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50 Jahre musikalische Entdeckungen.

Manchmal gelingen auch Musikkritikern "geflügelte Worte". 1976 wurden in München "die seltsamsten Wiener der Welt" entdeckt. So nannte der Kritiker der Süddeutschen Zeitung den Wiener "Concentus Musicus". Den reisenden Originalklang-Propheten gefiel die Bezeichnung offenbar so gut, dass sie nun auch zum Titel der Jubiläums-Schrift wurde. Vor 50 Jahren, im Herbst 1953, begannen sie in der Stille zu arbeiten, zu forschen und zu streiten: überwiegend junge Mitglieder der Wiener Symphoniker, als deren Antreiber und Inspirator wohl Nikolaus Harnoncourt von vornherein unbestritten war. Sie suchten nach ihrem Klang-Ideal und den passenden Instrumenten - wobei die opfervolle Jagd auf Geigen, Gamben, Hörner aus dem frühen 18.Jahrhundert den jungen Musikern eine wahre Besessenheit abverlangte.

Sobald sie sich nach einigen "anonymen" Auftritten offiziell deklariert hatten und einen regelmäßigen Konzertbetrieb begannen, waren sie auch heftiger Diskussion ausgesetzt. Denn es gab ja schon andere Originalklang-"Schulen". Bald bildeten sich nach Wiener Tradition Parteien. Ähnlich den Kämpfen zwischen Wagner und Hanslick, Brahms und Bruckner stritten sich aber nicht die vermeintlichen Anführer, sondern ihr (zuweilen ungebetener) Anhang.

Anderswo fanden die Neuerer aus Wien unbefangene Aufnahme. Regelmäßige Produktionen bei Radio Bremen lockten nicht nur speziell interessierte Studenten an. Sie führten auch zur Bildung einer Art "Concentus-Klub": Honoratioren der Freien Hansestadt machten sich eine Ehre aus der Mitgliedschaft: "Niemand von uns musste im Hotel wohnen", schreibt der langjährige Fagottist des Ensembles, Milan Turkovi´c.

Die Heimat hatte bald eine Rivalität mit Karajan herausgefunden: Der würde nie den Jüngeren in Salzburg zulassen. Dieser hatte allerdings inzwischen - mit und ohne Concentus - so viel zu tun, er dominierte ein so wunderbares Festival wie die Grazer "Styriarte", dass er warten konnte. Aber auf Karajan folgte in Salzburg ein kleiner Machthaber, mit dem es schon gar nicht ging. Auch das ist vorbei, Harnoncourt ist in Salzburg so gefragt wie bei den prominentesten Orchestern der Welt. Fern vom "Original-Klang-Repertoire" dirigiert er Werke des späten 19. Jahrhunderts, klassische Operetten und das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.

Aber immer noch mit größter Aufmerksamkeit und Begeisterung seinen "Concentus". Diese "seltsamsten Wiener der Welt" müssen wohl etwas entwickelt haben, was zum Musizieren immer taugt: Stetes Fragen, Zweifeln, Forschen, größte Disziplin. Die Mezzosopranistin Marjana LipovÇsek vermisste indessen bei den Musikern "manchmal das glückliche Lächeln zurück. Jeder scheint so konzentriert auf sein Instrument, dass kein Lächeln, kein Witz übrigzubleiben scheint".

Die seltsamsten Wiener der Welt

Nikolaus Harnoncourt und sein Concentus Musicus. 50 Jahre musikalische Entdeckungsreisen.

Von Monika Mertl und Milan Turkovi´c

Residenz Verlag, Salzburg 2003

294 Seiten, geb., e 30,70

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