K(l)eine Chance für Österreich

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Österreich tritt als klarer Außenseiter bei der EM an. Doch so schlimm ist das alles nicht. Eine streng wissenschaftliche, aber nicht ganz ernste Betrachtung von Thomas Mündle.

Zahlen können brutal sein: So wird Österreich zurzeit in der Fußball-Weltrangliste auf Platz 101 geführt - und liegt damit zwar noch vor Tansania (102) und Benin (103), aber hinter Gabun (99) und Algerien (100). Zum Glück spiegelt das aktuelle Fifa-Ranking bloß die Vergangenheit wider: Siege und Niederlagen werden hier historisch fein säuberlich festgehalten. Was die Zukunft - und konkret: die EURO 2008 - genau bringen wird, liegt im Dunkeln. Nicht einmal die Wissenschaft kann hier Auskunft geben - wobei sie doch einige Erkenntnisse aus der statistischen Analyse von Fußballspielen gewonnen hat, die gerade auch Österreich Anlass für ein wenig mehr Hoffnung geben können.

So gibt es einen vielfach belegten Heimvorteil. Bernd Strauß, Sportpsychologe an der Universität Münster, hat dafür eine recht triviale Erklärung parat: "Die Heimmannschaft wird immer parallel zu den stärksten Mannschaften gesetzt. So kann man nicht schon am Anfang auf die schwersten Gegner treffen." Die Vorrundenspiele sind für Österreich also vergleichsweise leicht. Die Betonung liegt selbstverständlich auf "vergleichsweise". Österreichs Elf muss immer noch stärker als die anderen - auch nicht so schlechten - Teams spielen.

Sollte es in den Partien knapp werden, kommt dem rot-weiß-roten Team ein anderer Heim-Bonus zugute: Schiedsrichter bevorzugen systematisch die Heimmannschaft, wie Martin Kocher (Universität München) und Matthias Sutter (Universität Innsbruck) gezeigt haben. Die beiden Ökonomen haben sich dazu zwei Schiedsrichter-Entscheidungen in der Deutschen Bundesliga genauer angeschaut: Die Nachspielzeit und den Elfmeter. Wenn das Heimteam ein Tor vorne liegt, pfeift der Schiri im Schnitt 40 Sekunden früher ab, als wenn die Heimmannschaft ein Tor hinten liegt. Mittlerweile wurde der Effekt in anderen Ländern bestätigt: In der Spanischen Liga etwa wurde gar ein Unterschied von zwei Minuten gemessen. "Doch die Verlängerung hat selten eine Auswirkung auf den Ausgang eines Spiels", ergänzt Kocher. Aber ein Elfmeter mehr oder weniger macht einen beträchtlichen Unterschied. Tatsächlich urteilt der Unparteiische auch hier ziemlich parteiisch: 80 Prozent der Elfmeter, die hätten gegeben werden müssen, werden für die Heimmannschaft auch gegeben; die Auswärtsmannschaft hingegen bekommt nur 50 Prozent der Elfmeter zugesprochen. (Für die Einschätzung, ob ein Elfmeter hätte gepfiffen werden müssen, verließen sich die Ökonomen auf das Urteil in einem Fußball-Fachmagazin.)

Die Gründe, warum Schiris - offensichtlich unbewusst - für die Heimmannschaft pfeifen, werden kontrovers diskutiert. Mikael Priks (Universität München) und Per-Pettersson Lidbom (Universität Stockholm) behaupten etwa, dass die Objektivität des Schwarzen unter dem sozialen Druck, den die Zuschauer auslösen, verloren geht. Zum Beweis haben die beiden Ökonomen eine ungewöhnliches Ereignis in der Italienischen Liga genutzt: Aufgrund von gewalttätigen Ausschreitungen in den Stadien mussten letztes Jahr einige Mannschaften ihre Spiele vor leeren Tribünen austragen.

Leichte Strafe für Heimspieler

Das Ergebnis: Die Schiris bestrafen auswärtige Spieler schwerer und Heimspieler leichter, wenn das Stadium gefüllt ist, als wenn es leer ist. Andere Wissenschafter wiederum haben argumentiert, dass der Heimvorteil auch dadurch zustande komme, dass auf eigenem Territorium aggressiver gespielt werde. Als besonders aggressiv gelten auch Mannschaften, die - wie etwa Österreichs Nationalteam! - in roten Dressen spielen. Ob sie damit den Gegner das Fürchten lehren oder den Schiedsrichter beeindrucken, darüber streiten sich freilich die Experten. Fakt ist, dass (englische) Fußballteams, die in roten T-Shirts spielen, öfters Meister wurden, als das rein statistisch zu erwarten gewesen wäre. Darüber hinaus erzielten rote Teams über alle Spielklassen hinweg bessere Ergebnisse in ihren Heimspielen - wie die Biologen Robert Barton und Martin Attrill kürzlich in einer Studie bewiesen (Journal of Sports Science, 6.4.2008).

Doch sollte man die genannten Vorteile keinesfalls überbewerten, weil sonst ein anderer Faktor zum Tragen kommt, der den Erfolg der Nationalmannschaft zunichte macht: "choking under pressure" - zu Deutsch: Ersticken unter Druck - nennen es die Sportpsychologen, wenn die Erwartungen zentnerschwer auf den Schultern der Spieler lasten. Bernd Strauss nennt ein Beispiel: "Wenn Österreich im Finale gegen die Schweiz in Wien spielt, werden sie wahrscheinlich dem Druck nicht standhalten und völlig versagen." Sehr wahrscheinlich wird es dazu nicht kommen. Die besten Propheten unserer Zeit - die Buchmacher - setzen nicht auf Rot-Weiß-Rot. Anders als Astrologen oder Zukunftsforscher werden die Buchmacher nicht allein dafür bezahlt, dass sie Prognosen machen. Ihre Voraussagen müssen so präzise sein, dass sie Kapital daraus schlagen können - das macht sie letztlich sehr glaubwürdig. Um die realen Gewinnchancen der Österreicher zu berechnen, hat Christoph Leitner, Statistiker an der Wirtschaftsuniversität Wien, die Quoten von 45 internationalen Wettanbietern zusammengefasst. Das ernüchternde Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, den Titel zu holen, liegt bei mageren 1,3 Prozent. Kommentar Leitner: "Als Fußballfan hoffe ich natürlich, dass sich die Zahlen nicht bewahrheiten."

Hoffen darf man natürlich. Und falls Österreich doch (zu) früh ausscheidet, bleibt ein letzter Trost: In Deutschland stieg die Zahl der Herzattacken während der letzten WM um das 2,7-Fache. Besonders gefährlich war das Viertelfinale Deutschland gegen Argentinien, das erst im Elfmeterschießen entschieden wurde.

Selbst schuld, wenn man das Ganze so ernst nimmt.

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