Kleider machen Zeiten

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Eine Modenschau der historischen Art zeigt das Wien Museum: „Großer Auftritt – Mode der Ringstraßenzeit.“ Die Ausstellung zeigt, wie sich Wienerinnen und Wiener von 1860 bis 1910 gekleidet haben und dokumentiert den Wandel von Zeiten und Schönheitsidealen.

Mode hat heutzutage etwas Spielerisches, über das man sich jederzeit hinwegsetzen kann. Ja, wer allzu sehr auf Mode bedacht ist, läuft Gefahr, zur Witzfigur erklärt zu werden. In jener Epoche, die man heute Ringstraßenzeit nennt, war die richtige Kleidung in den gehobenen Kreisen hingegen existenziell. Um den Regeln zu entsprechen, musste man sich mehrmals am Tag umziehen. Es gab Vormittags- und Nachmittagskleider, Visitenkleider für den Besuch, Teekleider für den Five o’clock-Tea, sogenannte Turftoiletten für den Rennplatz, Promenadenkleider für den Spaziergang und auf den jeweiligen Anlass abgestimmte Abendkleider. Nur Exzentriker aus dem Hochadel konnten es sich leisten, darauf zu pfeifen – alle anderen, die den ungeschriebenen Gesetzen des guten Geschmacks nicht folgten, wurden automatisch zu gesellschaftlichen Außenseitern. „Man darf anders denken als seine Zeit, aber man darf sich nicht anders kleiden“, schrieb die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach damals.

Keine „Mei, wie schön“-Schau

Die Ausstellung „Großer Auftritt – Mode der Ringstraßenzeit“ im Wien Museum zeigt, wie sich die Wiener und Wienerinnen in der Zeit von 1860 bis 1910 gekleidet haben. Obwohl prächtige Ballkleider und exaltierte Hüte präsentiert werden, ist es keine „Mei, wie schön“-Schau, sondern sie setzt die damalige Mode in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext. Mit insgesamt 22.000 Kleidungsstücken ist die Modesammlung des Wien Museums eine der umfangreichsten Textilsammlungen Europas. Erstmals seit Langem werden Objekte daraus wieder im Haupthaus gezeigt, wenige Gehminuten entfernt vom wichtigsten Laufsteg der Wiener Belle Époque, wo tout Vienne seine schönsten Kleider ausführte, dem Abschnitt der Ringstraße zwischen Schwarzenbergplatz und dem, nach einem Galanteriewarengeschäft benannten Sirk-Eck. Das dazugehörige berühmte Gemälde von Maximilian Lenz (Sirk-Ecke, 1900), das in so gut wie jedem Buch über jene Epoche abgebildet ist, wird übrigens in der Ausstellung gezeigt; es befindet sich im Besitz des Museums.

Übertriebene Maßlosigkeit

Die damalige Herrenmode war sachlich, unauffällig und funktionell, entsprechend den bürgerlichen Tugenden Verzicht und Sparsamkeit: einförmige dunkle Kleidung mit weißem Hemd und Krawatte. Ganz anders die farbenfrohe, überladene Damenmode: Zum letzten Mal in der Modegeschichte waren Übertreibung und Maßlosigkeit das entscheidende Kriterium; alle späteren Modewellen waren von Reduktion und zunehmender Sichtbarkeit des weiblichen Körpers bestimmt. Aufgrund der Rüschen, Falten und Verzierungen verbrauchte eine Luxusrobe des späten 19. Jahrhunderts zumindest dreimal so viel Stoff wie ein glatt fallendes Abendkleid des 20. Jahrhunderts. Ein absolutes Muss war die Wespentaille, die durch eng geschnürte Korsette erzeugt wurde. Die Atemkapazität von Korsettträgerinnen war um ein Drittel reduziert, Frauen mit Korsett konnten sich nicht bücken, Ohnmachtsanfälle waren an der Tagesordnung. Welche Auswirkungen das zu feste Schnüren haben konnte, zeigt die Wachsmoulage einer Leber mit einer sogenannten Schnürfurche aus dem Pathologisch-Anatomischen Bundesmuseum.

Neue Strömungen in der Damenmode

Mit der Kritik am Korsett und dem Kampf gegen das gesundheitsschädliche Schnüren setzte auch einen neue Strömung in der Damenmode ein: Die voluminöse Unterwäsche – die bis zu zwei Kilo wog – und Oberbekleidung wichen zunehmend bequemerer Kleidung. Die aufkommenden Massensportarten beschleunigten diese Entwicklung, die freilich mit großen Widerständen konfrontiert war: Fahrradfahrerinnen in Hosen sorgten für Aufläufe und wurden mitunter sogar tätlich angegriffen. Zugleich wandelte sich das Schönheitsideal. Mit dem aufkommenden Jugendstil wurden die bislang hoch geschätzten üppigen Körperformen von schlanken Silhouetten verdrängt. Die ideale Kleidergröße sank abrupt von 44 auf 38 – der heute noch herrschende Schlankheitswahn war geboren.

Großer Auftritt – Mode der Ringstraßenzeit

Wien Museum, bis 1. November 2009 www.wienmuseum.at

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