Klopfen an die Wand der Worte

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Der scharfe Blick von Nathalie Sarraute entschlüsselt geheime Botschaften der Sprache.

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Der scharfe Blick von Nathalie Sarraute entschlüsselt geheime Botschaften der Sprache.

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In all ihren Werken setzt Nathalie Sarraute das Seziermesser an die Sprache an, um bloßzulegen, was sich im gesprochenen oder geschriebenen Wort verbirgt. Sie lebt, 95 Jahre alt, in Paris und perfektionierte mit 20 Texten ihre Kunst des "strauchelnden, tastenden, so ehrlichen, so besorgten Stils, der sich dem Objekt mit ehrfürchtiger Behutsamkeit nähert", wie ihr Jean Paul Sartre schon 1962 bescheinigte.

Die Suche nach dem richtigen Wort aus der Kindheit, die Assoziationen, die eine arglose Konversation zu inneren Explosionen verdichten, das Bemühen um Klarheit, "wo unermüdlich alles hin und her rennt, was nicht zu Wort kommt, sich nicht zeigen kann, zeigen darf", stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Denn "Worte tauchen auf, schubsen sich, stoßen, drücken, ungeduldige Worte, die keine Zeit haben, sich zu Sätzen zu fügen" und könnten während einer scheinbar ruhigen Unterhaltung "wahre Tumulte" verursachen. Auch der Charakter mancher Sätze, denen eine "nahrhafte, kräftigende Substanz fehlt", wird von dieser ungewöhnlichen Autorin verdeutlicht, etwa wenn sie es einfach unmöglich findet, "in diesem etwas steifen, verschlossenen, durch und durch anständigen Satz etwas zu entdecken".

Wenn sie hinter die "prächtigen Uniformen, die kugelsicheren Westen aus bestem Material, Güte, Wohlwollen, Nächstenliebe, Bescheidenheit" ihrer Gefährten blickt und dort "die Engherzigkeit, die Niedertracht, die Böswilligkeit" entdeckt, ist es ihr unmöglich, die klärenden Worte zurückzuhalten, dann ist es "herausgespritzt, ein dünner Strahl, ein leichter Pfeifton". Sie kennt die Gewalt von Worten und Gefühlen, weiß daß der "unerwartete Schock zwischen zwei entgegengesetzten Bedeutungen in ein und demselben Wort" - wenn man hören kann - "eine ohrenbetäubende Explosion" auszulösen vermag.

Die flüchtige Essenz der Sprache beunruhigt, da sie - dafür gibt Sarraute viele Beispiele - keine Ein-Eindeutigkeit zuläßt: "Sie klopfen leicht an die Wand, sie klingt nicht überall gleich, es muß etwas dahinter verborgen sein". Grandios rührt sie an die Durchlässigkeit und Kraft von Worten. Ein knappes, schwieriges Buch für Sprachliebhaber, die dafür mit vielen Denkanstößen in neue Dimensionen belohnt werden.

HIER Von Nathalie Sarraute Übersetzung: Erika Tophoven Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997 176 Seiten, geb., öS 277,-

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