Klischees auf Tuchfühlung

19451960198020002020

Seit April versucht die Initiative "Land der Menschen", die Bevölkerung über "In- und Ausländer" ins Gespräch zu bringen. In Wirtshäusern, auf Straßen oder im Strandbad begegnet man Vorurteilen mit Information - und Ängsten mit einem offenen Ohr.

19451960198020002020

Seit April versucht die Initiative "Land der Menschen", die Bevölkerung über "In- und Ausländer" ins Gespräch zu bringen. In Wirtshäusern, auf Straßen oder im Strandbad begegnet man Vorurteilen mit Information - und Ängsten mit einem offenen Ohr.

Werbung
Werbung
Werbung

Im Gänsehäufel geht's heiß her. "Alle Menschen werden Brüder", "God save the Queen" und "Land der Berge" tönen hymnisch durch die Hitze. Doch erst Teufelsgeiger Moscha lässt mit schrillen Solos und Roma-Charme die Hüften wippen. Und so manche Badeschlapfen tänzeln mit.

In Wiens populärstem Strandbad fällt an diesem Freitag der Müßiggang schwer: Wo sonst nur mitgebrachte Soundmaschinen die Sonnenanbeter aus der Ruhe bringen, sorgen diesmal die "Modern Gypsies" im Dienst der Völkerverständigung für Aufruhr: Zusammen mit einem nigerianischen Märchenerzähler, einer marokkanischen Bauchtänzerin und afrikanischen Trommlern bilden sie das Rahmenprogramm zur sommerlichen "Rätselrallye" von "Land der Menschen".

Nicht zur Freude aller. "Jetzt hab ich Eintritt bezahlt und möcht' auch meine Ruh' haben," mokiert sich ein Herr im Badehose über das lautstarke Spektakel. Andere halten beim Flanieren ein. Manche spielen sogar mit, rätseln an der Herkunft der Hymnen und quälen sich mit Hilfe der sieben Stationen im Bad durch den giftgrünen Fragebogen: "Bei welchen Anlässen wird ein Bauchtanz dargeboten?" wird erfragt, oder "Wieviele Ausländer leben in Österreich?" Beim Informationsstand wird eine rätsellustige Dame aufgeklärt: "Sie glauben, es gibt bei uns zwei Millionen Ausländer?" bekommt sie zu hören. "Ich nehme schon an ...", kontert sie überzeugt und kann nicht glauben, dass Antwort B mit 750.000 (oder neun Prozent der Wohnbevölkerung) richtig ist.

Kulinarische Kontakte Einen Sonnenschirm weiter bieten Romafrauen "Becar"-Gemüseeintopf und andere Schmankerl feil. Auch am Österreich-Stand wird kulinarisch zugeschlagen - aber nur gegen Vorsingen eines Volksliedes, stellt ein Waldviertler Bauer zur Bedingung. Während seine Frau im Dirndl Hollersaft einschenkt und ein Schmalzbrot schmiert, zeigt er sich jedoch tolerant: "Wir akzeptieren auch den Anton aus Tirol. Aber manche Kinder können nicht einmal mehr "Hänschen klein"."

Eine Bemerkung kann er sich jedoch nicht verkneifen: "Worum's hier geht, weiß ich auch nicht genau." Mit Romarhythmen für mehr Verständnis? Mit afrikanischen Märchen für mehr Toleranz? Maria Haberl von "Land der Menschen" und Organisatorin der Rätselrallye sieht gerade darin große Chancen: "Der Erfolg dieser Veranstaltung ist nicht so leicht messbar. Wenn es aber gelungen ist, in der Begegnung das Immunsystem gegen den Virus Fremdenfeindlichkeit zu stärken, dann ist sie ein Erfolg." Ins gleiche Horn stößt auch die Leiterin der Initiative, Ursula Struppe: "Es sollte mehr sein als ein bloßes Happening. Und ich glaube, an den Ständen ist relativ viel an Gespräch passiert."

Bereits nach den Nationalratswahlen, im November 1999 wurde die Idee einer Bewegung im Sinne einer "civil society" angedacht, resümiert Struppe, oberste katholische Erwachsenenbildnerin in Österreich: "Wir sehen uns nicht als Reaktion auf die blau-schwarze Regierungsbildung", stellt sie klar. Vielmehr sei kontinuierlich die Überzeugung gewachsen, dass man angesichts der aufgeheizten Situation nach der Wahl "einfach was tun müsste."

Wir und die anderen Vorerst wurde eine kirchliche Aktion anvisiert, doch schließlich sprengte "Land der Menschen" die Grenzen zu einer überkonfessionellen, überparteilichen Initiative ohne fixen Schlusspunkt. Vom Wiener Büro am Tuchlauben mit Materialien ausgerüstet, organisieren sich die Bundesländerkomitees ihre Aktionen selbst. Die Journalistin Barbara Coudenhove-Calergi, der Universitätsseelsorger Helmut Schüller, die Gewerkschafterin Irmgard Schmidleithner und auch Struppe gehörten zu den Initiatoren.

Die Initiative ist eine "Mitmachgeschichte", gibt Ursula Struppe zu bedenken: "Verstanden fühlen wir uns nicht durch Applaus aus den Logen, sondern durch konkretes Handeln."

Gespräche fernab gelehrter Symposien sind das Ziel - denn Austausch, vor allem aber Information tut not: "Es ging darum, die Klüfte zu überwinden zwischen denen, die glauben, es sind zu viele Ausländer da, und denen, die anders denken." Bei der wesentlich emotional bestimmten Fremdenfeindlichkeit seien sachliche Argumente meist chancenlos, schildert sie ihre Erfahrungen aus diversen Straßengesprächen: "Die meisten glauben zu wissen, wie der Hase läuft. Manche behaupten felsenfest: ,Die Arbeitslosen wohnen in Hotels', oder: ,Die Jugendlichen im Gemeindebau bekommen gratis Satellitenschüsseln.' Hier sind Argumente sinnlos." Wie etwa jenes, dass in Österreich auch bei "nachhaltiger Integration" erst nach zehn Jahren legalen Aufenthalts die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wird. Oder, dass ausländische Männer durchschnittlich 6.300 Schilling weniger pro Monat verdienen als Österreicher und Ausländerinnen sich mit 4.000 Schilling weniger begnügen müssen, wie Johannes Pflegerl vom Österreichischen Institut für Familienforschung weiß.

Fremdenfeindlichkeit und Rassismus seien keine spezifisch österreichischen, sondern gesamteuropäische Phänomene, ist Struppe überzeugt. "Ich glaube nicht, dass es bei uns eine Situation gibt, die einen besonderen Anlass zur Sorge gibt." Ein, wenn nicht das österreichische Grundübel sei hingegen der Mangel an Konfliktkultur. "Wir praktizieren ein harmonisierendes Drüberschwindeln und kompensieren die Unsicherheit an Identität mit einem Überschwang an Stolz auf unsere Berge" kritisiert Struppe. Dagegen könne man hierzulande auf Vieles andere stolz sein, vor allem darauf, "dass Österreich schon immer eine Brücke war. Gerade in Wien hat man das schon immer gut gekonnt."

Schmelztiegel Wien Der Kulturenmix in der Donaumetropole hat es auch "Bergdoktor" Harald Krassnitzer angetan: "Der Wiener an sich ist ein unglaublich kreativer Mensch", lässt er sich zu Lobeshymnen hinreißen - auch wenn durch sein Engagement bei "Land der Menschen" schon der eine oder andere Drohbrief eingetrudelt sei: "Tschuschenfreund" habe man ihn geschimpft und "Österreichverräter." Doch der Schauspieler nimmt's gelassen: "Der Großteil der Probleme sind soziale und Kommunikationsprobleme."

Auf die Dachterrasse des "ibis"-Hotels brennt die Nachmittagssonne und lässt die Hitze im Gänsehäufl in der Erinnerung verblassen. Nur das grandiose Wien-Panorama entschädigt für die Grillatmosphäre. Gemeinsam mit dem Gitarristen Harri Stojka und dessen Vater, beide Roma, will Krassnitzer hier oben den Beweis antreten, dass es in Österreich auch anders ging und geht. Bei den Dreharbeiten zur vierten Folge der ORF-Produktion "Wunderland" (Ausstrahlung am 31. August um 21.05 Uhr in ORF 2) geht man unter anderem auch dem Wesen der Romanes-Musik auf den Grund - dem Lebensschmerz und der Sentimentalität, "bei der immer die Tränen geflossen sind", weiß Vater Stojka.

"Wir sind stolz, dass wir Österreicher sind," sagt er von sich und seiner Volksgruppe. Trotz seiner Inhaftierung im KZ sei er zu seinen Freunden nach Wien zurückgekehrt, zollt ihm auch Krassnitzer Bewunderung. "Wien war halt schon immer eine interkulturelle Stadt." Von der Initiative "Land der Menschen" erwartet er sich viel, meint er - mit leisem Bedauern, dass er die Gesprächsaktion im Gänsehäufl aus Termingründen versäumt hat. "Jeder kann dort seinen Frust und seine Trauer loslassen und wird trotzdem ernst genommen." Im Gegensatz zu anderen hält der gebürtige Salzburger und momentane Wahltiroler die Konfliktfähigkeit hierzulande hoch: "Bei den Gesprächen gibt's auch Schreiduelle. Wenn's drauf ankommt, können die Österreicher gut streiten."

Beruflich ist der Schauspieler jedenfalls um Deeskalation bemüht: Demnächst tüftelt er als Entschärfer der explosiven "Briefbomber"-Päckchen - wenn auch nur im Fernsehen.

"Land der Menschen", Tuchlauben 18/12, 1010 Wien, Tel. (01) 53 21 888, E-mail: www.landdermenschen.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung