Klingendes Österreich

Werbung
Werbung
Werbung

Liegt uns die Musik (noch) im Blut? Über Joggen, Blockflöte-Üben und Handy-Werbung. Betrachtungen zum Stellenwert der Musik in Erziehung, Unterricht und Alltagskultur.

Wenn vor 30, 40 Jahren jemand offensichtlich zweckfrei - also nicht Straßenbahn, Hund oder Kind hinterher oder im Rahmen einer Sportveranstaltung - durch die Gegend gelaufen wäre, hätte man ihn vermutlich für "nicht ganz dicht“ gehalten. Wenn heute jemand beim Verrichten seines Tagwerks sänge, damit ihm vielleicht die Arbeit leichter von der Hand gehe, würde man belustigt hin- oder peinlich berührt wegsehen: Hat der wohl noch alle?

Man muss darob nicht in das Klagelied über grassierenden Körperkult und Niedergang der Alltagskultur einstimmen. Aber es ist offensichtlich, dass ein Wandel stattgefunden hat. Wenn vom "Musikland Österreich“ die Rede ist, dann geht es ja nicht nur um Spitzenleistungen, um jene, die an Musikuniversitäten und Konservatorien studieren oder gar schon auf den Konzertpodien und Opernbühnen präsent sind. Die dem vorausgehende Frage ist vielmehr, ob Musik gewissermaßen zur genetischen Grundausstattung dieses Landes gehört, ob sie - gar nicht kitschig gemeint - den Menschen im Blut liegt, von klein auf kultiviert wird, welcher Stellenwert ihr in Erziehung und Ausbildung zukommt.

Zynismus und Verblödung

Eines der besten Studierfelder gesellschaftlicher Entwicklungen stellt die Werbung dar - und hier wieder in besonderer Weise jene der Telekom-Branche. Wie zur Kenntlichkeit verzerrt spiegelt so mancher Handy- bzw. Netzbetreiber-Spot jenes Amalgam aus Zynismus und Verblödung wider, das die Schattenseite moderner pluralistisch-offener Gesellschaften bildet. Vor einigen Jahren schon war in einem solchen Werbespot (im Vorfeld von Weihnachten) ein Mädchen zu sehen, das sich (und seine Umgebung) redlich mit Weihnachtsliedern auf der Blockflöte quälte. Hoffnungslos von gestern, war die Botschaft - wo doch die Musik, noch dazu deutlich flottere, aus dem smarten Phone kommt!

Ja, ist eh in Ordnung. Aber der Subtext verdient doch nähere Beachtung: Wozu sich die Mühe machen, sich selbst etwas anzueignen, zu erarbeiten, Frustrationen und Rückschläge eingeschlossen - wenn doch alles zum Download bereitsteht? Das greift freilich weit über unser Thema hinaus, gilt aber eben auch hier: Das Erlernen eines Instruments, auch das der (Sing-)Stimme, ist mit Arbeit, Zähigkeit und Konsequenz verbunden - natürlich nicht nur im Bereich der sogenannten "klassischen Musik“. Nur zeitgeistige Vulgärpädagogik sieht darin einen Widerspruch zur Freude. Die Forderung freilich, alles Lernen und Üben müsse vor allem "Spaß“ machen, hält den tatsächlichen Erfordernissen des Lebens nicht stand. Sie hat sich indes in vielen meinungsbildenden, lehrenden und lernenden Köpfen so fest eingenistet, dass sie von dort schwer wieder wegzubringen sein wird.

Musizierende und musikaffine Kinder und Jugendliche bilden aber erst den Boden, auf dem die Philharmoniker von morgen wachsen können. So wie generell gilt: Glanzleistungen, Ausnahmeerscheinungen, Sternstunden setzen Alltagskultur voraus. Keine Nobelpreisträger, ohne entsprechende gesellschaftliche Wertschätzung von Wissenschaft und Forschung.

Musik und Religion für den Überbau

Exemplarisch scheint auch der Stellenwert des Musikunterrichts in den Schulen zu sein. Musiklehrer rangieren etwa auf Augenhöhe mit ihren Kollegen in Zeichnen und Religion (nur dass Religion im Zeugnis als erstes Fach steht, noch vor Deutsch). Mit den Religionslehrern gemeinsam haben sie, dass sie gleichsam für den Überbau zuständig sind, für die Rahmung von Feierlichkeiten und die Gestaltung diverser präferialer Festivitäten. Die Chance und Herausforderung für Lehrer dieser Fächer besteht hingegen darin, sich kraft ihrer eigenen Begeisterung und Überzeugungskraft zu vermitteln. Sie sind authentisch - oder sie haben verloren. Ein Balanceakt ohne das Sicherheitsnetz von Schularbeiten und drohenden Nachprüfungen sozusagen.

Das ist allerdings nicht neu - ebenso wenig wie die auch von Thomas Angyan (siehe Seite 21) angesprochene Unsinnigkeit, in der 7. und 8. Klasse zwischen Musik und Zeichnen wählen zu müssen. Das führt in der Regel dazu, dass die Minimalisten aller Schattierungen, die beides für überflüssig halten, Zeichnen wählen, weil der Lehrer dort weniger Lärm macht und die Schüler in der Regel weniger behelligt. Musik nehmen dann die, die sich dafür wirklich interessieren, vielleicht auch ein Instrument spielen, aber eigentlich gerne beides gemacht hätten.

Wünschenswert wäre also, dass Musik - die theoretische Auseinandersetzung damit, vor allem aber auch das aktive Musizieren - (wieder) ein Stück selbstverständlicher werden. So wie wir - erfreulicherweise - gelernt haben, das Training unseres Körpers nicht zu vernachlässigen. Wir müssen ja deswegen nicht gleich beim Laufen singen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung