Klassiker moderner Theologie

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Am 30. März jährt sich Karl Rahners Todestag zum 30. Mal. Vieles aus dem Denken des Konzilstheologen ist heute selbstverständlich geworden.

Ja, immer noch bekommen Zeitgenossen feuchte Augen, wenn sein Name fällt: Menschen, die seine Predigten gehört haben, seine Vorträge oder Vorlesungen, in Innsbruck, später in München und in Münster. Die ihn erlebt haben in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren, als Georg Sporschill SJ ihn zu obdachlosen Jugendlichen in der Blindengasse im 8. Wiener Gemeindebezirk holte - ihn, den weltweit bekannten Theologieprofessor, den tätowierte, alkohol- oder drogenkranke Jugendliche faszinierten, und der Respekt hatte vor Seelsorgern und anderen Idealisten, die sich der Gestrandeten annahmen. Hatte er Termine in Wien, zog er eine Übernachtung im Jugendhaus der Caritas dem Hotel oder der Jesuitenzentrale am Ignaz-Seipel-Platz vor.

Karl Rahner (4. März 1904 - 30. März 1984) lässt nicht kalt. In Freiburg geboren, Jesuit seit 1922, Dogmatikprofessor, in Innsbruck gestorben … Ist nicht längst alles gesagt? Vieles aus seiner Theologie ist so selbstverständlich geworden, dass sein Name gar nicht mehr genannt oder dazugesagt wird. Ihm wäre das gar nicht unrecht. Rahner gehörte noch einer Generation an, die nicht autobiografisch versessen war und pedantisch aufs Copyright schielte.

Lebenslänglich blieb er dem Wiener Erzbischof, Kardinal Franz König (1904-2005), verbunden, der ihn als Berater mit aufs Konzil nahm (1962/65) - gegen den Widerstand mancher, die in dem Jesuitenprofessor eine Gefahr für Kirche und Theologie sahen. Die beiden kannten sich seit August 1937, als König die Vorlesungen Rahners auf den Salzburger Hochschulwochen repetierte, die 1941 als "Hörer des Wortes“ erschienen.

Komplexes Argumentieren und Erkennen

30 Jahre nach seinem Tod trennt uns eine ganze Generation von Karl Rahner. Erinnerungen verblassen, das Œuvre bleibt. Was zählt davon? Seit 2009 gibt es die "Rahner Lecture“ in München. Heuer, am 25. April, wird Karl H. Neufeld SJ, der ehemalige Leiter des Karl-Rahner-Archivs, das 2008 von Innsbruck nach München transferiert wurde, sprechen: "Wie, tickt‘ Karl Rahner?“ Die Frage kommt salopp daher. "Zu umgangssprachlich“, bekam ich schon zu hören. Aber wie Rahner denkt, wie er argumentiert, woher seine Anregungen kommen, aus welchen Quellen er schöpft - all das ist längst nicht so klar, wie es da und dort zu finden ist. Theologisches Argumentieren und Erkennen ist bei Rahner meist komplexer, als es seine Vereinfacher oder Epigonen darstellen.

Immerhin: Die "Sämtlichen Werke“ stehen in der Zielgeraden - allein 2013 sind drei (bzw. fünf) Bände erschienen: 7, 21/1, 21/2, 22/1a, 22/1b - das sind 25 Zentimeter im Regal. Es fehlen nur mehr drei Bände (1, 5, 32). Die Edition wächst. Die Bedeutung Karl Rahners auch? Nur Kurzsichtige fragen: "Was bleibt?“ Andererseits stimmt: Rahner hatte keine Chance bei den Universitätsreformen der letzten Jahre. Er ist dem Modularisierungsterror des Bologna-Prozesses zum Opfer gefallen, wenn er nicht vorher schon als "zu schwer“, "zu umständlich“, "zu wenig vermittelbar“ galt.

Dazu kontrastiert der nach wie vor anhaltende Erfolg des "spirituellen Rahner“: des Autors etwa von "Worte ins Schweigen“ (1938), Von der Not und dem Segen des Gebetes“ (1949), "Kleines Kirchenjahr“ (1954) - Schriften, die nach wie vor gelesen werden. Diese existenziellen Texte, teils vor 70 Jahren entstanden, faszinieren nach wie vor. Von wie vielen theologischen Autoren kann man das sagen, abgesehen von Augustinus, Thomas von Aquin und anderen Klassikern? Karl Rahner ist in einem Atemzug mit solchen theologischen Titanen zu nennen.

Er selber hat sich dagegen gewehrt, in einen "wissenschaftlichen“ und einen "frommen“ Rahner aufgespalten zu werden. Er konnte es aber nicht verhindern. Auch der "kirchenpolitische“ Rahner, der Vorgänge in der Kirche kommentiert, ist nicht ein anderer Rahner. Es ist derselbe Theologe, der auch "schwere Kost“ zumutet und Kollegen auf die Palme brachte, wenn er in unendlichen Windungen ein Problem umkreiste, auf neuscholastische Argumentation abklopfte, auf Traditionsverbundenheit und -tauglichkeit untersuchte - um am Ende einen Weg zu weisen aus dem ewigen Dilemma: Wie das Alte neu sagen - so, dass es heute verstanden wird? Ausdrücke wie "Natur“, "Fleisch“, "Geist“, "Wesenseinheit“, um die auf Konzilien gerungen wurde: Wie sind sie heute auszudrücken? Wer versteht sie (noch)? "Ich habe immer Theologie betrieben um der Verkündigung, um der Predigt, um der Seelsorge willen“ - das ist nicht nur so dahingesagt im Interview (1980). Rahner meinte, was er sagte.

Wer zitiert Rahner? Und was? Und wie? Wem ist er nützlich und warum? Wer so viel geschrieben hat, muss oft als Stimmzettel herhalten für ganz andere Interessen und Ideen, die nicht die seinen waren, wird nolens volens zum Parteigänger, bestätigt oder kritisiert. Aus dem Zusammenhang gerissen, kontextlos gelesen, wird einer so zum Gewährsmann für alles und nichts. Rahner als Steinbruch.

Neue Bände der "Sämtlichen Werke“

Die Klassiker "Worte ins Schweigen“ und andere Schriften finden sich, neben Artikeln, Predigten, Betrachtungen und Meditationen sowie einigen Kurztexten nun wieder in Band 7 der "Sämtlichen Werke“, dem ersten von drei Bänden aus dem Jahr 2013. Wie stark Dogmatik eine Rolle spielt, zeigt Band 22/1, der in zwei Teilbänden als 22/1a und 22/1b erschienen ist. Zusammen mit Band 22/2 (2008) zeigt sich hier, welchen Stellenwert umfangmäßig systematische Texte Rahners zu Christologie, Gotteslehre und anderen theologischen Themen einnehmen: dogmatische Knochenarbeit, eine Vielfalt, die seine Flexibilität und seinen Tiefgang zeigen - und seine Qualität.

Kurz nach Erscheinen der Konzilsbände von Joseph Ratzinger, mit dem er auf dem II. Vatikanum harmonisch zusammenarbeitete, sind letztes Jahr auch sämtliche konzilsrelevanten Texte Rahners in Band 21 (21/1, 21/2) erschienen: Texte, die vor, während und nach dem Konzil entstanden sind - ein beeindruckendes Zeugnis für Rahners selbstlose Mitarbeit am wichtigsten kirchenpolitischen Ereignis des 20. Jahrhunderts. Nicht nur Franz König, auch Julius Döpfner und andere Bischöfe und Kardinäle, ja ganze Bischofskonferenzen, nahmen seine Dienste in Anspruch.

Eine Prognose wage ich: Karl Rahner ist erst im Kommen! Eine eigene Rahner-Schule gab es nie. Viele seiner Doktoranden sind in wichtige Positionen gekommen. Nicht alle, die sich als Assistenten in Pflicht nehmen ließen, sich als Sekretäre oder Fahrer anboten oder aufdrängten, haben es Rahner gedankt. Er forderte viel, er förderte aber auch. Er nutzte aus - und ließ sich ausnutzen. Mit manchen Situationen kam er nicht zurecht. Sie wuchsen ihm über den Kopf. Es gibt auch den hilflosen Rahner.

Punktgenau zum 30. Todestag ist das Karl Rahner-Lesebuch neu aufgelegt worden, das der heutige Kardinal Karl Lehmann, von 1964 bis 1968 Rahners Assistent, und Albert Raffelt 1979 erstmals herausgegeben haben. Der Band bezeugt den Reichtum der Stile und Gattungen: Einweisung in christliche, gläubige Existenz. Standpunkte sind gefragt. Karl Rahners Theologie hilft dabei. Das bleibt - auch noch in 100 Jahren.

Der Autor leitet in München das Karl-Rahner-Archiv und ist Mitherausgeber von Rahners bei Herder aufgelegten "Sämtlichen Werken“. Außerdem ist er Chefredakteur der Monatschrift "Stimmen der Zeit“

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