William_Blake_-_Portrait_of_Friedrich_Gottlieb_Klopstock - © wikimedia - Porträt Friedirch Gottlieb Klopstocks von William Blake

Klopstock loben und lesen

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Am 14. März 1803 starb der Autor des "Messias", der umfangreichsten religiösen Dichtung in deutscher Sprache.

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Am 14. März 1803 starb der Autor des "Messias", der umfangreichsten religiösen Dichtung in deutscher Sprache.

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Barockmusik füllt Konzertsäle, barocke Baukunst und Malerei ist, zumal in Österreich, Allgemeingut, doch Barockliteratur ist eine Sache für Spezialisten. Literatur vor Goethe, Grimmelshausens "Simplicissimus" und Gedichte von Andreas Gryphius vielleicht ausgenommen, nie im Katalog einer Buchgemeinschaft zu finden. Grund dafür ist ein grundlegender Wandel der Literaturauffassung im 18. Jahrhundert, der sich bis heute auswirkt. Zwischen der "Regelpoetik" des Barock, in der genau festgelegt war, wie die einzelnen Literaturgattungen zu gestalten seien, und der persönlichen Gefühls- und Erlebnisdichtung der "Sturm und Drang"-Bewegung, allen voran des jungen Goethe, liegt eine radikale Kluft. Ein Brennpunkt dieses Paradigmenwechsels ist das Naturverständnis: Vom austauschbaren und konventionalisierten Bildervorrat wird Natur zu einem wesentlichen Teil der Darstellung des Weltverhältnisses. Vor allem bei dem Balladendichter Gottfried August Bürger wird "Natur" auch zum Schlagwort gegen Fürstenwillkür ("Naturrecht"), für freiere soziale und erotische Beziehungen und für die individuelle Handhabung der Sprache und der dichterischen Form.

Entdeckung der Natur

Ein wesentliches Scharnier in dieser Entwicklung ist die Dichtung von Friedrich Gottlieb Klopstock. Er, der begeisterte Eisläufer und ungestüme Reiter bis ins hohe Alter, hat die reale Natur für das deutsche Gedicht entdeckt. "Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht / Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, / Das den großen Gedanken / Deiner Schöpfung noch Einmal denkt" - so beginnt "Der Zürchersee", eines der berühmtesten Gedichte Klopstocks. Die Natur wird ihm zum Leitmodell des Dichtens und der Kunst. "Lernt: Die Natur schrieb in das Herz sein Gesetz ihm", heißt es über den Dichter in einem Gedicht, das gegen die "Ästhetiker" und ihre Gesetze gerichtet ist.

Klopstocks Rückgriff auf das antike Versmaß des Hexameter und das Abgehen vom Reim waren ein wichtiger Impuls für die deutsche Lyrik, ohne den der junge Goethe, Schiller und vor allem Hölderlin nicht denkbar sind. Klopstocks Bemühen um eine deutsche Nationaldichtung klingt heute antiquiert, wenn man nicht in Rechnung stellt, dass das Aufbrechen der deutschen Kleinstaaterei mit ihrer Fürstenwillkür ein innovativer Impuls war. Klopstock war ein Befürworter der Französischen Revolution und wurde 1792 zu ihrem Ehrenbürger ernannt, hat sich aber von den jakobinischen Gräueltaten distanziert.

Weiters stand hinter Klopstocks Impulsen die Tatsache, dass die deutsche Literatur damals kein gutes Image hatte. Der Preußenkönig Friedrich II. befand noch 1780 in einer (französisch verfassten!) Schrift, die deutsche Literatur sei der Förderung unwürdig. Klopstock lebte daher - bevor Hamburg zum Mittelpunkt seiner letzten Lebensjahrzehnte wurde - von 1750 bis 1570 am dänischen Hof, wo er gefördert wurde. In dieser Zeit wandte er sich an Joseph II., damals noch Mitregent von Kaiserin Maria Theresia, um ihn für ein genau durchdachtes Modell der Wissenschafts- und Kunstförderung zu interessieren. Staatskanzler Kaunitz riet zur Annahme des Plans, aber Joseph II. wurde er offenbar nie vorgelegt. Das Scheitern hatte einen Grund, der sehr bekannt klingt: Sparmaßnahmen.

Gefährlich modern

"Wer wird nicht einen Klopstock loben - doch wird ihn jeder lesen?" Lessings Klage, dass Klopstock nicht gelesen werde, ist paradoxerweise bekannter geworden als alles, was Klopstock je geschrieben hat. Klopstock ist der Paradefall des berühmten, aber ungelesenen Dichters geblieben. Noch immer liegt keine Biografie von ihm vor, und bis zum Abschluss der 1974 begonnen historisch-kritischen Ausgabe ist man für wichtige Texte auf Ausgaben des 19. Jahrhunderts angewiesen; die Veröffentlichung seiner Briefe wurde erst im Jahr 1999 abgeschlossen.

Nicht immer stand Klopstock so im Abseits. Um 1800 muss er eine Kultfigur gewesen sein, ähnlich wie Nietzsche ein Jahrhundert später. In Goethes "Werther" genügte in einer entsprechenden Situation Lottes emphatischer Ausruf: "Klopstock!", und beiden stand dessen berühmtes Gedicht "Frühlingsfeier" vor Augen.

Klopstock war ein wesentlicher Bezugspunkt für Hölderlin oder Stefan George. Auch Rilkes Duineser Elegien sind in Auseinandersetzung mit Klopstocks "Messias" geschrieben. Der Lyriker Johannes Bobrowski, der sich auf Klopstock als seine "Zuchtrute" berief, hat von ihm vor allem ein sprachliches Verfahren übernommen: die Heraushebung zentraler Wörter und Fügungen durch eigenwillige Umstellungen der Satzfolge und Wiederholungen, was eine suggestive Dynamik erzeugt. Peter Rühmkorf, der respektlose Parodien auf Klopstock-Texte schrieb, hat später festgestellt: "Alles, was ich anfasste, erinnerte ans laufende Heute; woran ich auch stieß, es klirrte gefährlich modern."

Religion, Liebe, Freundschaft

Einen sehr spezifischen Bezug auf Klopstock konnte ich bei Marie Luise Kaschnitz entdecken. Ihr Gedicht "Nicht gesagt" endet mit den Zeilen: "Den Teufel nicht an die Wand / Weil ich nicht an ihn glaube / Gott nicht gelobt / Aber wer bin ich daß". Der abgebrochene Schlusssatz zitiert ein reflektierendes Begleitgedicht zu Klopstocks "Messias": "Der Seraph stammelt, und die Unendlichkeit / Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach / Dein hohes Lob, o Sohn! wer bin ich / Daß ich mich auch in die Jubel dränge?" Marie Luise Kaschnitz nimmt das Lob Gottes zurück und macht aus dem Schluss der feierlichen Klopstock-Ode ein mehrdeutigen Fragment: "Wer bin ich daß". Das Lob Gottes ist schwieriger geworden im 20. Jahrhundert, auch für jene Autorinnen und Autoren, die aus dem Christentum kommen.

Gerade aus diesem Grund steht uns der "Messias", das umfangreichste und imposanteste religiöse Werk der deutschen Literaturgeschichte, heute merkwürdig fern. Dreißig Jahre arbeitete Klopstock an diesem Monumentalwerk in 20 Gesängen und etwa 20.000 Versen, das von ekstatischer Christus-Erfahrung und dem Zentralmotiv der Erlösung geprägt ist.

Das sakrale Pathos, den "hohen Ton", hat Klopstock nicht für den traditionell religiösen Bereich reserviert. Er preist damit auch die wesentlichen Beziehungen des Lebens: Liebe und Freundschaft. "Unerforschter, als sonst etwas den Forscher täuscht, / Ist ein Herz, das die Lieb' empfand" - so beginnt das Gedicht "An Cidli". Klopstock war der erste, der Gedichte an reale Frauen adressierte - etwas radikal Neues, was Goethe und Bürger ihm nachgemacht haben. Cidli ist Klopstocks Frau, die Kaufmannstochter Meta Moller - sie hatte sich nach der Lektüre einiger Gesänge seines großen Epos "Der Messias" in ihn verliebt und die Heirat mit dem mittellosen Dichter gegen große Widerstände ihrer Familie durchgesetzt. Groß war die Erschütterung, als seine Dichtungs- und Lebenspartnerin bei der Geburt des ersten Kindes, das tot zur Welt kam, nach nur vierjähriger Ehe starb. Erst sehr spät, im XV. Gesang des Messias, hat Klopstock Worte für diesen Schmerz gefunden. Liebe und Freundschaft waren Klopstock heilig. "In dem Arme des Freundes wissen ein Freund zu sein", das reicht in der Ode "Der Zürchersee" geradezu an die Ewigkeit heran. Das Gedicht endet mit der Aufforderung, "Hütten der Freundschaft" zu bauen und darin ewig zu wohnen.

Dichtung hören

Gustav Mahler hat in einem Brief die große Wirkung beschrieben, die ein geistliches Lied Klopstocks bei der Trauerfeier für den Dirigenten Hans von Bülow für ihn hatte: "Die Stimmung, in der ich dasaß und des Heimgegangenen gedachte, war so recht im Geiste des Werkes, das ich damals mit mir herumtrug. - Da intonierte der Chor von der Orgel den Klopstock-Choral Auferstehn' - Wie ein Blitz traf mich dies und alles stand ganz klar und deutlich vor meiner Seele! Auf diesen Blitz wartet der Schaffende, dies ist die heilige Empfängnis!'" Dieses Erlebnis wurde zum Zündfunken für Mahlers Zweite Symphonie. Die beiden Anfangsstrophen von Klopstocks Lied bilden in leicht abgewandelter Form (zusammen mit Versen, die Mahler selbst hinzugedichtet hat), Zentrum und Höhepunkt der "Auferstehungssymphonie".

Klopstocks Verse sind ganz bewusst mehr zum Hören als zum Lesen geschrieben. Er selbst war ein Meister und Verehrer der Kunst des Vorlesens und wollte seine Dichtung vor allem der Stimme und dem Gehör anvertrauen. Damit war er schon zu Lebzeiten zunehmend unzeitgemäß; denn gerade im 18. Jahrhundert wurde die stille Lektüre zur dominierenden Form der Rezeption von Literatur. Die Hörbücher haben die Stimme wiederentdeckt - das wäre eigentlich eine gute Voraussetzung, 200 Jahre nach seinem Tod den Klang von Klopstocks hymnischen Versen neu zu erproben.

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