Klimawandel: Die Schrift an der Wand
Klimawandel und Politik: Im Ignorieren aller Sturmzeichen liegt eine verblüffende Parallele.
Klimawandel und Politik: Im Ignorieren aller Sturmzeichen liegt eine verblüffende Parallele.
Was verbindet den Weihnachtsorkan mit den Regierungsverhandlungen? Auf den ersten Blick wohl nichts. Der Unterschied könnte nicht größer sein. Handelt es sich doch um nicht vergleichbare Vorgänge völlig verschiedener Kategorien. Dort ein katastrophales, lautstarkes, zerstörerisches Naturereignis, das halb Europa in Mitleidenschaft zog. Hier im Verborgenen ablaufende, sich hinziehende Verhandlungen zwischen Österreichs bisherigen und, wie man noch immer hoffen darf, auch künftigen Koalitionsparteien. Da soll etwas Gemeinsames sein? Ja, da ist etwas Gemeinsames. So verschieden die Alarmzeichen sind: Die Parallele liegt darin, wie sie ignoriert werden.
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Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger-Fleckl (Chefredakteurin)
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Da war ein großer Sturm. Und dann noch ein zweiter. Solche Windstärken hatte man in Europa noch nie gemessen. Über 100 Menschen starben, in Frankreich war noch nach über einer Woche eine halbe Million Haushalte ohne Strom. Auf den Champs Elysees wurden uralte Bäume entwurzelt. Das tat der Orkan zwar überall, wo er tobte, aber auf den Champs Elysees wollte Frankreich doch alle Feuerwerke der Welt in den Schatten stellen. Das gelang dann sogar. Die Bäume wurden wieder aufgerichtet oder weggeführt, fortgewehte Feuerwerkskörper wurden ersetzt und die Party der vorgezogenen Jahrtausendwende konnte steigen. Wie die Raketen vom Eiffelturm wegzischten, das war auch wirklich sehr schön, das stahl sogar der Pummerin in Wien die Show.
Die Menetekelhaftigkeit des Orkans lag auf der Hand. Zwar wurde zuerst nur von einem unvorhersehbaren Wetterereignis geredet, dann aber doch auch vom Zusammenhang mit dem Klimawandel. Freilich nur in dem einen oder anderen Interview. Ein österreichischer Klimaforscher sagte wissenschaftlich korrekt, beweisbar sei der Zusammenhang nicht, aber die in Kyoto beschlossenen internationalen CO2-Vorgaben seien auf jeden Fall ungenügend. Eingehalten werden sie sowieso nicht. Dann wurde wieder von allem Möglichen geredet und alles Mögliche gezeigt, vor allem der entführte indische Airbus und die Versuche der russischen Armee, das zerbombte Grosny zu erobern. Damit war der Orkan vom Tisch, und mit dem Orkan das ganze lästige CO2-Thema, und mit Orkan und CO2 auch für alle Politiker zwischen Nordkap und Gibraltar die Gelegenheit, sich wieder einmal auf Brüssel auszureden.
Und für die Grünen die Gelegenheit, sich daran zu erinnern, daß sie schon einmal so weit waren, die Unmöglichkeit eines ewigen Wachstums zu durchschauen. Das allerdings ist sehr, sehr lange her.
Nun hat ja längst auch das Klima seine Lobby, und zwar in der Versicherungswirtschaft. Auch sie läßt forschen und ist für neue Risken besonders hellhörig. "Lloyd's List", die Fachzeitschrift der Versicherungswirtschaft, sah schon vor Jahren im Klimawandel den "Hauptfaktor, der die Verluste in die Höhe treibt", und der Meteorologe der "Münchner Rück", des größten Rückversicherers der Welt, sah ebenfalls schon vor Jahren das Risiko von Superzyklonen in Gebieten, in denen man auch heute noch nicht mit Wirbelstürmen rechne. Auch wenn die Computermodelle zu widersprüchigen Prognosen führen: Daß der Mensch gefährliche Prozesse in Gang setzt, deren Folgen weit in die Zukunft reichen, steht außer Zweifel.
Wenn also das Weihnachts-Menetekel der Politik keinen akuten Handlungs- oder wenigstens Denkbedarf signalisiert: was dann? Wenn es kein Grund ist, in Sachen CO2 schneller aktiv zu werden: was dann? Wenn das kein Sachthema ist, das dringend erörtert gehört: was dann? Aber bekanntlich haben alle Politiker zwischen Nordkap und dem Affenfelsen dringenderes zu tun. Da können sie nicht drauf achten, was die aus der Wand wachsenden Arme schreiben.
Doch was hat der Weihnachtsorkan mit den Regierungsverhandlungen zu tun, abgesehen davon, daß diese Verhandlungen hierzulande noch dringender sind als der Blick auf die deutlichen Warnungen an der Wand?
So wie der Weihnachtsorkan zeigen uns auch die Regierungsverhandlungen, daß die Politiker offenbar die Fähigkeit verloren haben, auf Warnungen, auf Menetekel, zu achten. Der Weihnachtssturm: Ein Menetekel für die ganze Menschheit oder zumindest für die Europäer, und damit auch für die Politiker als deren Sachwalter. Eine Warnung, nicht so weiterzumachen mit dem CO2-Ausstoß und mit dem Energieverbrauch. Das Wahlergebnis vom 3. Oktober: Eine Warnung für Österreichs Koalitionspolitiker in ureigenster Sache, so weiterzumachen wie bisher mit ihrer Haxelbeißerei, mit ihrem Partei- ebenso wie mit ihrem ebenso unsympathischen, übertriebenen Egoismus, mit ihren die Zuschauer nur noch langweilenden taktischen Spielchen, ihren durchsichtigen Scheingefechten, mit ihren Lügen und Phrasen, die auch der Wohlwollendste längst durchschaut.
Gerade wenn ihnen das Karrierehemd näher ist als der Menschheitsrock: Diese Warnung vor ihrer eigenen Selbstdemontage, ihrer eigenen dramatischen Demütigung durch einen Kärntner Demagogen, hätten sie längst verstehen müssen. Wenn sie nicht einmal mehr das Menetekel in ureigenster Sache verstehen und adäquat darauf reagieren: Was könnte ihnen das Menetekel eines Orkans noch sagen? Was verstehen, worauf achten sie überhaupt noch? Wenn sie aber so weit sind, keine Warnung mehr zu verstehen und keine Mahnung zu beachten: Ist dann uns noch zu helfen? Denn diese Koalitionspolitiker, ehemalig und zugleich in spe, die sich immer mehr zum Gespött machen, sie sind ja keine österreichische Ausnahmserscheinung. Weit entfernt von allen Idealen, sind sie idealtypisch für Europas staatstragende Kräfte, die kaum einer Verantwortung Last mehr tragen, sich aber fein vom Staat tragen lassen, bestens gebettet, leuchtende Vorbilder einer selbsternannten Elite, die den Egoismus auf ihre Fahnen geschrieben hat. Seit immer mehr Kompetenzen nach Brüssel entschwinden, werden sie zu Teilzeitbeschäftigten, freilich bei übervollen Bezügen.
Doch wie die Natur, so hat auch die Politik ihren "horror vacui": Leere darf es nicht geben, also füllt Leerlauf den Raum, wo einst entschieden wurde. Der Menschentyp, dem das gefällt, der das aushält, der noch nach solchen Positionen strebt, er schaut danach aus.
Beim Propheten Daniel lesen wir, daß bei einem Festmahl des Königs Belsazar eine Menschenhand aus der Mauer kam und die auf verschiedene Weise gedeuteten Worte an die Palastwand schrieb: "mene, mene, tekel upharsin". Gezählt hat Gott deine Tage ... Gewogen wurdest du und zu leicht befunden... Eine biblische Ur-Mahnung, auf Warnungen zu achten. Die Fähigkeit, Vorzeichen gefährlicher Entwicklungen in der Natur wie in der Gesellschaft zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten, zählt zu den ältesten Überlebens-Ressourcen der Kulturen. Geht sie und mit ihr die Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit verloren, ist der Niedergang nicht fern.
Der Autor war lange Zeit Theaterkritiker, Ressortleiter und Autor politischer Kommentare der FURCHE.
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