge und Kleinkariertheit. Das Jenseits im christlichen Glauben ist ein Gott, der im Diesseits zu finden ist, als dessen Befreiung und Rettung, aber auch als dessen Gericht und Gerechtigkeit, ja als etwas, was es im Diesseits gerade nicht gibt, als Zusammenfall von Liebe und Gerechtigkeit. Das relativiert die Horizonte des Ichs, vor allem die des selbstbezogenen, präpotenten Ichs. Die Kirche hat in Wort und Tat von diesem radikal liebenden Gott Jesu zu sprechen, und damit von einem Horizont, der alle Horizonte übersteigt, selbst übrigens den der eigenen Religion.

Es prägt ihre Verhältnisse, diesen Gott sichtbar zu machen. Darauf kommt es an. Das bedeutet aber, es kommt nicht bloß auf die kirchliche Sichtbarkeit an. Darauf kam es der neuzeitlichen Selbstbeschreibung der Kirche als societas perfecta an. Diese Sichtbarkeit der Kirche wird durch die Hierarchie gewährleistet, nicht einfach durch den Glauben; so sah es Robert Bellarmin, der prägende Barocktheologe der societas perfecta. Dieses Selbstbild hat die Kirche bis zum letzten Konzil geprägt und es hat in der Weihbischofsentscheidung von Linz Urstände gefeiert: Sichtbar kann man werden, wenn man herausfordernde Positionen vertritt, Salz in die Wunden der Schwächen von Menschen streut und ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden versucht.

Wenn man aber die Macht Gottes dafür gebraucht, dann kann man mit der Gottesrede freilich gerade auch als Frommer erbärmlich scheitern. Diese Rede verwirkt das Heil, das im Glauben an Gott liegt. Gott wird hier eingebaut in eine Logik von Macht und Herrschaft, von Arroganz und Lieblosigkeit. Dagegen gilt, dass man gerade auch als Sünder sein Heil gewinnen kann, wie etwa der römische Hauptmann unter dem Kreuz, der sich zu Jesus bekannte, "als er ihn so sterben sah" (Mk 15,39). Und man hat noch nicht aufgehört, an Gott zu glauben, wenn man an Gottes Schweigen in der Gewalt der Menschen verzweifelt, so wie Jesus am Kreuz (Mk 15,34). Aber eines darf man nicht: Menschen mit Gott in die Hölle schicken sowie menschliche Höllen und Katastrophen diesem Gott in die Schuhe schieben. Wer das tut, hat den Gott Jesu verleugnet, auch wenn er ihn im Munde führt. Wer das tut, lebt über die Verhältnisse, von denen die Kirche lebt.

Bescheidenheit, nicht Selbstgerechtigkeit

Deshalb ist die kirchliche Alternative der Gegenwart nicht jene des 19. Jahrhunderts, nicht die fatale Alternative von Liberalismus und Dogmatismus, mit dessen Absage an Begründungszwang, dessen Relativierung der Menschenwürde, dessen totalitärer Identifikation von Religion und Politik. Die kirchliche Alternative ist Bescheidenheit oder Selbstgerechtigkeit. Die Bescheidenheit gehört zu den Zumutungen, ohne die es keinen Glauben gibt, die Selbstgerechtigkeit aber setzt sich erhaben über diese Zumutungen. Es gibt keine Authentizität des Christlichen jenseits der Liebe zu den Menschen von heute. Das macht nicht mächtig, das macht ohnmächtig. Dieses Verhältnis, von dem die Kirche lebt, erfordert Umkehr von den Christen, weil es auf die Umkehr bei den Menschen hofft. Wer nicht auf die Stärken von Menschen setzt und glaubt, sie vorrangig an ihren Schwächen packen zu sollen, lebt über seine christlichen Verhältnisse.

Wenn die Kirche aus der Krise lernt, aufzuhören, das zu tun, dann hat sie eine Chance. Einen Rettungsschirm wird es für sie nicht geben. Den benötigt sie aber auch nicht, wenn sie von ihrem Glauben an das Evangelium, von der Liebe Gottes, das der Jude Jesus sie gelehrt hat, lebt. Das bedeutet Umkehr, Aufmerksamkeit, Solidarität. Es muss sich zeigen, wer in der Kirche dazu in der Lage ist. Wir hoffen auf alle.

* Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie in Graz, Hans-Joachim Sander ist Professor für Dogmatik in Salzburg

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