Kluge Köpfe auf Reisen

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Ein Auslandsaufenthalt ist unverzichtbarer Bestandteil einer Wissenschafter-Karriere. Und so packten ein Verhaltensforscher, eine Hirnforscherin, ein Mathematiker und ein Literaturwissenschafter ihre Koffer.

Sie heißen Al, Ben, Frank, Freya, John, Noring, Zoe - und sind alles andere als pflegeleicht: Sturheit, Scheu und ein Hang zum Tarnen und Täuschen hat ihnen Mutter Natur in die Wiege gelegt. Keine Eigenschaften, mit denen man sich Freunde macht. Thomas Bugnyar hat die sieben Raben dennoch ins Herz geschlossen: "Sie können ja auch nett sein - und sie sind ausgesprochen clever."

Zwei Jahre hat der Wiener Verhaltensforscher in den USA an der Universität von Vermont verbracht, um bei "Rabenpapst" Bernd Heinrich die soziale Intelligenz der Kolkraben (Corvus corax) zu studieren. "Wir haben uns gefragt: Was müssen Raben beim Nahrungserwerb im Wettbewerb mit anderen beachten? Wann müssen sie gegeneinander arbeiten? Denn darin sind die Raben Meister", so Bugnyar. Je nach Bedarf kooperieren oder konkurrieren sie mit ihren Artgenossen - nicht ohne ihr Hirn einzuschalten, hat der Verhaltensforscher festgestellt.

Schlaue Raben

Schon in seiner Dissertation an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal - einer Außenstelle des Instituts für Zoologie der Universität Wien - hatte sich der gebürtige Burgenländer mit den Kolkraben beschäftigt. In Grünau waren freilich nur Beobachtungen möglich. Für aufwändige Experimente mit diesen scheuen Vögeln fehlten die Rahmenbedingungen. Mit der Einladung von Bernd Heinrich, eine Post-Doc-Stelle in Vermont anzunehmen, und mit der finanziellen Unterstützung durch ein Erwin-Schrödinger-Auslandsstipendium des Wissenschaftsfonds FWF (siehe Kasten) eröffnete sich für Bugnyar schließlich im Jahr 2001 die Möglichkeit, sein Forschungsprojekt zu realisieren.

Die überraschenden Erkenntnisse ließen nicht lange auf sich warten. Schon bald zeigten die - nach dem Vorbild von Konrad Lorenz handaufgezogenen - Vögel, die den Forscher anfangs als Vater und später als Artgenossen betrachteten, ihr ganzes Talent. Typisch für die gesamte Rabenfamilie (Corviden) versteckten sie ihr Futter, um es nicht teilen zu müssen. Um das Versteck längerfristig geheim zu halten, mussten sich die Raben freilich beim Verstecken selbst verstecken, erklärt Bugnyar. "Unsere Frage war: Schauen sie nach, ob ein anderer Rabe tatsächlich zuschaut, oder reicht es, wenn ein anderer Rabe nur in der Nähe ist." Das Ergebnis war verblüffend: Offenbar wussten die schlauen Vögel, welche Sicht der andere hatte. Sie konnten sich also in ihren Artgenossen hineinversetzen und seine Perspektive einnehmen - eine Fähigkeit, die Menschenkinder erst mit vier Jahren (und Autisten nie) erlangen.

Spektakuläre Ergebnisse wie diese mehrten sich - und mit ihnen das Interesse der Grünauer, den Nachwuchswissenschafter zurück in die Heimat zu holen. Schließlich konnte man Bugnyar mit attraktiven Forschungsbedingungen - und einem Erwin-Schrödinger-Rückkehrstipendium - 2003 zur Heimkehr bewegen.

Mit der Entscheidung, den für eine Forscherkarriere unerlässlichen Auslandsaufenthalt in den USA zu verbringen, liegt Bugnyar im Trend: Immerhin 43 der 75 promovierten heimischen Forscher, die etwa im Jahr 2003 ein Erwin-Schrödinger-Auslandsstipendium erhalten hatten, zog es ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Existenzielle Synapsen

Auch Ruth Herbst suchte - und fand - in Amerika ihr Forscherglück. Die Wiener Hirnforscherin arbeitete fünf Jahre am renommierten "Skirbal"-Institut für molekulare Medizin in New York - ebenfalls unterstützt durch ein Schrödinger-Stipendium. Herbsts Hauptforschungsgebiet ist die Funktionsweise der neuromuskulären Synapse, also jener Kontaktstelle, die zwischen Muskel und Nervenzelle Signale weiterleitet. "Ohne diese Synapse könnten wir uns überhaupt nicht bewegen oder würden binnen Minuten ersticken", weiß Herbst. Die neuromuskulären Schaltstellen dienen zudem als Modellsystem für die Synapsen im Gehirn, deren Manipulation für den untersuchten Organismus meist tödlich endet.

Schon ihre Dissertation hatte Herbst ins Ausland geführt - an die Universität von Sheffield in England. Dass sie danach eine Post-Doc-Stelle in den USA anstreben würde, war für die Forscherin klar: "Auf dem Gebiet der Molekularbiologie und Genetik ist Amerika einfach das beste Land, das man sich aussuchen kann."

Paradiesische Zustände

1996 wagte sie den Sprung über den großen Teich und fand im Skirbal-Institut, das von einer Privatstiftung getragen, aber in die Universität von New York eingebettet ist, paradiesische Arbeitsbedingungen vor: "Alle Routinetätigkeiten wie Sequenzierungen oder Glaswäsche wurden automatisch erledigt", schwärmt Herbst. Auch ein professionell betreuter Tierstall stand den Forschern zur Verfügung. Fünf Jahre lang profitierte sie von diesen Rahmenbedingungen - und entschied sich 2001 dennoch zur Heimkehr, ans Institut für Hirnforschung der Universität Wien: "Das war vor allem eine private Entscheidung", erinnert sie sich heute. Zusätzlicher Anreiz war freilich ein Schrödinger-Rückkehrstipendium.

Während es die heimischen Wissenschafter also gen Westen zieht, stammt ein Gutteil der Incoming-Forscher aus dem Osten. Von den 33 ausländischen Wissenschaftern, die 2003 ein Lise-Meitner-Stipendium des FWF erhalten hatten (siehe Kasten), stammten 14 aus Slowenien, Slowakei, Tadschikistan, Polen, Ukraine, Ungarn und Russland. Einer der brillanten Köpfe aus dem Osten ist Iskander Aliev. Der Sohn einer Russin und eines Kirgisen hat an der Universität in St. Petersburg sein Mathematik-Studium abgeschlossen und an der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau sein Doktorat absolviert. Bei der Suche nach einer Post-Doc-Stelle fiel seine Wahl schließlich auf das Institut für Mathematik der TU Wien.

Wie Aliev selbst forscht man hier an der "Geometrie der Zahlen", bei der algebraische Fragestellungen mit geometrischen Methoden gelöst werden. Nicht nur Aliev, auch das Wiener Institut profitiert vom Austausch des Wissens: So wird Aliev gemeinsam mit Institutsvorstand Peter M. Gruber, Mitglied der Österreichischen und Russischen Akademie der Wissenschaften, demnächst zwei neue Arbeiten publizieren. Wenn sein Projekt 2005 abgeschlossen ist, begibt sich Aliev erneut auf Jobsuche in Europa. In seine Heimat zieht es ihn jedenfalls nicht - kein Wunder bei einem russischen Professorengehalt von 200 Euro im Monat.

Anders Tymofiy Havryliv: Nach einem zweijährigen Forschungsaufenthalt am Institut für Germanistik der Universität Wien kehrte der Literaturwissenschafter, Übersetzer und Schriftsteller als Dozent für Deutsche Philologie an seine ukrainische Heimatuniversität in Lemberg zurück. Im Rahmen eines Franz Werfel-Stipendiums (siehe Kasten) hatte Havryliv die Möglichkeit, in Wien über die Literatur des österreichischen Expressionismus zu forschen. Auch die Auseinandersetzung mit der gesprochenen Sprache und der österreichischen Kultur war für ihn von großer Bedeutung.

Reisender Protest

Reisen ist für Havryliv nicht nur ein unverzichtbarer Bestandteil seiner Tätigkeit als Forscher und Literat - sondern mittlerweile auch eine Form des Widerstands: "Durch die EU-Osterweiterung sind Fahrten zu Symposien für ukrainische Forscher viel schwieriger geworden. Wir brauchen zahllose Visa", klagt Havryliv. "Deshalb ist Reisen für mich auch ein Protest gegen die Grenze."

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