Klytämnestra am Fleischerhaken

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„Elektra“, die letzte Musiktheaterproduktion der Salzburger Festspielära Flimm, hinterließ trotz eindeutigen Publikumserfolgs zwiespältige Eindrücke. Klanglich wie szenisch wäre weitaus mehr zu holen gewesen.

Sieben Mal stand „Elektra“ bisher auf dem Salzburger Festspielprogramm. Die erste Produktion dirigierte 1934, 25 Jahre nach der Dresdner Uraufführung, Clemens Krauss, die bisher letzte 1996 Lorin Maazel. Dass man diesen Sommer, in dem man 90 Jahre Festspiele feiert, erneut auf diesen Einakter setzen würde, lag auf der Hand. Schließlich finden sich die drei Festspielgründer Hofmannsthal, Reinhardt und Strauss hier auf besondere Weise verbunden.

Lautstärke statt Dramatik

Die Idee, dieses Sujet zu vertonen, kam Strauss beim Besuch einer von Max Reinhardt inszenierten Aufführung von Hofmannsthals „Elektra“ in Berlin. Mit „Elektra“ begann auch die Zusammenarbeit von Strauss und Hofmannsthal, die sich mit „Rosenkavalier“, „Ariadne“, „Frau ohne Schatten“, „Ägyptischer Helena“ und „Arabella“ fortsetzen sollte.

Auch in diesem Kontext ist „Elektra“ ein Solitär: Von keinem Text ließ sich Strauss zu einer radikaleren, so weit in die musikalische Zukunft weisenden Tonsprache inspirieren. Und nie hat er für eine Oper ein größer besetztes Orchester gefordert, wie in dieser „Tragödie in einem Aufzug“: dreichörig geteilte Streicher, 40 Bläser und eine ganze Schlagwerkbatterie. Trotzdem ist die Partitur so angelegt, dass selbst bei den gewaltigsten Klangentladungen die Sänger, denen Anspruchsvolles abverlangt wird, nicht übertönt werden. So man sich an dieses Konzept des Komponisten hält und auch in den lautesten Passagen Lautstärke nicht mit Dramatik verwechselt.

Genau das tat Dirigent Daniele Gatti: Er ließ die Wiener Philharmoniker derart dynamisch auftrumpfen, dass die Sänger – noch dazu in der heiklen Akustik des Großen Festspielhauses – sich trotz größter Anstrengung kaum verständlich machen konnten. Selbst bei der wiederum mit ihrer Bühnenpräsenz prunkenden, in rotem Pelz und mit Sonnenbrille auftretenden Waltraud Meier als Klytämnestra wurde dies zuweilen deutlich. Mehr noch bei der nur zum Teil wortdeutlichen Iréne Theorin, die damit an große Elektra-Vorbilder nur bedingt herankam. Gleichfalls mehr auf vokale Kraft als auf differenzierten Ausdruck vertraute Eva-Maria Westbroek als auch gestalterisch unkonturierte Chrysothemis.

Hilflos statische Konfrontationen

Nicht nur, dass sämtliche Sänger der orchestralen Klanggewalt entgegen steuern mussten – am ehesten gelang dies René Pape als ausdrucksvollem Orest, während Robert Gambills Aegisth blass blieb –, wurden sie auch von der Regie Nikolaus Lehnhoffs ziemlich im Stich gelassen. Er hatte sich von Raimund Bauer das Innere eines nach hinten kippenden Bunkers bauen lassen. Trotzdem nutzte er dieses, das schreckliche Ende des Geschehens klug andeutende Ambiente nur halbherzig.

Selbst die heftigen Konfrontationen Elektras mit Chrysothemis und Klytämnestra wirkten hilflos statisch. Nicht anders die Erkennungsszene mit Orest: Eine Charakterisierung der Personen suchte man vergebens, ebenso eine Deutung ihrer Psychologie. Dabei ist „Elektra“ die erste Oper, die unter dem Einfluss der damals neuen Psychoanalyse entstand.

Sollte diese szenische Unverbindlichkeit durch einen grellen Finaleffekt kontrapunktiert werden? Bei Hofmannsthal stürzt Elektra nach einem letzten Tanz tot zu Boden, anschließend schlägt Chrysothemis zu den Rufen „Orest! Orest!“ an die Tür. Bei Lehnhoff öffnet sich diese überraschend und gibt den Blick frei in einen Kühlraum, in dem Klytämnestra wie ein Tierkadaver mit dem Kopf nach unten aufgehängt ist. Verlieren Menschen, die morden, jeglichen Rest an Humanität und werden zum Tier? Eine Metapher? Der Versuch einer Weiterdeutung? Wie spannend hätte die Reise durch diesen Mythos werden können, hätte Lehnhoff mit diesem Bild begonnen, Gatti die Sänger und Choristen zu Wort kommen lassen Beides vergebene Chancen.

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