Knapp am totalen Fiasko vorbei

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Rossinis "Otello" im Theater an der Wien: Katastrophaler Beginn, fulminanter dritter Akt.

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Rossinis "Otello" im Theater an der Wien: Katastrophaler Beginn, fulminanter dritter Akt.

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Des Opernkritikers Los ist mitunter hart: Da hat man schon während der Vorstellung seine Kritik fast fertig im Kopf - einen Verriß, der sich gewaschen hat - und dann, in der letzten halben Stunde, werfen die auf der Bühne und im Orchestergraben alles um: So geschehen letzten Samstag im Theater an der Wien, bei der zweiten Aufführung von Gioacchino Rossinis "Otello". Zwei Stunden Grübeln umsonst - aber die Aufführung gerettet. Die Geschichte des "Mohren von Venedig", der aus Eifersucht seine Frau Desdemona ersticht, endet schließlich unter Jubel des Publikums.

Erster und zweiter Akt: ein Fiasko. Ohne den geringsten Schmiß dirigiert Giovanni Andreoli die fehler- aber auch lustlose Sinfonia Varsovia. Schmalspur-Rossini. Eine insgesamt schlechte sängerische Leistung: Frances Pappas in der kleinen Rolle der Emilia ist tadellos, Elena Kelessidi als Desdemona und Maurizio Muraro als deren Vater Elmiro sind gerade noch akzeptabel, doch Simon Edwards als Nebenbuhler Rodrigo, Octavio Arevalo als haßerfüllter Intrigant Jago und vor allem Jean-Luc Viala in der Titelrolle quälen sich mit ihren Partien, daß es auch für den Zuhörer nur noch eine Pein ist. Diese drei Tenöre würden jedes Fußballstadion in Minutenschnelle leeren, feixt der Kritiker. Daß der angekündigte Maestro Yehudi Menuhin wegen "Unterschätzung der Vorbereitungszeit" erst die letzen beiden Aufführungen dirigiert, erscheint plötzlich nur allzu verständlich.

Keine Frage: Regisseur Nicolas Trees will große Oper auf die Bühne bringen, davon zeugen auch die karnevalesken Kostüme von Gera Graf. Mit diesen Sängern und dem inferioren Bühnenbild muß dieses Vorhaben jedoch kläglich scheitern. Eine entsetzlich langweilige, wahrlich popelige Aufführung, die zum Schlimmsten gehört, was man je gesehen und gehört hat, ärgert sich der Kritiker.

Ein vorschnelles Urteil, denn dann kommt der dritte Akt, dessen musikalische Genialität schon die Uraufführung 1816 nicht nur rettete, sondern zum Triumph führte. Und auch bei der Klangbogen-Produktion wachsen Sänger und der Mann am Pult völlig unvermutet über sich hinaus: Als ob Andreoli dem Orchester "Red Bull" eingeflößt hätte, erwacht es plötzlich und schwingt sich im Idealtempo zu dramatischen Höhen auf. Jean-Luc Viala scheint die Stimmbänder gewechselt zu haben und auch Elena Kelessidi steigert sich: Ihnen gelingt ein berührendes, mitreißendes Finale. Große Oper.

Der Kritiker bleibt verwirrt zurück. Soll er "Otello" empfehlen oder nicht? Abermals ist Grübeln angesagt. (Das Ergebnis stand vor Redaktionsschluß noch nicht fest, Anm. der Red.)

12. und 14. August

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