Klick, klick und schon fallen die Köpfe ...

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Eigentlich beginnt die Geschichte von Paul und seinem Teddybären auf der CD-ROM ganz harmlos ...

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Eigentlich beginnt die Geschichte von Paul und seinem Teddybären auf der CD-ROM ganz harmlos ...

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Weißt du, ich hab' mich hinter dem Baum versteckt und zwischen den Blättern durchgeschaut. Plötzlich hat's dann geknallt und die drei Männer waren tot. Da war alles so blutig", erinnert sich Alexander. "Als wir damals am 6. Juni in Frankreich waren, hat mich mein Freund durch seinen Feldstecher schauen lassen. Ich sag' dir, es war alles zerbombt", weiß Felix noch.

Erzählungen von Kindern aus dem ehemaligen Jugoslawien? Alte Kriegsgeschichten der Großväter? Nein. Diese brutalen Erlebnisse stammen aus einer ganz anderen Quelle: Keine direkt Betroffenen sind es, die diese Geschichten berichtet haben. Auch keine Augenzeugen - oder zumindest nicht direkt. Vor ihren Computer-Bildschirmen sind sie gesessen. Mit der CD-ROM "1944 - Operation Teddybär" waren Alexander, Felix und Pauli beim Krieg live dabei, sie waren quasi mitten drin'. Mitten drinnen in der Normandie, am5. Juni 1944: Die Geschichte auf der CD-ROM handelt von einer Gruppe französischer Widerstandskämpfer, kurz vor ihrer Entdeckung. Es gelingt ihnen, geheime Dokumente im Teddybären des 12jährigen Paul zu verstecken. Zu Hause in Paris soll der Kleine die Papiere nichtsahnend übergeben. Im Chaos der Bombenangriffe jedoch verschwindet Paul - und mit ihm das wertvolle Kuscheltier ...

Rund drei Stunden Spannung und "einen neuartigen Zugang zu den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges" verspricht die CD-ROM. Ein Mausklick - und Geschichte rund um den D-Day wird zum interaktiven Comic-Abenteuer.

Wozu das? "Multimedia ermöglicht uns zum ersten Mal, daß wir die Bilder in einer selbst gewählten Reihenfolge beherrschen, die Konzentration und Herumstöbern möglich macht." Thomas Feibel erklärt in seinem Buch "Multimedia für Kids: Spielen und Lernen am Computer", warum wir die neuen Medien angeblich brauchen (siehe Buch-Tips).

Der deutsche Journalist und Mitarbeiter an verschiedenen Medienprojekten schreibt unter dem Schlagwort "Was Eltern und Pädagogen wissen müssen" über eine neue Lernatmosphäre und die zahlreichen sogenannten Edutainment-Angebote auf dem CD-ROM-Markt. Er weiß von der Skepsis vieler Eltern und geht auf die zehn stärksten Vorurteile gegen Computer geschickt ein.

In einem seiner Bücher lobt er auch die eingangs erwähnte CD-ROM "1944 - Operation Teddybär". Auf der roten Scheibe zeigt sich ein kuscheliger Teddy im Fadenkreuz. Erst nach dem Öffnen des Programmes am Computer wird einem die Bedeutung dieses Layouts bewußt - das Kind als Zielscheibe von Gewalt.

Exzellente Gestaltung dieser CD-ROM gebündelt mit zahlreichen Navigationsmöglichkeiten und fundiertem Inhalt entlocken dem Autor des Software-Ratgebers die Bewertung: "Ein Glücksfall - muß man haben!" Befinden sich doch auf der hauchdünnen Scheibe über 300 Animationen, Archiv-Bilder, Zeichnungen und Kartenmaterial. Versteckt hinter einer Comic-Erzählung. Der kleine Satz: "Dieses Schicksal ist nichts für empfindsame Gemüter", geht zwischen den Lobeshymnen unter ...

Zerfetzte Gesichter Dabei beginnt die Geschichte von Paul und seinem Teddybären zunächst auch ganz harmlos. Vorerst sind wir nur Beobachter. Zwei kleine Augen, die durch eine beschlagene Scheibe in einen Innenhof blicken. Im Stimmengewirr hören wir plötzlich laute Schreie. Ein kurzes "Klick" - zuerst auf der Computermaus und dann auf dem Bildschirm - und schon fallen die Köpfe dreier Männer. Begleitet von Blutspritzern sollen erzeugen diese Bilder Betroffenheit erzeugen. Klick, klick also. Der Schrei, die Pistolen, das Fallen der Köpfe.

Halt, halt! Nicht die lehrreiche Hintergrundinformation vergessen, bevor Sie schnell weiterblättern, nur weil Sie wissen wollen, was mit dem kleinen Jungen passiert, der das alles miterleben mußte.

Und schon sind wir mitten am Kriegsschauplatz: ein Bauernehepaar hält Paul und seinen Freund in der Scheune versteckt. Als sich die Soldaten nach den beiden erkundigen, verweigern der Mann und die Frau die Aussage. Harte Drohungen in Sprechblasen und dann das nächste Bild: am oberen Rand baumeln die Beine mit bekannten Schuhen der Bauern an den Füßen. Ein kurzer Mausklick und die Soldaten fahren in ihrem Geländewagen zufrieden aus dem Hof.

Grübeln Sie nicht weiter. Wozu auch? Das Auto hat Ihren Bildschirm bereits verlassen. Folgen Sie ihm lieber, sie müssen doch wissen, ob es dem kleinen Jungen gelingt, seine Mutter in Paris zu finden ...

Doch bemühen Sie sich nicht! Auch wenn Sie noch in die Rolle eines Kampfpiloten schlüpfen und mit jedem Mausklick einen Panzer der gegnerischen Armee in die Luft jagen - fliegende Leichen und zerfetzte Gesichter inklusive - am Ende werden Sie nur eines feststellen: Paul ist verschwunden, und sein Teddybär liegt mit einem Bauch voller Pläne der Widerstandskämpfer in den rot-orange züngelnden Flammen.

Holocaust auf CD-ROM In seinem aktuellen "Software-Ratgeber 1998" bewertet Feibel die Programme, ordnet sie nach Sachgebieten und Altersgruppen. In einem Test werden die einzelnen Produkte in den Kategorien Lerneffekt, Benutzerfreundlichkeit und Preisleistungsverhältnis gehörig abgeklopft. So meint er beispielsweise über die CD-ROM "Gegen das Vergessen: eine Dokumentation des Holocaust", daß sie Neugier bei Jugendlichen wecke, die wohl kaum in ihrer Freizeit ein Sachbuch zu diesem Thema lesen würden. "Was sollte daran schlecht sein?", fragte Feibel. Ja, was? Und was soll schon an "1944 - Operation Teddybär" schlecht sein?

Dieser "lehrreichen" Geschichte über Frankreich im Zweiten Weltkrieg wurde immerhin von einer Jury der französischen Multimediamesse ein toller Preis und von Thomas Feibel im Software-Ratgeber "Sechs Mäuse" (Prädikat "ausgezeichnet") verliehen.

Wieso hat man bloß nach der Geschichte von Paul und seinem Teddybären keine Ambitionen mehr, sich auch noch all die anderen, "wahren Berichte und Bilder", also die "vielversprechende Hintergrundinformation" anzusehen??

1944 - Operation Teddybär Hersteller: Flammarion Deutsche Ausgabe: systhema Frankfurter Ring 224 80807 München ISBN 3-634-23207-2, Preis: öS 605,

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