Kletter-Show im Eispalast

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Die breite Masse hört den Berg rufen. Nur die junge Kletterelite lauscht, wie Eisfälle flüstern – und pilgert zum Eiskletterfestival nach Kandersteg.

Mehr als 30.000 Zuschauer im Zielraum, Hunderte von Fans an der Strecke und Tausende vor den Fernsehbildschirmen zu Hause. Adelboden stand am vergangenen Wochenende im Blickpunkt der alpinen Sportwelt. Kaum jemand schielte dabei ins nahegelegen Bergdorf Kandersteg. Schade.

Hier traf sich die die Eisklettergemeinde am „Ice Climbing Festival“ zu einem internationalen Stelldichein. Und das, fast gänzlich unbemerkt von der Öffentlichkeit. Zu stören scheint es die Eiskletterer nicht. Randsportler wissen, wo sie stehen. In Kandersteg, zuhinterst im Tal, nur von Felswänden und Eisfällen umgeben. Bei dichtem Nebel und minus zehn Grad pilgerten 50 Eiskletterer und rund fünfhundert eingefleischte Kletterfans ins 1200-Seelen-Dorf. Ein Rekord, betont der Veranstalter. Vor zehn Jahren startete das Ice Climbing Festival mit einer Handvoll Leute. Heute zieht es einige der weltbesten Eiskletterer an.

Elegante Skihäschen oder Champagner nippende Jetset-Ladys sucht man im Publikum vergebens. Bratwurst und Punsch, Steigeisen und Thermounterwäsche dominieren die Szene. Man zeigt sich hip, jung, aber geerdet. Wer eisklettert, bleibt auf dem Boden – wenigstens mit dem Charakter. Der Rest ist Formsache – und dabei gehörte ein Österreicher in Kandersteg zu den Besten. Albert Leichtfried belegte hinter dem Spanier Israel Blanco und dem Schweizer Patrik Aufdenblatten den dritten Rang. Dopingproben gab es nach der Siegerehrung keine. „Wir sind ein kleiner Kreis von Spitzenkletterern und ich bin überzeugt, dass alle sauber sind. Die Preisgelder bei Kletterevents sind so niedrig, dass man damit nicht einmal die Medikamente zahlen könnte“, erklärt der 33-jährige Lanser.

Heiratsantrag mit einer Eisfallerstbegehung

Albert Leichtfried ist in der Eiskletterszene kein Unbekannter. Der ehemalige Juniorenweltmeisterschaftsdritte im Slalom konzentriert sich seit Jahren erfolgreich auf den Klettersport. Den „Boulevard of broken dreams“, das „Doppelleben“ oder den „Sound Garden“ hat er bezwungen. Alles Namen, der von Leichtfried erstbegangenen Eisfälle. Mit der Erstbegehung von „Marry me?“, einem Eisfall in Island, formulierte er 2007 seinen Heiratsantrag an seine heutige Frau Vroni. Klettern wurde zur Liebe. Doch geht nach hunderten erklommenen Eisfällen und zahlreichen Weltcup-Topplatzierungen nicht die Herausforderung und der Reiz verloren? „Nein, denn Eis ist nie gleich. Die Formen sind immer wieder andere; faszinierend und wunderschön. Als Kletterer hinterlässt man auf dem Eis keine Spuren. Die Natur bleibt unberührt. Dazu kommt das Adrenalin; der Drang, die eigenen Grenzen zu verschieben. Und wenn du merkst, dass deine persönlichen Grenzen die generellen sind, ist das mehr als nur eine Bestätigung.“

Das Klischee der jungen und wilden Klettergeneration stimmt nur beschränkt. „Junge und wilde Athleten gibt es in jeder Sportart. Der Kontext, das Material, die Technik und Trainingsangebot haben sich seit Reinhold Messners Zeiten stark verändert. Früher beschäftigten sich nur Extrembergsteiger mit Eisklettern. Heute ermöglichen präparierte Eiswände und eine moderne Ausrüstung auch dem Breitensportler den Zugang zum Sport. Die Spezialdisziplin ist zu einer eigenen Sportart geworden. Der zentrale Punkt ist der gleiche geblieben: Die eigenen Grenzen auszuloten.“

An einen bodenständigen Bergsteiger erinnert kein Einziger der Wettkämpfer in Kandersteg. Vollbärte und klobige Bergschuhe sucht man vergebens. Jungenhaft wirken die Gestalten, die sich übers Eis der Felswand emporziehen. Wie feingliedrige Spinnen; die vorsichtig ihre Beine ausstrecken um dann blitzschnell weiterzuklettern. Es ist kein harmonisches Naturerlebnis, sondern der harte Wettkampf. Die Zeit ist limitiert und die Konkurrenz lauert. Die drahtig muskulösen Körper scheinen am Eis zu kleben. Leicht, fast schwerelos wirken die Bewegungen. Elegant und furchterregend. Turnen am Berg in extremis. Geschmeidig und explosiv.

Eisklettern fordert auch die Zuschauer

Kälte und Schnee scheint an den Eismenschen abzuprallen. „Sobald ich klettere, spüre ich die tiefen Temperaturen nicht mehr“, gesteht der spanische Sieger Israel Blanco. Bei minus zehn Grad meistert er im Hawaii-T-Shirt die Eiswand als Schnellster. Schwerfällig und fröstelnd wirken nur die Zuschauer. Eingepackt in dicke Daunenjacken, die Wollmützen tief in die Stirn gezogen und das Punschglas umklammernd, verfolgen sie das Spektakel. Die meisten sind selbst Kletterer. Doch am Boden werden die tiefen Temperaturen auch für sie zum Härtetest. Die Kälte sitzt in den Knochen. Eisklettern fordert auch die Zuschauer.

Albert Leichfried sucht alle zwei bis drei Jahre eine Grenzerfahrung – so wie Anfang Jänner bei der Erstbegehung einer 300 Meter langen Eislinie im österreichischen Gasteinertal. „Eine Erstbesteigung kann Jahre oder auch nur Stunden dauern. Manchmal beobachtet man einen Eisfall während einer Dekade und nie stimmt die Temperatur, das Eis und das Wetter, um das Abenteuer zu wagen.“ Der gelernte Bergführer sah, wagte und gewann – obwohl die Eisschicht teilweise nur wenige Zentimeter dick war. Ein Kampf gegen die eigenen Grenzen. Sich abzusichern war oft nur schwer möglich. Ein Sturz wäre fatal gewesen. Ein Hochgefühl aus Glück, Adrenalin, Können und Respekt vor der eigenen Leistung und dem Eis.

Doch nicht alle Eiskletter lassen sich auf solches „Glatteis“ führen. Die Schweizerin Petra Müller betreibt Eisklettern nur als Wettkampfsport, das heißt an präparierten Wänden oder vereisten künstlichen Konstruktionen. Der Schwierigkeitsgrad ist an solchen Wänden einfacher zu definieren als bei einem gefrorenen Wasserfall. Die Sicherung ist garantiert, das Risiko kalkulierbarer. Seit 1999 finden an solchen Objekten Weltcupveranstaltungen statt. Und auch hier boomen die Teilnehmerzahlen. Sie haben sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Und auch in Zukunft sollen die Zahlen steigen. Die UIAA (International Mountaineering and Climbing Federation) möchte in den einzelnen Ländern die Wettbewerbe fördern und Eisklettern schlussendlich zu einer Olympischen Disziplin machen.

An Olympia denkt in Kandersteg niemand. „Für mich ist Eisklettern reiner Spaß“, betont Petra Müller, Vize-Weltmeistern im Schwierigkeitsklettern und zweifache Mutter. „Mich zu bewegen und meine eigenen körperlichen Grenzen zu kennen, macht für mich den Reiz des Sportes aus“. Nur drei Minuten haben die sechs Finalistinnen, um den Final Parcours zu meistern. Ein Rennen gegen die Uhr, gegen die Konkurrenz und die Tücken des Eises. Petra Müller hat dabei nicht nur Spaß, sondern auch Erfolg. Sie gewinnt den Wettkampf zum vierten Mal.

Güte jedes Eisfalls professionell beurteilen

Investiert wird das Preisgeld von 500 Euro weder in eine Eisfallbesteigung noch eine Erstbegehung. Eisklettern an Eisfällen ist der 35-Jährigen zu riskant, das spezialisierte Wissen über die Materie Eis fehlt ihr. Jeder Eisfall muss professionell beurteilt werden. Temperaturschwankungen können Spannungen auslösen. Das Eis kann brüchig oder spröde werden. Der Kletterer muss den Lebenslauf des Eisfalles kennen und das Risiko abschätzen. Dazu braucht man nicht nur ein feines Händchen, sondern auch ein gutes Ohr. „Man hört beim Einschlagen des Pickels, was das Eis für eine Konsistenz hat“, betonen die Kletterexperten. In Kandersteg haben diese Arbeit die Organisatoren übernommen. Nur einwandfreies Eis wurde an der Felswand belassen. Den Rest entfernten sie.

Unter Versicherungen gilt Eisklettern als Risikosport. Genaue Zahlen oder Statistiken fehlen jedoch bislang als Beweis. In der Bergunfallstatistik 2005 des Deutschen Alpenvereins werden nur sechs Prozent aller gemeldeten Kletterunfälle dem Eisklettern zugeordnet. Eine Umfrage unter Eiskletterern zeigt, dass es sich bei Verletzungen oft um Kleinigkeiten handelt. Blutergüsse, offene Wunden, Erfrierungen. Solche „Lappalien“ lassen die Eiskletterer in Kandersteg kalt. Nach dem Klettern folgt die große Party bis in die Morgenstunden. Die Skifans in Adelboden schielten neidisch nach Kandersteg. Der Riesenslalom wurde wegen Nebels abgesagt.

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